Tattoo weggebrannt - Haut zerstört
Das Tattoo war zwar entfernt, doch zurück blieben schreckliche Wunden. Zwei Opfer haben Tattoo-Mike jetzt eingeklagt. Aber auch andere Studios wenden die Diathermie-Methode an.
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Gesundheitstipp 11/2003
05.11.2003
Thomas Grether - thgrether@pulstipp.ch
Claudia Hutter (Name geändert) hatte sich einen Berg auf die Innenseite ihres Oberarms tätowieren lassen. Fast wie das Matterhorn, postkartengross. Jahre später wurde ihr das Tattoo lästig. «Es war auffälliger, als ich wollte.» Sie entschloss sich, das Tattoo entfernen zu lassen.
Dazu ging die 22-Jährige am 30. September zu Mike Kiser, der in Hägendorf SO ein Tattoo-Studio betreibt. «Weil ein Arzt involviert war, hatte ich Vertrauen», sagt die Jura-Studentin. Tatsächli...
Claudia Hutter (Name geändert) hatte sich einen Berg auf die Innenseite ihres Oberarms tätowieren lassen. Fast wie das Matterhorn, postkartengross. Jahre später wurde ihr das Tattoo lästig. «Es war auffälliger, als ich wollte.» Sie entschloss sich, das Tattoo entfernen zu lassen.
Dazu ging die 22-Jährige am 30. September zu Mike Kiser, der in Hägendorf SO ein Tattoo-Studio betreibt. «Weil ein Arzt involviert war, hatte ich Vertrauen», sagt die Jura-Studentin. Tatsächlich schickte Kiser sie erst zu einem Allgemeinarzt um die Ecke, der ihr ein Betäubungsmittel spritzte. So seien die Schmerzen auszuhalten.
Hautzellen verkochen oder verdampfen
Minuten später machte sich Tätowierer Kiser daran, das Tattoo zu entfernen. Seine Methode: Diathermie. Dabei wird die Haut mit hochfrequenter elektrischer Energie beschossen. Die Hitze, die dabei entsteht, ist extrem: Die Hautzellen verkochen oder verdampfen, und mit ihnen die Farbpigmente des Tattoos. Normalerweise setzen Chirurgen diese Technik bei Operationen ein - um Haut zu schneiden.
Für Tätowierer ist die Tattoo-Entfernung eine neue Einnahmequelle. Seit bekannt ist, dass die Farben giftig sein können, wollen viele ihr Tattoo loswerden. Neben Kiser bieten weitere Studios die Diathermie-Methode an, etwa die Zürcher Skin Art Factory.
«Es zischte und rauchte», erinnert sich Claudia Hutter. Das laut Kiser «schmerzarme» und «revolutionäre» System liess bei ihr verbrannte Haut und eine rote, pulsierende Wunde zurück. Zu Hause schluckte die junge Frau Schmerzmittel, um schlafen zu können. Beunruhigt meldete sie sich zwei Tage später bei Kiser. Schmerzen seien normal, habe er behauptet. «Ich solle die Wunde mit Merfen-Puder behandeln.» Schliesslich hielt Hutter es nicht mehr aus und ging in die Dermatologische Poliklinik des Unispitals Zürich.
Die behandelnde Ärztin erklärte dem Puls-Tipp: «Die Haut der Patientin ist schwer verbrannt. In einem solchen Fall kann es zu Infektionen und gefährlichen Blutvergiftungen kommen.» Die Ärztin verordnete Kortison-Creme und Tramal - ein morphiumähnliches Schmerzmittel. Claudia Hutter ist noch heute in Behandlung.
Die Studentin ist kein Einzelfall. Der Solothurner Hautarzt Peter H. Bloch behandelt vier Frauen und einen Mann, die bei Mike Kiser ein Tattoo entfernen liessen. «Alle haben schreckliche Narben, die aussehen, als wäre die Haut von kochendem Wasser verbrüht worden.» Ein Patient sei deshalb seit eineinhalb Jahren bei ihm in Behandlung.
Betroffen ist auch die 23-jährige Ingrid Müller (Name geändert) aus Bern. Der untere Teil ihres Rückens ist auf einer Breite von 30 Zentimetern mit dicken Narben überzogen und mit Resten des Tattoos durchsetzt. «Ich bin entstellt», sagt die Frau, die sich in psychiatrische Behandlung begeben musste.
