DAB-Debakel: Digitalradio schafft den Durchbruch nicht
Die SRG hat grosse Summen in den Aufbau des Netzes für Digitalradios investiert. Die Haushalte bezahlen Gebühren dafür. Aber kaum einer hört es.
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saldo 09/2011
08.05.2011
Letzte Aktualisierung:
09.05.2011
Andreas Schildknecht, Leiter Testredaktion
DAB und DAB+ sind Kürzel, die für digitales Radio stehen. Mehr Sender und bessere Musikqualität – mit diesen Argumenten wollte die SRG das Digitalradio zum Nachfolger der UKW-Übertragung machen.
Doch das Resultat ist ernüchternd: Zwölf Jahre nach der Lancierung sind in der Schweiz erst rund 700 000 DAB-Radiogeräte in Betrieb. Zum Vergleich: Laut SRG stehen in den 3,3 Millionen Schweizer Haushalten drei bis fünf portable UKW-Ger&...
DAB und DAB+ sind Kürzel, die für digitales Radio stehen. Mehr Sender und bessere Musikqualität – mit diesen Argumenten wollte die SRG das Digitalradio zum Nachfolger der UKW-Übertragung machen.
Doch das Resultat ist ernüchternd: Zwölf Jahre nach der Lancierung sind in der Schweiz erst rund 700 000 DAB-Radiogeräte in Betrieb. Zum Vergleich: Laut SRG stehen in den 3,3 Millionen Schweizer Haushalten drei bis fünf portable UKW-Geräte.
Zählt man feste Radios in Stereoanlagen und Home-Cinemas dazu, dürften hier rund 20 Millionen UKW-Empfänger in Betrieb sein. Laut einer aktuellen Befragungsstudie der Publica Data AG mit 2500 Personen ab 15 Jahren nutzen zurzeit nur 7 Prozent ein DAB-Gerät.
Bereits 9,3 Prozent hören hingegen Radio mit ihrem Mobiltelefon und 18 Prozent mit dem Computer. 74 Prozent der Befragten nutzen ein Autoradio – mit UKW. Laut Markus Ruoss, Berater für elektronische Medien, erreicht Digitalradio in den nächsten fünf bis zehn Jahren aber maximal 10 bis gut 30 Prozent der Hörerschaft.
Autoindustrie: Keinerlei Interesse an DAB-Radiogeräten
Beim Start des Digitalradios baute man das Netz zuerst entlang der Autobahnen auf. Doch die Autoindustrie verzichtet auch heute noch fast durchwegs auf DAB. Volkswagen etwa verbaut in allen neuen Golf VI serienmässig das Radio RCD 310 mit MP 3 und UKW. Wer digitale Radiosender hören will, muss 320 Franken mehr bezahlen.
Kommt hinzu: Digitale Nachrüstgeräte für ältere Autos sind kaum erhältlich. Im Media Markt Winterthur findet man 20 UKW-Autoradios mit iPod/iPhone-Anschluss, aber nur gerade einen DAB-Adapter. Diesen muss man erst noch mühsam per Kabel mit dem eingebauten Radio verbinden und mit einem Saugfuss an der Frontscheibe befestigen.
Digitalradio entspricht offensichtlich keinem Bedürfnis der Konsumenten, obgleich Bundesrat und SRG es den Gebührenzahlern verordnen wollen. Für gelegentliches Radiohören reicht UKW völlig, intensive Radiohörer setzen aufs Internetradio.
So kann man mit Gratisprogrammen wie dem Tune-In-Radio auf fast allen gängigen Smartphones mehrere Zehntausend Internetradio-Sender mobil abrufen. Wer ein Autoradio mit Kopfhörer- oder iPhone/USB-Anschluss hat, kann die Internetradio-Sender schon heute über das Handy im Auto hören.
Doch die SRG setzt weiterhin auf Digitalradio: Zu Beginn dieses Jahres hat sie mit Gebührengeldern die Tochtergesellschaft MCDT AG gegründet, die sich in Zukunft um alle Digitalradio-Werbeaktivitäten kümmern soll.
Bisher aufgelaufene Kosten: Niemand will Auskunft geben
Niemand will sagen, wie viel Gebührengelder die SRG bereits für den Aufbau und Betrieb des digitalen Radionetzes ausgegeben hat. Weder die SRG, die Swisscom noch das zuständige Bundesamt für Kommunikation konnten oder wollten auf Anfrage von saldo Auskunft zu den Kosten geben.
SRG-Sprecher Daniel Steiner sagt nur, dass die Swisscom Broadcast im Auftrag der SRG das Netz betreibe. Über die Verträge habe man Stillschweigen vereinbart. Das Bundesamt schätzt die Kosten für die digitale Radioversorgung aller Privatradios im Schlussbericht einer Studie 2004 auf 200 Millionen Franken.
Neuere Zahlen sind beim Bundesamt nicht zu erhalten – man verweist auf Swisscom und SRG. Das heisst: Die Gebührenzahler wissen nicht, was mit ihrem Geld geschieht.
Das UKW-Netz hat noch lange nicht ausgedient
Bereits verabschieden sich erste Radiostationen von der DAB-Ära, bevor sie wirklich begonnen hat: Das Zürcher Community-Radioprojekt Open Broadcast gab Ende April bekannt, das DAB-Signal nach knapp einem Jahr aus Kostengründen abzuschalten.
Open Broadcast wird es künftig nur noch als Web-Radio geben. Tipp: Radiohörer können mit dem Kauf eines digitalen Radios getrost zuwarten, denn das UKW-Netz besteht weiter. Konkrete Pläne zur Abschaltung gibt es nicht.
Wer dennoch an den neusten technischen Entwicklungen teilhaben will, sollte ein Gerät kaufen, das UKW-, DAB- und Internetradio-Sender empfangen und abspielen kann. Die meisten dieser kleinen Geräte ab zirka 300 Franken liefern gemäss einem «K-Tipp»-Test (Ausgabe 7/10) aber keinen berauschenden Klang.