Keine politische Partei unternahm im Parlament etwas gegen die Schliessung von Poststellen oder Bahnschaltern. Die Politiker akzeptierten auch alle Preiserhöhungen. Sie entschieden vor einigen Jahren, Post, SBB und Swisscom als Aktiengesellschaften zu verselbständigen. Seither geht es nur noch um möglichst viel Geld für die Bundeskasse.

Der Nationalrat zeigte dem Service public zuletzt im September die kalte Schulter: Er versenkte eine Vorlage, die den Zugang der Bevölkerung zur Grundversorgung landesweit per Verfassungsartikel absichern wollte. Eine ­Woche später lehnten die gleichen Politiker auch die Volksinitiative Pro Service public ab, über die nun am 5. Juni die Stimmbürger entscheiden. 

Die Politiker sitzen nicht nur im Parlament, sondern auch in den Bundesbetrieben (K-Tipp 15/15). So sind im neunköpfigen SBB-Verwaltungsrat gleich vier SP-Mitglieder: so ­Ulrich Gygi und Ex-Nationalrat Andrea Hämmerle (siehe Kasten). 

Als Verwaltungsratspräsident der Post setzte Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) kürzlich ihren Parteikollegen und Ex-Ständerat Urs Schwaller ein. 

Im Verwaltungsrat der Swisscom sitzen das SP-Mitglied Hans Werder und seit kurzem Alain Carrupt, Ex-Präsident der Gewerkschaft Syndicom. Diese bekämpft die Initiative an vorderster Front.

Nein-Kampagne: Finanzierung unklar

Das Nein-Komitee ist mit Politikern aus allen Par­teien besetzt. Sie agieren nach dem Drehbuch einer PR-Agentur, die sich nicht zu erkennen gibt. Keine Auskunft gibts auch auf die Frage, wer die Nein-Kampagne finanziert. 

Die Landgebiete haben am meisten unter dem Abbau des Service public zu leiden. Also instrumentalisiert man entsprechende Verbände für die Kam­pagne, etwa die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. 

Auffallend ist die hohe Vertretung von CVP-Politikern: Darunter die Nationalräte Stefan Müller-­Altermatt, Dominique de Buman und Markus Ritter sowie Ständerat Isidor Baumann und Ex-Ständerat Peter Bieri. Das erstaunt nicht: Der Service public gehört zum Departement von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard.  

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse engagiert sich besonders für ein Nein. Hans­ueli Loosli, VR-Präsident der Swisscom, ist dort im Vorstandsausschuss aktiv. Auf Anfrage gibt sich der Verband zu­geknöpft: «Wir sind Teil der Nein-Koalition. Über die Art und den Umfang unseres Engagements äussern wir uns nicht.»

Gemäss Insiderinformationen hat Economiesuisse einen stattlichen Beitrag für die Gegenkampagne gesprochen. Wie viel Geld das Gegenkomitee zur Verfügung hat, wollen die vom K-Tipp angefragten Verantwortlichen nicht sagen.

Sämtliche Politiker, die in der Öffentlichkeit gegen die Initiative Pro Service public mobil machen, sind mit den Bundesbetrieben verhängt. Einige Beispiele: Nationalrat Martin Candinas (CVP/GR) hat dem Lobbyisten Matthias Diet­rich, Leiter Politik der Post AG, eine Zutrittskarte fürs Bundeshaus abgetreten. Edith Graf-Litscher (SP/ TG) ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Verbands der Telekommunikation – wie Swisscom-Chef Urs Schaeppi. Graf-Litscher wirkt auch im Vorstand des Info-Dienstes für den öffent­lichen Verkehr mit. Hier kann sie sich mit 13 Par­laments­kollegen austauschen – sowie mit den SBB-Kaderleuten Andreas Meyer, Jeannine Pilloud und Nicolas Perrin sowie mit dem Post-Konzernleitungsmitglied Daniel Landolf. SBB, Post und Swisscom sagen auf Anfrage, sie würden die Parteien nicht mit Spenden unterstützen.     

Transparenz ­unerwünscht

Pikant: Vor drei Jahren wollte Ständerat Thomas Minder (parteilos/SH) die Bundesbetriebe verpflichten, in der Jahresrechnung «alle Zuwendungen an ­politische Akteure» wie Parteien, Verbände und Abstimmungskomitees offenzulegen. Sein Vorstoss war im Parlament chancenlos.

«Kein Kommentar»

  • 2001: Thierry Lalive d’Epinay kassiert als ­Verwaltungsratspräsident  der SBB 250 000 Franken. Der Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle sagt dazu: «Wenn Lalive glaubt, die SBB seien vergleichbar mit ­einem Pharma- oder einem Nahrungsmittelkonzern, dann soll er zu einer solchen Firma wechseln.»
  • 2008: Der SBB-Chef Andreas Meyer kassiert 1,1 Millionen Franken. ­Andrea Hämmerle erklärt: «Bosse von Bundes­betrieben dürfen nicht mehr verdienen als Bundes­räte.»
  • 2012: Andrea Hämmerle sitzt nun im Verwaltungsrat der SBB. Auf die Frage von Journalisten, was er von den hohen Managerlöhnen bei den bundesnahen Betrieben hält, antwortet er: «Meine Meinung dazu äussere ich im Verwaltungsrat.»
  • 2016: Zum achten Mal in Folge verdient SBB-Chef Andreas Meyer rund 1 Million Franken. Verwaltungsrat Andrea Hämmerle: «Kein Kommentar.»