Calida-Pyjamas - made in Portugal und Ungarn
Schweizer Kleider sind nichts für Normalverdiener: Hier werden nämlich fast nur noch sündhaft teure Unterwäsche und Kleider aus Edelstoffen genäht.
Inhalt
Haus & Garten 2/2004
05.05.2004
Esther Diener Morscher
Ein Calida-Pyjama liegt auch heute noch unter jedem zweiten Weihnachtsbaum. Die traditionsreiche Nachtwäsche wird meist im Glauben gekauft, es handle sich dabei um ein echt schweizerisches Produkt. Doch wer im Schrank tatsächlich noch ein Calida-Pyjama mit der Etikette «Made in Switzerland» findet, besitzt eine Rarität.
In den letzten Jahren hat Calida immer mehr Wäsche in Portugal und Ungarn nähen lassen. Das definitiv letzte echte Schweizer Pyjama hat die Fabrikhallen von...
Ein Calida-Pyjama liegt auch heute noch unter jedem zweiten Weihnachtsbaum. Die traditionsreiche Nachtwäsche wird meist im Glauben gekauft, es handle sich dabei um ein echt schweizerisches Produkt. Doch wer im Schrank tatsächlich noch ein Calida-Pyjama mit der Etikette «Made in Switzerland» findet, besitzt eine Rarität.
In den letzten Jahren hat Calida immer mehr Wäsche in Portugal und Ungarn nähen lassen. Das definitiv letzte echte Schweizer Pyjama hat die Fabrikhallen von Calida im Januar 2003 verlassen. Heute kommen aus Sursee LU nur noch Musterkollektionen, Kleinserien sowie Stoffteile, die von elektronisch gesteuerten Maschinen zugeschnitten werden. Für die weitere Verarbeitung schickt Calida die Ware ins Ausland. Denn mit Pyjamas «made in Switzerland» lässt sich schlicht weniger Geld verdienen - nicht zuletzt der Löhne wegen.
Bei Massenware kann und will die Schweizer Bekleidungsindustrie nicht mithalten: «Wer hier produziert, liegt preislich jenseits von dem, was Konsumenten für Kleider zahlen würden», stellt Rolf Langenegger fest. Er ist beim Textilverband Schweiz für die Bekleidungsindustrie zuständig.
Erfolgreich in der Schweiz Kleider nähen können nur noch knapp 100 Unternehmen. Die übrigen haben aufgegeben oder, wie Calida, ihre Produktion ins Ausland verlagert.
Der Spardruck in der Branche ist enorm: «Ein Anzug, der vor 30 Jahren 270 Franken gekostet hat, darf heute nicht mehr kosten», behauptet Langenegger. «Doch Löhne, Mieten, Transport- und andere Kosten sind in dieser Zeit stark gestiegen. Also müssen die Hersteller die Produktionskosten drücken. Und das ist nur möglich, wenn die Kleider in Billiglohnländern hergestellt werden.»
Ricky Martin, Prinz Charles und Co. in Schweizer Slips
Einige wenige Schweizer Hersteller kümmern sich nicht um diese Gegebenheiten im Kleidermarkt. «Zimmerli of Switzerland» etwa verlangt rund 50 Franken für einen traditionellen Herren-Slip - und hat trotzdem weltweit Erfolg: Der Aarburger Wäschehersteller beliefert auch Könige, Scheichs und Filmstars. Zimmerli ist für Prinz Charles genauso ein Begriff wie für das Latin-Pop-Idol Ricky Martin. Die Unterwäsche ist echt schweizerisch: Sie kommt aus Coldrerio im Tessin.
«Nein, im Ausland würde ich das feine Material nicht nähen lassen», sagt Zimmerli-Mitbesitzer Walter Borner bestimmt. Dies, obwohl ihn jede Mitarbeiterin in der Schweiz jährlich rund 6000 Franken mehr koste als in Italien, wie er betont: «Dafür arbeiten die Angestellten in der Schweiz länger, sind weniger krank und wechseln selten die Stelle.» Von der Schweiz aus könne er ausserdem rasch auf spezielle Kundenwünsche reagieren.
Kostüm made in Switzerland für 1700 Franken: Zu teuer
Wer in der Schweiz produziert, kann wie Zimmerli zwar einem Scheich in Saudiarabien innert drei Wochen 100 Unterhosen liefern. Doch für Konsumenten
mit Durchschnittseinkommen ist die Wäsche kaum bezahlbar. Genauso wie Edelbekleidung von Akris in St.Gallen oder von Strellson in Kreuzlingen TG.
«Ein Bekleidungsteil, das in der Schweiz hergestellt wird, ist für Normalverbraucher unerschwinglich», gibt Akris-Geschäftsleiter Peter Kriemler unumwunden zu. Die Kostüme, Kleider und Mäntel, die Akris im Tessin nähen lässt, kosten alle 1000 und mehr Franken. Etwa halb so teuer sind Modelle aus der Kollektion Akris punto, die in Italien und Slowenien genäht werden. Doch halb so teuer ist nicht billig: Ein Kostüm kostet allemal 1700 Franken.
Schweizer Chic wird denn auch zu einem guten Teil gar nicht für inländisches Publikum, sondern für Luxusgeschäfte im
Ausland produziert. Während die
Exportzahlen in anderen Branchen sinken, boomt die Schweizer Bekleidungsindustrie: Letztes Jahr hat sie rund 30 Prozent mehr exportiert als im Vorjahr.
