”Weniger Fleisch aus Massentierhaltung essen”
Weltweite Hungersnot: Wie es dazu kommt und welchen Beitrag Konsumenten dagegen leisten können. Ein Interview mit dem Agronomen Gil Ducommun.
Inhalt
saldo 08/2008
28.04.2008
Interview: Marianne Fehr
saldo: Hungersnöte in Ägypten, Haiti und Asien: Weltweit sind 100 Millionen Menschen mehr als noch vor sechs Monaten auf Hilfe angewiesen. Warum?
Gil Ducommun: Bis vor anderthalb Jahren waren die Weltmärkte mit Nahrungsmitteln überschwemmt, die Preise sehr tief. Damals wie heute sind in den betroffenen Ländern die Läden nicht leer, aber die Menschen können sich die Nahrung nicht kaufen. Das Hungerproblem ist ei...
saldo: Hungersnöte in Ägypten, Haiti und Asien: Weltweit sind 100 Millionen Menschen mehr als noch vor sechs Monaten auf Hilfe angewiesen. Warum?
Gil Ducommun: Bis vor anderthalb Jahren waren die Weltmärkte mit Nahrungsmitteln überschwemmt, die Preise sehr tief. Damals wie heute sind in den betroffenen Ländern die Läden nicht leer, aber die Menschen können sich die Nahrung nicht kaufen. Das Hungerproblem ist ein Problem der Kaufkraft, das heisst des unzureichenden Einkommens der Betroffenen. Jetzt hat sich die Situation verschärft: Die Preise sind gestiegen, es gibt noch mehr Leute, die sich die Nahrung in einem ausreichenden Ausmass nicht mehr leisten können.
Welche Entwicklungen haben die Lage verschärft?
Ducommun: Es sind drei. Erstens nimmt wegen des hohen Erdölpreises und des globalen Klimawandels zurzeit die Nachfrage nach Agrarprodukten für Bio-Energie stark zu. Sie werden entweder auf der Basis von Zucker und Stärke (Zuckerrohr oder Mais) für Ethanol oder auf der Grundlage von Öl für Bio-Diesel (beispielsweise Palm- oder Sojaöl) hergestellt.
Zweitens steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Agrarprodukten für Tierfutter massiv. Dies deshalb, weil in Südostasien – China, Vietnam, Südkorea, Hongkong, Malaysia, Thailand – die Einkommen in den letzten 20 Jahren erheblich zugenommen haben. Die Folge ist dieselbe wie seinerzeit in Europa: Die Menschen änderten ihre Essgewohnheiten und wechselten von traditionellen Grundnahrungsmitteln zu teureren, vor allem zu tierischen Lebensmitteln.
Und drittens schliesslich heizen die Spekulationen der Rohstoffhändler die Weltmarktpreise an. Sie können das Angebot künstlich verkleinern und die Preise hochtreiben.
Was kann der Einzelne bei uns tun, um die Teller der Hungernden nicht noch leerer zu essen beziehungsweise zu fahren?
Ducommun: Politisch müsste weltweit mit grossem Nachdruck die Entwicklung alternativer Energien auf der Grundlage von Sonnenenergie oder Geothermie gefordert werden. Damit würde die Nachfrage nach Agrartreibstoffen reduziert. Der Konsument leistet einen – wenn auch kleinen – Beitrag, wenn er weniger Fleisch aus Massentierhaltung isst. Denn dem Geflügel und den Schweinen wird am meisten Kraftfutter verfüttert. Unproblematisch sind Tiere aus Freilandhaltung, Bio-Fleisch, das nicht intensiv produziert wird oder Schaffleisch, weil die Schafe kein Kraftfutter fressen. Teureres Fleisch also, dafür etwas weniger.
Gil Ducommun, 61, ist Leiter der Abteilung Internationale Landwirtschaft an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft in Zollikofen BE und Dozent für Entwicklungspolitik.