So hatte sich Carmen Frei aus Zürich (Name geändert) ihren 83. Geburtstag nicht vorgestellt. Sie musste sich an diesem Tag notfallmässig die Gallenblase entfernen lassen. Die Operation in der Zürcher Privatklinik Bethanien im Oktober verlief erfolgreich. Doch Diebe nutzten eine kurze Abwesenheit im Krankenzimmer aus und bestahlen sie.
Carmen Freis Ehemann Rolf erinnert sich: «Eine Pflegerin holte meine Frau für eine Untersuchung im Zimmer ab und bat mich, mitzukommen.» Frei begleitete sie in die Kardiologie. Nach einer Stunde kamen sie zurück ins Zimmer, das in der Zwischenzeit geputzt worden war.
Diebe schlugen auch in Freis Haus zu
Weniger später stellte Rolf Frei fest: In seiner Tasche, die er im Zimmer zurückgelassen hatte, fehlten der Ehering und Schmuck, den ihm seine Frau zur Sicherheit übergeben hatte, zudem ein Paar Ohrringe, Bargeld und Bahntickets. Gesamtwert: mehrere Tausend Franken.
Den Tag nach der Operation seiner Frau verbrachte Rolf Frei an ihrer Seite im Spital. Als er am Abend nach Hause zurückkehrte, folgte der nächste Schock. Auch in Freis Haus hatten die Diebe zugeschlagen: Sie stahlen Uhren, Schmuck und Münzen. Erst jetzt wurde dem Ehepaar Frei klar: Die Täter hatten beim Diebstahl im Spital auch Carmen Freis Wohnungsschlüssel aus ihrer Handtasche entwendet.
Das Vorgehen der Täter in diesem Fall war besonders dreist. Sie wussten offenbar genau, wann die Patientin wegen einer Untersuchung das Zimmer verliess. Zudem entwendeten der oder die Täter nicht nur den Hausschlüssel – sie konnten im Spital auch die Adresse der Patientin herausfinden.
Diebstähle im Spital sind keine Seltenheit. Die Kantonspolizei Zürich spricht von «ein paar Dutzend Fällen» jährlich. Andere Kantone führen genau Buch. Im Aargau registrierte die Polizei im Jahr 2022 nicht weniger als 34 Spitaldiebstähle. In Bern gab es 36 und in St. Gallen 48 Fälle. Laut der Kantonspolizei St. Gallen verüben oft Banden Diebstähle: «Es ist davon auszugehen, dass dies auch in Spitälern der Fall ist.»
Das Unispital Zürich registriert jährlich rund 60 Diebstähle, also mehr als einen Fall pro Woche. Laut Spitalsprecher Claudio Jörg geht man von professionellen Tätern aus, die sich auf Spitäler spezialisiert hätten.
Der K-Tipp erkundigte sich bei mehreren Spitälern, wie sie Patienten über das Diebstahlrisiko informieren. Alle Kliniken sagen, Patienten würden in der Regel mit Broschüren orientiert, die mit dem Aufgebot versandt würden.
Viele Spitäler stellen den Patienten zudem in allen Zimmern einen Safe oder abschliessbare Schränke zur Verfügung. Das gilt etwa für die Zürcher Stadtspitäler, das Unispital Zürich, die Privatklinik Hirslanden, das Berner Inselspital und das Kantonsspital Luzern.
Auch das Privatspital Bethanien verfügt in allen Zimmern über einen Safe. Laut dem Geschäftsführer wurde das Ehepaar Frei bei der notfallmässigen Aufnahme mündlich auf den Safe und den Ausschluss der Haftung hingewiesen.
Bethanien lehnt jegliche Haftung ab
Rolf Frei widerspricht dieser Aussage: Beim Eintritt habe sie niemand über das Diebstahlrisiko oder die Haftungsfrage aufgeklärt. Den Diebstahl zeigte Frei sofort bei der Polizei an. Zudem bat er das Spital, mindetens einen Teil des Schadens zu übernehmen. Die Klinik lehnte jedoch jegliche Haftung ab. Mit anderen Worten: Das Ehepaar Frei muss den finanziellen Schaden auf dem Rechtsweg geltend machen.