Darüber, was den weltweiten Erfolg der beiden Marken Zimmerli und Akris ausmacht, sind sich die Verantwortlichen nicht ganz einig: Für Walter Borner von Zimmerli hat der Erfolg drei Gründe: die gute Marke, gute Qualität und schnelle Lieferung. Peter Kriemler von Akris meint dagegen kritisch: «Dass wir in der Schweiz produzieren, ist jedenfalls kein Erfolgsfaktor. Denn die Schweiz ist heute kein optimaler Standort mehr.»
Bemerkenswert: Obwohl bei beiden Erfolgsmarken schon seit langem Männer das Sagen haben, standen ursprünglich Frauen hinter den Unternehmen. 1871 importierte die ehemalige Arbeitsschullehrerin Pauline Zimmerli-Bäuerlin in Aarburg AG die erste Strickmaschine. 1922 kaufte Alice Kriemler-Schoch eine Nähmaschine, nannte ihre Firma nach ihren Initialen Akris und legte so den Grundstein für den heutigen Edelbetrieb.
Nur noch 5700 arbeiten in der Bekleidungsindustrie
Sehr kritisch beobachtet wird der Erfolg der Schweizer Kleiderhersteller bei den Gewerkschaften: Wohl zahlt die Schweiz im Vergleich zum übrigen Europa in der Bekleidungsindustrie die höchsten Löhne. Innerhalb der Schweiz gehören die Näherinnen-Löhne aber zu den mit Abstand tiefsten. Im Tessin, wo die meisten Schweizer Kleider produziert werden, nähen, bügeln und verpacken vor allem Grenzgängerinnen die edlen Textilien. Durchschnittslohn: 2200 Franken netto monatlich, wie Mehmet Akyol, Textilsekretär bei der Gewerkschaft Bau und
Industrie (GBI), bestätigt.
Bei Zimmerli verdient eine Näherin im Südtessin laut Walter Borner durchschnittlich 2600 Franken. Peter Kriemler betont, dass Akris die ausgehandelten Tariflöhne zahle: rund 3000 Franken brutto.
Gerade noch 5700 Beschäftigte gibt es in der Schweizer Bekleidungsindustrie. Kleiderkäuferinnen und -käufer staunen über solche Zahlen - schliesslich kennt man etliche einheimische Kleidermarken: Zimtstern und Alprausch zum Beispiel sind in der Snowboard-Szene zum Kult geworden. Und auch der legendäre Nabholz-Trainer (der mit Lorbeerkranz und dem Wappen von Schönenwerd AG) erlebt im Zuge der Retro-Welle ein Revival.
«Made in Switzerland» ist für Kunden nicht wichtig
Echt schweizerisch an solchen Marken sind jedoch nur noch
Name, Design und Management. Genäht werden diese Kleider in Rumänien, Portugal, der Türkei oder im Fernen Osten.
Allerdings ist es der Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten offenbar auch egal, wo Zimtstern, Alprausch oder Nabholz hergestellt werden. Rolf Langenegger vom Textilverband jedenfalls erklärt: «Untersuchungen haben gezeigt, dass "made in Switzerland" bei Kleidern kein Einkaufskriterium ist. Viel wichtiger sind den Kundinnen und Kunden Preis und Pflegeleichtigkeit.»
Selbst die Schweizer Armee verschmäht einheimische, weil teure Textilproduktion: So wird das olivegrüne «Gnägi-Leibchen» - benannt nach Exverteidigungsminister Rudolf Gnägi - künftig in China, Indien und Thailand genäht. Heimatschutz darf der Bund in Zeiten der Globalisierung nicht mehr betreiben: Grössere Aufträge muss er international ausschreiben und die günstigste Variante wählen - und die ist in der Schweiz schon lange nicht mehr erhältlich.
High Tech und Haute Couture: Begehrte Schweizer Stoffe
Mit den Kleiderproduzenten sind auch viele Stoffhersteller ins Ausland abgewandert. Übrig geblieben sind 280 Betriebe, die Garne und Stoffe herstellen. Einige davon sind weltweit bekannt.
Allerdings: Viele Stoffe werden kaum noch zu Blusen und Hosen verarbeitet. Aus ihnen entstehen zum Beispiel Spinnaker-Segel, Filter und Transportbänder.
Der Stoff der Langenthaler Firma Lantextiles etwa reist als Bezug von Flugzeug-, Bahn- und Bussitzen um die Welt. Création Baumann exportiert aus Langenthal BE Möbel- und Vorhangstoffe. «Mit ihren High-Tech-Stoffen ist die Schweiz international sehr stark», lobt Helmut Hälker, Direktor der Schweizerischen Textilfachschule.
Einige Schweizer Firmen haben aber mit Kleiderstoffen ihre Nischen gefunden:
Jenny Fabrics aus Ziegelbrücke GL, Eschler aus dem appenzellischen Bühler und Schoeller Textilien in Sevelen SG produzieren Stoffe für Sport, Mode und Arbeitskleider.
Und die Firma Jakob Schlaepfer in Sankt Gallen ist mit ihren modischen Luxusstoffen für die internationale Haute Couture zur begehrten Adresse geworden.