«Zielgenauer Anflug kein Problem»

Offiziell halten die Schweizer Atomkraftwerke einem Flugzeugabsturz stand. Doch diese Einschätzung steht auf wackligen Beinen.

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K-Tipp 06/2013

27.03.2013

Gery Schwager

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Der Bundesrat will den Schweizer Atomkraftwerken (AKW) keinen Abschalttermin vorschreiben. Das hat er Mitte März klargemacht. Die Anlagen in Beznau, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt sollen in Betrieb bleiben, «solange sie sicher sind».

Sind sie das? Zumindest in Bezug auf Attacken aus der Luft, also beispielsweise für den Fall eines gezielten Flugzeugabsturzes, bestehen massive Zweifel.

Dabei hatte die Aufsichtsbehörde des Bundes 2003 im bislang einzigen Bericht zum Thema fast alle Bedenken vom Tisch gewischt: Bei Gösgen und Leibstadt bestehe «Vollschutz gegen die Absturzfolgen eines modernen, voll betankten Langstreckenflugzeugs bei hoher Geschwindigkeit», ist darin zu lesen. Die Anlagen hätten somit einen höheren Schutzgrad als bei der Projektierung verlangt. Auflage war damals, dem Aufprall einer Boeing 707 mit Resttreibstoff und einer Geschwindigkeit von 370 km/h standzuhalten.

Diese Auflage würden laut Bericht auch die älteren AKW Beznau und Mühleberg erfüllen, bei deren Bau es noch keine Vorschrift zur Widerstandsfähigkeit gegenüber Flugzeugabstürzen gab. Und sowieso sei «ein zielgenauer Anflug mit einem Grossflugzeug auf die sicherheitsrelevanten Strukturen der Kernkraftwerke aus fliegerischen, flugtechnischen und topografischen Gründen (...) bei hohen Geschwindigkeiten kaum machbar».

«Das kann jeder ausgebildete Pilot»

Für Kritiker ist der Bericht der Atomaufsichtsbehörde das Papier nicht wert, auf dem er steht. Sie argumentieren:

Schon 2003 wäre es fliegerisch möglich gewesen, ein AKW zu treffen – und heute gilt das erst recht. «Dass ein Schweizer AKW von einem Grossflugzeug nicht zielgenau angeflogen werden kann, ist eine leere Behauptung. Jeder ausgebildete Pilot wäre dazu in der Lage», sagt Max Tobler. Er arbeitete 32 Jahre für die Swissair, unter anderem als Kapitän auf den «Riesenvögeln» Boeing 747 und MD-11. Heute trainiert er Linienpiloten im Flugsimulator.
Es ist zu bezweifeln, dass Mühleberg und Beznau den Aufprall einer Boeing 707 mit 370 km/h aushalten würden. Ein vom deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit veranlasstes Gutachten kam bereits 2002 zum Schluss: Im Fall des AKW Brunsbüttel – das wie Beznau und Mühleberg nicht für das Überstehen eines Flugzeugabsturzes ausgelegt ist – drohe schon beim Aufprall eines vergleichsweise kleinen Airbus A320 mit 360 km/h die Zerstörung des Reaktorgebäudes mit früher Freisetzung von Radioaktivität. Deutschland hat Brunsbüttel und sieben weitere Alt-AKWs im Jahr 2011 stillgelegt.
Eine Boeing 707 mit 370 km/h ist eine Sache – eine Boeing 747 oder ein Airbus A380 mit 700 bis 800 km/h etwas ganz anderes. Tobler weist darauf hin, dass eine Boeing 747 mit 720 km/h ungefähr 16-mal so viel Aufprallenergie mitbringt wie die viel leichtere Boeing 707 mit 370 km/h.
In der Schweiz gilt seit 1986: Um Vollschutz gegen einen Flugzeugabsturz zu erreichen, müssten neue AKWs eine «Mindestbetonwandstärke» von eineinhalb Metern aufweisen. Beim AKW Mühleberg beträgt die Wandstärke des Reaktorgebäudes im zylindrischen Teil etwa 60 Zentimeter, im Deckenbereich über dem Lagerbecken für die Brennelemente gar nur 15 bis 30 Zentimeter, wie aus einer Aktennotiz der Aufsichtsbehörde von 2001 hervorgeht.

Der K-Tipp hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) mit diesen Kritikpunkten konfrontiert. Die Aufsichtsbehörde schreibt: «Das Ensi darf sich bei seinen Analysen und Entscheiden nicht einfach auf Vermutungen oder Spekulationen abstützen.» Darum habe man schon für den Bericht von 2003 Linienpiloten im Simulator Anflüge auf AKWs fliegen lassen.

Hausaufgaben für AKW-Betreiber

Heute scheint aber nicht mal mehr das Ensi selber dem Bericht zu vertrauen. Es hat jüngst eine Aktualisierung angekündigt: Die AKW-Betreiber müssen mit Simulationen die bisher zugrundegelegten Geschwindigkeiten für gezielte Anflüge auf ihre Anlagen überprüfen. Auch haben sie abzuklären, welche Anflugrouten und -geschwindigkeiten möglich sind. Resultate sollen bis Ende 2014 vorliegen.

Man habe den Auftrag des Ensi zur Kenntnis genommen, teilen die Kraftwerksbetreiber dem K-Tipp mit. Und sie machen klar: Bis zum Abschluss der Überprüfungen gibts zum Thema Flugzeugabsturz keine Auskünfte mehr.

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