Mobilfunkbetreiber kontrollieren sich selbst
Swisscom, Sunrise und Orange sollen sich selbst anzeigen, wenn ihre Antennen zu stark strahlen. So will es ausgerechnet die oberste Umweltbehörde des Bundes.
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saldo 3/2006
15.02.2006
Marc Meschenmoser
Stellen Sie sich vor: Sie fahren mit dem Auto 150 statt 120 km/h und gehen zwei Monate später zur Polizei, um die Überschreitung anzuzeigen. Undenkbar? Nicht für das Bundesamt für Umwelt (Bafu). Wenn es um die Strahlung von Mobilfunkantennen geht, setzt es genau auf dieses Prinzip. Unter dem Titel «Bessere Kontrolle von Mobilfunkantennen» hat das Bafu Mitte Januar angekündigt: Die Netzbetreiber Swisscom, Sunrise und Orange müssen in ihre Steuerungszentralen bis Ende Jahr eine Software ei...
Stellen Sie sich vor: Sie fahren mit dem Auto 150 statt 120 km/h und gehen zwei Monate später zur Polizei, um die Überschreitung anzuzeigen. Undenkbar? Nicht für das Bundesamt für Umwelt (Bafu). Wenn es um die Strahlung von Mobilfunkantennen geht, setzt es genau auf dieses Prinzip. Unter dem Titel «Bessere Kontrolle von Mobilfunkantennen» hat das Bafu Mitte Januar angekündigt: Die Netzbetreiber Swisscom, Sunrise und Orange müssen in ihre Steuerungszentralen bis Ende Jahr eine Software einbauen, die Grenzwertverstösse registriert. Überschreitungen sollen innert 24 Stunden behoben und alle zwei Monate den Behörden gemeldet werden. Bereitwillig haben die drei Netzbetreiber die Empfehlung unterzeichnet.
Selbstanzeige der Mobilfunkfirmen: «Das ist ein Witz»
Hans-Ulrich Jakob, Präsident der Schweizer Vereinigung Elektrosmog-Betroffener Gigaherz: «Die Mobilfunkkonzerne müssten sich selbst denunzieren. Das ist ein Witz.» Bei Jakob melden sich täglich Menschen, die neben einer Antenne wohnen und aufgrund der elektromagnetischen Strahlung unter Schlafstörungen, Kopfweh und Herzbeschwerden leiden.
Immer mehr Fachleute bezweifeln, dass der heute gültige Grenzwert von 5 Volt pro Meter ausreicht, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden. So betonte Peter Röösli vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin in Basel bereits 2003 gegenüber saldo: «Wenn man vorsichtig sein will, müsste man den Grenzwert herabsetzen.» Passiert ist nichts, im Gegenteil: Mit dem neuen UMTS-Netz haben Sunrise, Swisscom und Orange seit fünf Jahren knapp 3000 neue Antennenstandorte gebaut.
Kontrollen finden nur äusserst selten statt
Momentan strahlen in der Schweiz an 10 400 Standorten über 30000 Antennen. Ob die geltenden Grenzwerte eingehalten werden, wissen allein die Mobilfunkanbieter. Und diese werden von den Kantonen höchst selten kontrolliert. Sunrise- Sprecherin Muriel Mathis: «In manchen Kantonen finden die Kontrollen auch mehr als ein-bis zweimal pro Jahr statt.»
Diese large Praxis kritisierte das Bundesgericht letzten März und forderte, «dass die Einhaltung der Grenzwerte durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen gewährleistet wird». Daraufhin bewilligten die Kantone Bern und Wallis sowie einige Gemeinden seit letztem November keine neuen UMTS-Anlagen mehr. Jakob: «Landesweit wurden 700 Antennen gestoppt.»
Eine bauliche Leistungsbegrenzung an den Antennen lehnen die Betreiber im Einklang mit den Behörden ab. In einer internen Expertise argumentiert das Bundesamt für Kommunikation ganz im Sinne der Industrie: «Eine Hardware-Kon-trolle könnte die Betriebskosten massiv ansteigen lassen.» Und für das Bafu, die höchste Umweltschutzbehörde im Land, ist klar: «Mit der Software zur Kontrolle der Strahlengrenzwerte können Mobilfunkantennen wieder bewilligt werden.»
Das sehen nicht nur Elektrosmog-Kritiker anders, sondern auch kommunale Behörden. Etwa in Burgdorf BE. Bruno Locher, Leiter Baubewilligungen: «Bis klar ist, ob und wie UMTS-Antennen die menschliche Gesundheit schädigen, bewilligen wir keine solchen neuen Antennen mehr.» Derzeit lässt der Bund in Menschen-versuchen abklären, ob UMTS-Antennen zu Schwindel, Übelkeit und Herzproblemen führen, wie eine Studie der holländischen Regierung vor drei Jahren zeigte.
Die Betroffenenvereinigung Gigaherz wirft den Betreibern vor, im Baugesuch sehr tiefe Strahlenwerte zu deklarieren, um dann die Leistung hochzufahren, sobald die Anlage steht. Aktuelle Baugesuche zeigen:
Orange deklariert in Rubigen BE 415 Watt abgestrahlte Leistung, die Antenne kann jedoch theoretisch 86-mal stärker senden (36000 Watt). In Schwarzenburg BE deklariert Sunrise, mit 1480 Watt zu senden, die Antenne kann aber um das 60fache auf 18000 Watt hochgefahren werden. Genau dies kritisiert das Bundesgericht und schreibt: «Ist die deklarierte Leistung niedriger als die maximale Strahlungsleistung, besteht keine Gewähr, dass die Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden.»
Sunrise und Co. zahlen Massnahmen gegen zu starke Strahlung
Orange schreibt, man halte sich ans Gesetz, Sunrise ergänzt: «Das Ziel ist, mit möglichst wenig Leistung die gewünschte Versorgung zu erreichen.» Branchenriese Swisscom ignorierte die Fragen von saldo. Claude Georges, Swisscom-Leiter Mo-bilfunk und Umwelt: «Solange saldo falsche Informationen verbreitet, sagen wir nichts mehr.» saldo weiss von mehreren Gemeinden und Betroffenen: Die Mobilfunkkonzerne senden an einigen Standorten mit zu hoher Leistung. Damit in Dachwohnungen unterhalb einer Antenne der Grenzwert noch eingehalten wird, bezahlen Sunrise und Co. den Bewohnern bauliche Abschirmungsmassnahmen, um einen Teil des Elektrosmogs aufzuhalten.
Solche Probleme kennen die Chefs der Mobilfunkkonzerne nur vom Hörensagen. Sie wohnen allesamt weit weg von der nächsten Handy-Antenne: Swisscom-Chef Carsten Schloter in Tafers FR, in 1,38 Kilometer Distanz, Orange-Chef Andreas Wetter in Boll BE, 1,44 Kilometer entfernt und Sunrise-Mobile-Chef Kurt Lüscher in Schmerikon SG, 760 Meter weit weg.
Was halten Sie davon, dass Swisscom, Sunrise und Orange die Einhaltung der Strahlungsgrenzwerte selber kontrollieren? Schreiben Sie an: saldo, Postfach 723, 8024 Zürich oder redaktion@saldo.ch