Etiketten-Schwindel mit amtlicher Bewilligung
Erdbeeren auf der Sirupetikette, aber vorwiegend künstliche Aromen in der Flasche. Das ist neuerdings ganz legal. Konsumenten haben das Nachsehen.
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saldo 08/2010
25.04.2010
Letzte Aktualisierung:
27.04.2010
Sabine Rindlisbacher
Die Bestimmung für aromatisierte Lebensmittel war klar: Wenn Geruch und Geschmack überwiegend durch Aromen erzeugt werden, sind Abbildungen von entsprechenden natürlichen Zutaten auf der Verpackung verboten. Wollten Hersteller zum Beispiel auf einem Schoggi-Joghurt Schokolade abbilden, musste der Geschmack in erster Linie von echter Schokolade stammen. Einzige Ausnahmen waren Tee, Instant- und Fertiggetränke sowie Zuckerwaren.
Dies galt bis Mai 2009. Dann strich...
Die Bestimmung für aromatisierte Lebensmittel war klar: Wenn Geruch und Geschmack überwiegend durch Aromen erzeugt werden, sind Abbildungen von entsprechenden natürlichen Zutaten auf der Verpackung verboten. Wollten Hersteller zum Beispiel auf einem Schoggi-Joghurt Schokolade abbilden, musste der Geschmack in erster Linie von echter Schokolade stammen. Einzige Ausnahmen waren Tee, Instant- und Fertiggetränke sowie Zuckerwaren.
Dies galt bis Mai 2009. Dann strich das Bundesamt für Gesundheit BAG den Artikel 34 aus der Kennzeichnungsverordnung für Lebensmittel – ersatzlos. Begründung: Abbau von Handelshemmnissen und Anpassung an das EG-Recht.
Von der Aufhebung des Verbots profitiert einzig die Lebensmittelindustrie. Dies bestätigt jetzt ein Gerichtsurteil des Zürcher Verwaltungsgerichts. Nach einem zweijährigen Rechtsstreit hat ein Sirup-importeur einen süssen Sieg errungen. Verlierer ist das Kantonale Labor Zürich, das die Konsumenten beim Kauf von Lebensmitteln vor Täuschung schützen soll.
Der Zürcher Kantonschemiker beanstandete den französischen Erdbeersirup «Monin Fraise». Der Sirup enthalte nur 18 Prozent Erdbeersaft. Der Geschmack basiere vorwiegend auf künstlichen Aromen und nicht auf echten Erdbeeren.
Das Amt forderte den Generalimporteur des Sirups auf, für die «lebensmittelrechtskonforme Kennzeichnung» zu sorgen. Sprich: Die Erdbeeren sollen von der Etikette verschwinden. Doch der Importeur weigerte sich, die Etikette des rund 17 Franken teuren Sirups zu ändern, und legte Rekurs ein. Mit Erfolg: Die Etikette bleibt, wie sie ist.
Früchte auf der Etikette sind kein Garant für echte Früchte im Sirup
Beim Urteil stützten sich die Richter auf die mittlerweile gelockerte Bestimmung der Kennzeichnungsverordnung. Zudem bestehe keine Täuschungsgefahr: Nach der Angleichung an das EG-Recht könnten Konsumenten künftig nicht mehr ohne Weiteres Schlüsse aus Abbildungen ziehen. Früchte auf Sirupetiketten seien kein Garant mehr dafür, dass der Geschmack vorwiegend aus Essenzen der abgebildeten Früchte stamme.
Das Verwaltungsgericht wälzt die Verantwortung auf die Konsumenten ab: Bei Interesse, so die Zürcher Richter, werde der Konsument die Angaben über die genaue Zusammensetzung des Produkts durchlesen. Das Bundesamt bestätigt: Da es keine Regelung mehr zu Abbildungen mit aromatisierten Lebensmitteln gibt, können Hersteller theoretisch natürliche Zutaten auf Produkten abbilden, sogar wenn diese ausschliesslich künstliche Aromen enthalten.
Deutschland will Aroma-Schwindelkünftig unterbinden
Für die Konsumenten könnte das Urteil weitere Nachteile bringen. Als das Bundesamt für Gesundheit den Artikel aufhob, kündigte es neue Richtlinien an. Diese sollten künftig vor Täuschungen bei aromatisierten Lebensmitteln schützen. Jetzt tönt es anders. BAG-Sprecherin Sabina Helfer: «Das Bundesamt prüft zurzeit, ob eine Leitlinie im Sinne des Urteils noch notwendig ist.»
Während die Schweiz die Hände in den Schoss legt, arbeitet das EU-Land Deutschland an einem Schutz der Konsumenten: Ilse Aigner, Bun-desministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag: «Es muss drin sein, was abgebildet ist. Wenn Kirschen abgebildet sind, dürfen nicht nur Aromen enthalten sein.»
Die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs verlangt von mehreren Getränkeherstellern, auf abgebildete Früchte für ihre Produkte zu verzichten, wenn diese nicht auch Saft aus der abgebildeten Frucht enthalten. Eine Klage ist noch hängig. Christiane Köber, Geschäftsführerin der Wettbewerbszentrale: «In den meisten Fällen stammen die Aromen noch nicht einmal aus der Frucht, sondern aus Schimmelpilzkulturen oder Sägespänen.»