Auch andere Spitäler verweisen punkto Haftung für Wertsachen auf ihre Patienteninformation. Dort werde jede Haftung für Diebstähle ausdrücklich ausgeschlossen. Einzig das Privatspital Hirslanden sagt, man handhabe Diebstähle, wie Hotels dies tun: «Wir sind haftpflichtversichert und vergüten nachweislich entstandene Schäden, wenn die Täterin oder der Täter nicht bekannt ist.»
Tatsächlich haften Hotels gestützt auf den Beherbergungsvertrag bei Diebstählen aus Hotelzimmern auf jeden Fall mit 1000 Franken pro Gast. Den Schaden vollständig übernehmen müssen Hotels, wenn sie ihn mitverschulden – etwa durch ungenügende Organisation des Betriebs oder fahrlässige Auswahl des Personals.
Unter diese Regel fallen laut mehreren Rechtsexperten auch private Spitäler bei stationären Aufenthalten. Dies gelte auch für eine Klinik wie Bethanien in Zürich. Dabei handelt es sich um ein Belegspital: Es betreibt die Hotellerie und die Pflege. Für ärztliche Behandlungen arbeitet Bethanien laut Internetseite gegenwärtig mit 368 externen Ärzten zusammen.
Spitäler haften bei Mitverschulden
Zur Haftung aus dem Beherbergungsvertrag kommt die sogenannte Geschäftsherrenhaftung, wie Karl Kümin, Leiter Recht beim K-Tipp, erklärt. Laut Gesetz haftet das Spital für Schäden, die Angestellte oder Beauftragte mitverschuldet haben.
Im Fall Frei deuten mehrere Indizien darauf hin, dass es unter Spitalangestellten oder Mitarbeitern der externen Reinigungsfirma Mitwisser geben könnte: Nicht nur die Patientin, auch ihr Mann wurde aus dem Zimmer gebeten. Die Diebe untersuchten die Mappe von Rolf Frei und die Tasche seiner Frau sorgfältig und fanden auch die Wohnadresse des Paares heraus. Vor der Türe des Patientenzimmers befand sich das offene Zimmer für die Verpflegungslogistik. Jede Person, die Carmen Freis Zimmer betrat, konnte von dort aus beobachtet werden.
Laut der Privatklinik Bethanien kommt es «nur bei einem Tausendstel aller Patienteneintritte zu einer Diebstahlsmeldung». Im Polizeirapport über den Diebstahl bei Carmen Frei heisst es allerdings wörtlich: «Gemäss der Geschäftsleitung sind seit September 2023 bereits mehrere Diebstähle begangen worden.» Vermutlich hätten aber nicht alle Geschädigten, zum Teil Touristen, bei der Polizei Anzeige erstattet.
Immerhin fing das neue Jahr für das vom Pech verfolgte Ehepaar Frei gut an.Mitte Januar meldete sich die Stadtpolizei Zürich bei Rolf Frei: Eine gestohlene Uhr war wieder aufgetaucht.
Diebstahlrisiko: Das sollten Patienten beachten
- Nehmen Sie möglichst keine Wertsachen und nur so wenig Geld wie nötig mit, wenn Sie ins Spital gehen.
- Benutzen Sie für Ihre persönlichen Sachen wie Schlüssel und Bankkarten allfällig vorhandene abschliessbare Schränke oder Tresore.
- Falls solche Schränke im Zimmer fehlen: Fragen Sie bei Spitalangestellten nach. Oft ist es möglich, Wertsachen an einer zentralen Stelle sicher zu verwahren.
- Verwahren Sie Ihre Wohnungsschlüssel so sorgfältig wie Ihre Wertsachen.