Vor rund zwei Jahren wählte der Bundesrat Rafael Macián-Juan in den Ensi-Rat. Dieses Gremium ist dafür zuständig, die Atomaufsichtsbehörde Ensi zu überwachen. Macián-Juan leitet den Lehrstuhl für Nukleartechnik an der Technischen Universität München. Diesen finanzierte der auch in der Atomkraftbranche tätige Energiekonzern EON massgeblich mit.
Der Professor ist zudem Mitglied der «American Nuclear Society», die laut ihrer Website «die Nukleartechnologie wegen ihres entscheidenden Beitrags zur Verbesserung des Lebens der Menschen und zur Erhaltung unseres Planeten begrüsst».
«Schaler Beigeschmack»
Solche Branchennähe hält man bei der Schweizerischen Energie-Stiftung für problematisch: Fabian Lüscher, Leiter des Fachbereichs Atomenergie, sagt, es erzeuge «einen schalen Beigeschmack», wenn sich Mitglieder des Ensi-Rats in Organisationen engagieren, die der zu überwachenden Atomindustrie nahestehen. «Interessenkonflikte sind im Interesse der nuklearen Sicherheit unter allen Umständen zu vermeiden», so Fabian Lüscher.
Das Energiedepartement des Bundes sagt, Rafael Macián-Juan verfüge über das nötige Expertenwissen für die Aufsichtsaufgabe. Auch habe er vor seiner Wahl schriftlich und mündlich erklärt, dass er «die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Mitglieder des Ensi-Rats» erfülle.
Die Zeitschrift «Saldo» wies schon früher auf Verbindungen zwischen Atomaufsicht und beaufsichtigter Branche hin («Saldo» 14/2021). Im Sommer 2020 war der damalige Präsident des EnsiRats, Martin Zimmermann, zurückgetreten: Es war ans Licht gekommen, dass er bei seiner Wahl in den Rat die Mitgliedschaft in der Lobbyorganisation Nuklearforum nicht offengelegt hatte.
Zum Fall Zimmermann äussert sich jetzt auch die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats. Sie kritisiert in einem Bericht das Energiedepartement scharf: Dieses habe bei der Überprüfung von Kandidaturen wie jener von Zimmermann «ein passives Verhalten» bevorzugt und sich «offensichtlich weitgehend auf die von den Betroffenen selbst gelieferten Informationen» gestützt.
Ferner hält sie fest, es sei «schwer zu verstehen», weshalb der Bundesrat die Atomaufsichtsbehörde nicht enger führe und kontrolliere. Für Fabian Lüscher ist das «mit nichts zu rechtfertigen: Es geht immerhin um die Aufsicht über die AKW-Hochrisikotechnologie».
Anzahl Störfälle hat zugenommen
Im Jahr 2019 wertete der K-Tipp die Anzahl Störfälle der letzten zehn Jahre in Schweizer Atomkraft- werken aus. Resultat: Die Zahl der Störfälle hatte sich im Vergleich zur vorhergehenden Dekade verdreifacht (K-Tipp 12/2019).
Gegenüber dem K-Tipp geht das Energiedepartement auf die Kritik der Parlamentskommission nicht im Detail ein. Es hält lediglich fest, die Kommission attestiere dem Departement, aus dem Fall Zimmermann Lehren gezogen und seine Aufsichtspraxis geklärt und verstärkt zu haben.