Kaum eine Woche vergeht, ohne dass die ­Medien in Sachen Altersvorsorge Panik verbreiten. «2065 dürfte die Lebenserwartung 90 Jahre be­tragen», schrieb die NZZ vor ­kurzem. Solche Pro­g­nosen sind ­Wasser auf die Mühlen der Rentenkürzer aus Politik und Wirtschaft. Gebetsmühlen­artig behaupten sie: AHV und Pensions­kasse geraten in ­finanzielle Schieflage, weil die Schweizer immer länger leben. 

Medienberichte verunsichern

Der «Blick» titelte Ende ­August: ­«Pensionskassen machen Dampf: Renten sollen schnell sinken.» Die «NZZ am Sonntag» doppelte nach: «Bei der AHV stehen die Zeiger auf fünf vor zwölf. Ohne Reform droht die Pleite.» Und die SRF-«Tagesschau» behauptete: «Die ­Finanzen der AHV sind in Schieflage.» Die ­Folge solcher Be­richte: Die Verunsicherung in der ­Bevölkerung wächst. So ­sollen Politiker Rentensenkungen, höhere Bei­träge oder ein höheres Renten­alter durchdrücken können. 

K-Tipp-Berechnungen zeigen aber, dass die Grundlagen der düsteren Pro­gnosen falsch sind. Denn die AHV-Szenarien des Bundesamts für Sozialversicherungen gehen für die nächsten 10 bis 15 Jahre von ­einer zu hohen Lebenserwartung aus – gestützt auf Zahlen des Bundesamts für Statistik.

Zahlen des Bundes sind eine Schätzung

Das Bundesamt schätzt Sterbewahrscheinlichkeiten. Das heisst: Es nimmt die Anzahl Todesfälle pro Jahr und berechnet daraus anhand der Altersstruktur der Bevölkerung, der ­Bevölkerungsentwicklung und anderer Faktoren die Lebenserwartung beispielsweise der über 65-Jährigen. 

Mit anderen Worten: Das Amt schätzt die Alterung der Gesellschaft im All­gemeinen und berechnet nicht die Anzahl Jahre und Monate, in denen die Sozialversicherungen Renten ausbezahlen müssen. Doch nur Letzteres ist von Bedeutung, wenn man die ­Finanzen von AHV und Pensionskassen beurteilt. 

Der K-Tipp wertete deshalb die Lebenserwartung von Rentnern anhand der AHV-Zahlen der Jahre 1990 bis 2017 für Rentenbezüger mit Wohnsitz Schweiz aus. Aus den AHV-­Daten lassen sich für jeden Jahrgang das durchschnittliche Alter beim Tod und die Dauer der Renten­zahlung berechnen. Die Ausgleichskassen erfahren die Todesdaten der Rentenbezüger von den Zivilstandsämtern. Die ­Renten werden bis zum Ende des Todes­monats ausbezahlt.

Lebenserwartung war zuletzt rückläufig

Der Vergleich der AHV-­Zahlen mit der vom ­Bundesamt für Statistik er­rechneten Lebenserwartung der Rentner zeigt: 

Die Anzahl Jahre, in ­denen Pensionierte eine Rente bezogen haben, ist für jeden Jahrgang 1 bis 2 Jahre tiefer, als die publizierte Lebenserwartung des Bundesamts erwarten lässt ­(siehe Grafik). Beispiel: Im Jahr 2016 verstorbene über 65-jährige Männer bezogen durchschnittlich 17,9 Jahre lang eine Rente, Frauen rund 21 Jahre. Das sind im Vergleich zu den Lebenserwartungszahlen des Bundes je fast 2 Jahre weniger.

Die Anzahl Rentenjahre stagniert seit 7 Jahren. Bei den Männern betrug sie 2010 rund 17,3 Jahre und 2017 rund 17,6 Jahre. Bei den Frauen 20,9 beziehungsweise 21,1 Jahre.

Die Anzahl Rentenjahre der Männer fiel 2017 auf das Niveau von 2012 ­zurück. Das deckt sich mit einer Studie der Princeton University und der University of Southern ­California (beide USA). Sie untersuchte die Lebens­erwartung in 18 reichen Ländern. Resultat: Fast überall – auch in der Schweiz – war die Lebens­erwartung der über 65-Jährigen in den untersuchten Jahren 2014 und 2015 rückläufig. 

Fazit: Die Zukunft von AHV und Pensions­kassen sieht ro­siger aus als erwartet. Denn alle ­AHV-Szenarien des Bundes für die Zukunft ­basieren auf den zu hohen Lebenserwartungszahlen des Bundesamts für Sta­tistik. 

Übrigens: Die meisten Pensionskassen rechnen für ihre Versicherten mit einer noch weit höheren Lebenserwartung. 

Milliarden-Reserven bei der AHV und den Pensionskassen

Der AHV und den Pen­sionskassen geht es blendend. Bis Ende 2017 ­hatte die AHV Reserven von über 45 Milliarden Franken angehäuft, alle Pen­sionskassen zusammen rund 134 Milliarden Franken («Saldo» 9/2018). Zum Vergleich: Ende 1990 betrugen die AHV-Reserven noch 18 Milliarden Franken. Im Jahr 2000 waren es 22 Milliarden und 2010 schon 44 Mil­liarden.