Reinhard Dummer, Professor und leitender Arzt an der Dermatologischen Klinik des Zürcher Unispitals, warnt vor der Behandlung: «Diathermie ist eine äusserst zweifelhafte Methode, um Tattoos zu entfernen», sagt er. Jetzt ist der Solothurner Kantonsarzt Hans Binz eingeschritten: Er verbot Kiser jegliche Anwendung des Geräts, weil «teils gravierende Fälle von möglicher Körperverletzung vorliegen».
Happige Vorwürfe, mit denen der Puls-Tipp den Tätowierer Mike Kiser konfrontiert hat. Sein Gerät habe weniger Leistung als eines, das bei Operationen eingesetzt werde, beschwichtigt er. «Es handelt sich um ein kosmetisches Gerät.» Kiser schiebt den schwarzen Peter an seine Kunden ab. Diese müssten ihre Wunden richtig nachbehandeln, dann seien die Schmerzen vergleichbar mit einem Sonnenbrand. «Ich habe zufriedene Kunden, die sind bereits zum vierten Mal bei mir in Behandlung.»
Argauer Kantonsarzt: Freipass für selbst gebautes Gerät
Pikant: Der Aargauer Kantonsarzt Martin Roth prüfte Kisers Methode, als dieser sein Studio noch in Aarburg AG betrieb. Roth gab ihm einen Freipass: «Sie ist nicht als Heilbehandlung, sondern als kosmetische Methode zu qualifizieren und untersteht als solche nicht unserer Aufsicht», beschied er Kiser schriftlich. Und weiter: «Wir haben deshalb keine Einwände vorzubringen.» Im Klartext: Kiser braucht für den Betrieb des Diathermie-Geräts keine Bewilligung. Erstaunlich, denn das Gerät ist Marke Eigenbau. Der Erfinder ist Tattoo-Jimmy aus Dogern (D). Dieser hat bei einem Profigerät, das Ärzte bei Operationen anwenden, die Leistung herabgesetzt - und es für Tattoo-Studios auf den Markt gebracht.
Doch selbst bei kleiner Leistung sei Vorsicht geboten, warnt das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Denn Diathermie könne mit Herzschrittmachern und anderen Elektro-Implantaten interagieren. Die Folge: Ein Stromschlag, der das Gehirn schädigt. Laut BAG gab es im Ausland deswegen bereits zwei Tote. Mike Kiser sagt, er mache seine Kunden in einem Formular auf diese Gefahren aufmerksam.
Bei Claudia Hutter brannte er Haut von der Grösse einer Postkarte weg - in nur sieben Minuten. Darüber schüttelt Tattoo-Jimmy den Kopf: «Das ist eine Frechheit. Wir verkaufen das Gerät explizit mit der Empfehlung, solche Flächen in mindestens zwei, besser aber in drei oder vier Sitzungen zu entfernen.» Sonst, so Tattoo-Jimmy, «verheilt die Wunde schlecht und es entstehen mit grösster Wahrscheinlichkeit hässliche Narben».
Ob Mike Kiser grobfahrlässig gehandelt hat und Körperverletzung vorliegt, klärt jetzt das Gericht. Denn Claudia Hutter und Ingrid Müller haben - unabhängig voneinander - Klage gegen ihn eingereicht. «Wir wollen verhindern, dass er weitere Leute schädigt», sagen sie.
Nur beim Arzt!
Wer ein Tattoo enfernen lassen will, sollte sich laut Professor Reinhard Dummer von der Dermatologischen Klinik des Zürcher Unispitals an folgende Punkte halten:
- Lassen Sie Ihr Tattoo mit einem Q-Switched-Laser entfernen. Nur Ärzte dürfen dieses Gerät bedienen. Der Laser heizt die Farbpigmente in Sekundenbruchteilen auf und zerstört sie.
- Je grösser das Tattoo, desto grösser ist auch der Eingriff. Geringfügige Schäden sind auch beim Q-Switched-Laser möglich. Der Laser verbrennt die Haut nicht. Das Risiko für Narben ist gering.
- Kosten pro Sitzung: zwischen 300 und 500 Franken. Im Minimum sind drei, bei mehrfarbigen, grösseren Tattos zehn Sitzungen nötig. Die Krankenkassen bezahlen den Eingriff nicht.