Jedes Jahr werfen Banken und Finanzgesellschaften unzählige strukturierte Produkte neu auf den Markt. Allein letztes Jahr wurden in der Schweiz rund 70 Milliarden Franken in solche Anlagevehikel investiert. Doch nur die wenigsten wissen, was genau sie eigentlich kaufen.
Strukturierte Produkte sind nämlich komplexe Anlageformen mit unverständlichen Bezeichnungen. Man könne damit «in steigenden, seitwärts tendierenden oder auch in fallenden Märkten attraktive Renditen erzielen», verspricht zwar die Scoach Schweiz AG, die eine spezielle Börse für diese Produkte betreibt. Aber: «Für den Begriff ‹strukturierte Produkte› gibt es nicht einmal eine offizielle Definition», kritisiert Stephanie Comtesse, Rechtanwältin in der Zürcher Wirtschaftskanzlei Bär & Karrer, geschweige denn eine gesetzliche Regelung. Fazit: Aus den mageren Informationen zu strukturierten Produkten wird kaum einer schlau – auch nicht, wenn er sich telefonisch erkundigt (siehe unten).
Norwegen schränkt den Verkauf ein
«Entsprechend kaufen die meisten Anleger die falschen Produkte», so Thorsten Hens, Direktor des Schweizerischen Bankeninstituts der Universität Zürich. Die Aussage stammt aus einer noch unveröffentlichten Studie mit dem bezeichnenden Titel «The Dark Side of the Moon» (die dunkle Seite des Mondes).
Laut Hens gäbe es zwar durchaus strukturierte Produkte, die als Absicherung von Investitionen sinnvoll seien und dem Portfolio zu einer besseren Rendite verhelfen. Nur: «Zur Hauptsache verkaufen die Herausgeber Produkte, die nicht im Interesse der Kunden sind.» Gekauft werde nämlich nicht rational, sondern aus dem Bauch heraus – vermeintlich, um Risiken zu vermeiden, oder weil die Wahrscheinlichkeit eines Kurseinbruchs völlig unterschätzt werde.
Die Europäische Union hat die Konsequenzen gezogen und verlangt seit 1. November 2007, dass die Banken ihre Kunden aktiv auf das bestmögliche Investment aufmerksam machen. Norwegen ging noch weiter: Seit Februar ist dort der Verkauf von strukturierten Produkten an Private sehr stark eingeschränkt.
«Damit ist das Geschäft mit strukturierten Produkten in unserem Land praktisch zum Erliegen gekommen», weiss Rune Kibsgaard Sjøhelle, Sprecher der Nordea-Bank in Oslo.
Selbst auf dem grössten Finanzmarkt der Welt, den USA, sind strukturierte Produkte kaum erhältlich: «Die Herausgeber fürchten sich vor Klagen, wenn es zu Verlusten kommt und die Anleger dann merken, dass sie gar nicht wussten, was sie gekauft haben», weiss Banken-Experte Hens.
Ein Erklärungsversuch des SVSP: Auch der Verband hat Mühe
Der Schweizerische Verband für strukturierte Produkte (SVSP) vertritt die Herausgeber solcher Anlageformen. Auf seiner Internetseite versucht der SVSP zu erklären, was strukturierte Produkte sind. Und scheitert kläglich, wie der folgende Auszug zeigt:
«Strukturierte Produkte sind von einem Emittenten öffentlich ausgegebene Anlageinstrumente, deren Rückzahlungswert von der Entwicklung eines oder mehrerer Basiswerte abgeleitet ist. Als Basiswerte dienen Anlagen wie Aktien, Zinsen, Devisen oder Rohstoffe. Strukturierte Produkte setzen sich aus der Kombination einer klassischen Anlage (beispielsweise einer Obligation) mit einem derivativen Finanzinstrument zusammen. Derivative sind Termingeschäfte, deren Preis sich von einem Basiswert (dem sogenannten Underlying) ableitet.»
Ein Erklärungsversuch der Verkäufer: «Underlying» mit dem «Multi Defender»
Ein K-Tipp-Redaktor versuchte, aus strukturierten Produkten schlau zu werden. Vergebens.
«Vonti» wirbt in der Gratiszeitung «Cash daily» für den «Multi Defender». «Multi Defender» klingt nach britischem Geländewagen, ist aber ein Anlagevehikel. «Vonti» tönt wie der Übername eines alten Schulkollegen, ist aber die Derivate-Abteilung der Bank Vontobel.
Ich lese weiter. Und verstehe Bahnhof. Was soll eine «Barrier-Put-Option» sein? Und wie habe ich folgenden Satz zu verstehen? «Sollte jedoch einer oder mehrere Basiswerte die Barriere verletzt haben und die Schlussfixierung unter dem Ausübungspreis liegen, so wird die unter Bezugsverhältnis angegebene Anzahl des Basiswerts mit der grössten Negativperformance ausgeliefert.» Alles klar?
Mir nicht. Deshalb rufe ich «Vonti» an. Und siehe da. Nach mehrmaligen Nachfragen wird klar, was der obige Satz bedeutet: dass ich, falls es an der Börse schlecht laufen sollte, mein Geld nicht zurückerhielte, sondern Aktien, die nicht mehr viel wert sind.
Für «ETCs auf WTI Rohöl» wirbt die UBS. Auch hier rufe ich an. Geduldig beantwortet mir der Bank-angestellte meine Fragen. Wobei: Pro Fremdwort, das er mir erklärt, braucht er drei neue. Da ist die Rede von «Index-Trackern», von «Delta-1-Produkten», vom «CMCI-Index», von «Indexmaschinen» und «Indexmethodologien» sowie von «Terminkontrakten». Ich gebe auf.
Und widme mich dem «Multi Barrier Reverse Convertible» von Goldman-Sachs. Ich versuche gar nicht erst, das Inserat zu verstehen, sondern rufe gleich an. Die Anlage sei ein Zertifikat, erfahre ich. Dessen Wert hänge vom «Underlying» ab. Die «Payoff-Struktur» streifen wir nur am Rande. Klar wird aber auch hier: Sollten die Kurse sinken, gibts am Schluss Aktien von minderem Wert.
Deshalb interessiere ich mich natürlich auch für das Gegenteil: den «Inverse Multi Barrier Reverse Convertible» von Goldman-Sachs. Und ich erfahre: Wenn ich 1000 Franken investiere und der Kurs auf 1600 Franken steigt, dann erhalte ich am Schluss gerade noch 400 Franken. Ein Bombengeschäft. «Inverse» eben.
Zum Glück gibts bei «Vonti» noch einen kleinen, durchaus verständlichen Hinweis: «Nur wer sich über die Risiken des abzuschliessenden Geschäfts zweifelsfrei im Klaren ist, sollte derartige Geschäfte tätigen.» Ich halte mich daran. - Marco Diener