Laut dem Bundesamt für Energie zeichnen sich «zurzeit keine Probleme» mit der Energieversorgung für den nächsten Winter ab. «Aber die Lage bleibt angespannt», schrieb es dem K-Tipp Mitte Oktober. Das Bundesamt hat auch schon eine grosse Energiesparkampagne im Köcher, die es bei Bedarf sofort starten könnte.
Fixfertig in der Schublade liegt auch die Verordnung des Bundesrats «über Verbote und Beschränkungen der Verwendung elektrischer Energie». Die Regierung kann sie rasch in Kraft setzen, sollte Strom zur Mangelware werden. Sie würde Privathaushalten einiges abverlangen.
Sessellift ja, Netflix nein
Laut Verordnung dürften Haushalte zum Beispiel schon ab dem ersten von insgesamt vier sogenannten Eskalationsschritten nur noch mit einer Wassertemperatur von höchstens 40 Grad Celsius waschen. Tumbler und Bügeleisen dürften sie ab dem zweiten Schritt nicht mehr benützen. Ab dem dritten Schritt müssten sie auf Streamingdienste wie Netflix und Disney+ verzichten. Und für alle mit Wärmepumpen oder Elektroöfen beheizten Wohnräume würde eine Höchsttemperatur von 20 Grad Celsius gelten.
Die Tourismusbranche dagegen nähme der Bund erst spät in die Pflicht: Ski- und Sessellifte etwa müssten ebenso wie Whirlpools, Saunas, Dampfbäder und andere Wellnessanlagen erst mit dem vierten Eskalationsschritt ihren Betrieb einstellen. Auch andere Branchen wie Detailhandel, Gastronomie und Vergnügungsindustrie kämen lange recht glimpflich davon.
Bund kam Wünschen der Wirtschaft nach
Private sollen sich also einschränken, während die Wirtschaft weiter viel Energie verbrauchen darf. Das erstaunt nicht: Bei der Ausarbeitung der «Strom-Ver-botsverordnung» vor einem Jahr wurde die Wirtschaft vom zuständigen Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung zu Besprechungen eingeladen. Das zeigt ein Blick in bisher unveröffentlichte Dokumente, die dem K-Tipp vorliegen.
Zwischen 11. Oktober und 9. November 2022 fanden vier Sitzungen statt. Vertreter von zehn Wirtschaftsverbänden nahmen daran teil, darunter Gastrosuisse, Hotelleriesuisse, die IG Detailhandel, der Schweizerische Gewerbeverband sowie der Maschinen- und Technikverband Swissmem. Konsumentenschützer und der Mieterverband sassen nicht am Tisch.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz verlangte der K-Tipp im vergangenen Dezember vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung Einsicht in alle E-Mails, Berichte und sonstigen Unterlagen zu diesen vier Sitzungen. Erst nach der Intervention des Eidgenössischen Öffentlichkeitsbeauftragten Adrian Lobsiger erhielt der K-Tipp Ende August die letzten Unterlagen. Die Dokumente zeigen eindeutig: Das Bundesamt kam den Wünschen
der Wirtschaft weitgehend nach.
Frühzeitige Verbote für Privathaushalte
Die Anliegen der Bevölkerung waren bestenfalls zweitrangig. So verlangte der Gewerbeverband zum Beispiel, die Verordnung müsse unterscheiden zwischen Strom als Konsumgut und Strom als Produktionsfaktor. Fazit seiner Stellungnahme: Strom für die gewöhnlichen Leute: nein, Strom für die Wirtschaft: ja. Swissmem forderte, «Beschränkungen für die Bevölkerung frühzeitig» einzuführen, auf dass ihr «der Ernst der Lage» rasch bewusst werde.
Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung findet die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft nicht problematisch. Für diese seien die Folgen von Verbrauchseinschränkungen und Stromkontingentierungen nämlich viel gravierender als für Private.
Konsumentenschutz und Mieterverband hörte das Amt nur ein einziges Mal an: an einer Videokonferenz am 19. Oktober 2022. Die Generalsekretärin des Mieterverbands, Linda Rosenkranz, hält dazu fest: «Die Videokonferenz war eine Proforma-Übung. Wir baten um eine Traktandenliste, es gab aber keine. Auch Ziele wurden keine formuliert.»
Für die Tatsache, dass weder Mieterverband noch Konsumentenschützer eine Einladung zu diesen Gesprächen erhielten, findet Rosenkranz klare Worte: «Das geht überhaupt nicht.»