Verpackungen von Lebensmitteln dürfen Kunden nicht täuschen: So steht es im Gesetz. Vor Ostern jedoch hebelte ein Bundesamt den Täuschungsschutz aus. Das zeigt die Korrespondenz zwischen dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und der Eierbranche. Der K-Tipp hatte, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, Einsicht in E-Mails und Protokolle der Monate Februar bis April 2023 verlangt. Darin wurde über die korrekte Deklaration der Freilandeier diskutiert.
Regeln für Ostern zurechtgebogen
Das war nötig, weil seit Ende November 2022 Geflügel in der Schweiz nicht mehr auf die Weide durfte – um die Vogelgrippe einzudämmen. Geflügelhalter konnten die Freiland-Kriterien also nicht einhalten, durften die Eier aber weiter unter dem Label «Freiland» verkaufen. Solche Eier sind teurer als Eier aus Bodenhaltung. 16 Wochen lang akzeptierte das Bundesamt diese Praxis. Danach sei es «täuschend», wenn Eier weiterhin mit dem Freiland-Label gekennzeichnet würden.
Die 16-wöchige Frist lief zwei Wochen vor Ostern ab – am 20. März 2023. Die Branche wollte aber weiter Eier in «Freiland»-Schachteln verkaufen. Als Information an die Kunden sollte gemäss E-Mail-Verkehr mit dem Bund ein schriftlicher Hinweis am Regal reichen.
Im Namen der Eierbranche verhandelte die «Stiftung Aviforum zur Förderung der Geflügelproduktion». Sie forderte: Das Amt solle die für Kontrollen zuständigen Kantonsbehörden dazu bewegen, «auf Massnahmen im Frühling 2023 zu verzichten».
Konkret: Die Bezeichnung «Freiland» sollte nicht beanstandet werden. Das Amt hielt fest, ein kantonaler Kontrolleur müsse dies, «wenn er hinschaut», beanstanden. Die Kantonschemiker könnten aber «verhältnismässige Massnahmen anordnen».
Ende Februar schrieb das Bundesamt dem Branchenvertreter von Aviforum: Das Amt werde Migros und Coop «den pragmatischen Weg schildern» und die Kantonschemiker informieren, «dass der Täuschungsschutz in dieser Übergangszeit nicht unbedingt im Fokus stehen muss».
Die Kantonschemiker folgten dieser vorgegebenen Linie. Sie hielten nach ihrer Konferenz von Ende März im Protokoll fest, sie würden «trotz falscher Kennzeichnung mit grosser Wahrscheinlichkeit auf eine Beanstandung dieser Eier verzichten».
«Nicht optimal, aber vertretbar»
Die Folge: Viele Läden verkauften Freilandeier vor und nach Ostern ganz ohne Hinweis an die Kunden. Das belegt eine Stichprobe des K-Tipp in Zürich. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit schreibt auf Anfrage des K-Tipp, die Eierbranche habe ihre Verpackungen nicht rechtzeitig anpassen können. Für Konsumenten sei das «nicht optimal, aber vertretbar» gewesen.
Übrigens: Zu keiner der erwähnten Diskussionen lud das Bundesamt je Vertreter des Konsumentenschutzes ein. Das Aviforum, das im Namen der Eierbranche mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit verhandelte, ist zu zwei Dritteln aus Steuergeldern finanziert. Die Bundesämter für Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit sowie die Kantone bezahlen pro Jahr 809'000 Franken an die Stiftung.