K-Tipp: Künftig dürfen Ärzte Organe entnehmen, sofern der Verstorbene vorher sich nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Schweigen gilt als Zustimmung. Kann so noch von einer freiwilligen Organspende gesprochen werden?

Markus Müller: Theoretisch kann sich künftig jeder gegen eine Organentnah­me aussprechen. Doch viele Leute verdrängen solche Fragen im Alltag. Sie entscheiden sich nicht, ob sie im Todesfall ihre Or­gane spenden wollen. Das vom Parlament beschlossene ­Gesetz nützt dies aus. Der Staat entscheidet künftig für alle, die sich nicht rechtzeitig entschieden haben. Von Freiwilligkeit also keine Spur. Ich erachte diesen Weg als unlauter und eines demokratischen Staats unwürdig. Es ist meines Erachtens der falsche Weg, um zu mehr Organspenden zu kommen.

Welches wäre der ­richtige Weg? 

Der Staat darf die Bevölkerung informieren und zum Spenden motivieren. Er hat die Pflicht, die Bürgerinnen und Bürger in die Lage zu versetzen, selbst entscheiden zu können. Der Entscheid für oder gegen die Organentnahme – oder sich nicht zu entscheiden – bleibt aber am Schluss beim einzelnen Menschen.

Führt die neue Regelung zu mehr Organtransplantationen?

Ich denke schon. Doch die neue Regel scheint mir nicht verhältnismässig. Eine Organentnahme ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeit. Dafür ist eine ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen unabdingbar. 

Soll die Bevölkerung über die neue Regelung abstimmen können?

Auf jeden Fall. Die Frage, was beim Tod mit den ­eigenen Organen geschehen soll, ist eine wichtige Grund­frage. Jeder und jede soll sich dazu Gedanken machen. Über die Frage wie der Staat mit der Situation umgeht, dass es an Organen fehlt, die Leben retten könnten, muss in der Gesellschaft eine breite Diskussion geführt werden.

Organspenden können Leben retten. Was ist wichtiger: Die körper­liche Unversehrtheit des Verstorbenen oder das Leben des Em­pfängers?

Die Frage muss man präzisieren. Eigentlich geht es nicht um die körperliche Unversehrtheit des bereits Verstorbenen, sondern um die körperliche Integrität eines sich im Sterbeprozess befindenden Menschen.

Sie sprechen die umstrittene Definition des Hirntods an. Er ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Transplantation. Experten kritisieren, dass der Körper dann noch lebe, er atme noch, und auch das Herz schlage noch. Der Mensch sterbe erst durch die Organentnahme.

Wir wissen nicht, wie es sich anfühlt zu sterben. Wir wissen zu wenig über den Sterbeprozess. Folglich können wir auch nicht beurteilen, was wichtiger ist: das «lebende Leben» oder das «sterbende Leben».

Der Bundesrat soll nach dem neuen Gesetz den Kreis der mitspracheberechtigten Angehörigen, die Modalitäten und Fristen in einer Verordnung regeln. Gehören solche Fragen nicht in ein Gesetz?

Doch. Wichtige Punkte müssten möglichst weitgehend im Gesetz geregelt werden. Zumal es sich bei einer Organentnahme um einen hochsensiblen Akt handelt.