Tag für Tag gibt das Bundesamt für Gesundheit ein Bulletin heraus. Dort steht: «Die Anzahl Covid-19-Erkrankungsfälle in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein steigt. Aktueller Stand sind 19 303 laborbestätigte Fälle, 1036 mehr als am Vortag.» Die Worte sind immer die gleichen. Nur die Zahlen ändern.

Das Bundesamt kann ohne Weiteres mit Textbausteinen arbeiten. Denn der Satz, wonach die Zahl der Infizierten steigt, stimmt immer. Wenn viel getestet wird, steigt auch die Zahl stark. Wenn wenig getestet wird, steigt sie weniger stark. Aber sie steigt. 

Das Bundesamt veröffentlicht jeweils auch eine Säulengrafik (siehe Grafik im PDF). Die Säulen zeigen die Anzahl Infizierter pro Tag. Und zwar am Tag des Tests. Dabei fällt auf: An gewissen Tagen gab es angeblich nur wenig Fälle – etwa am 29. März. 

Doch wie aussagekräftig sind die veröffentlichten Zahlen wirklich? Das ist unklar. Grund: Die Zahl der positiv Getesteten sagt nichts aus über die Zahl der tatsächlich Infizierten. Sie sagt auch nichts aus über die Neu­ansteckungen oder die Zahl der Erkrankten. Sie zeigt zudem nicht, ob sich die Verbreitung des Virus beschleunigt oder verlangsamt. 

Je mehr Tests, desto mehr Infizierte 

Die vom Bundesamt veröffentlichte Zahl der Infizierten ist eine reine Zufallszahl. Sie ist abhängig von der Auswahl der Getesteten. Und sie ist auch abhängig von der Anzahl der getesteten Personen. Diese ändert von Tag zu Tag stark.

Dazu ein Zahlenbeispiel: Angenommen in der Anfangsphase der Pandemie wurden in der Schweiz an einem Tag 1000 Tests durchgeführt. 200 davon waren positiv. Später wurden an einem Tag 10 000 Tests durchgeführt. 1000 davon waren positiv.

Oberflächlich betrachtet sieht das nach einer Verfünffachung der Fälle von 200 auf 1000 aus. Aber ­diese Annahme ist falsch. Im ersten Fall waren 20 Prozent der Fälle positiv, im zweiten Fall nur 10 Prozent. Das Beispiel zeigt nur: Je mehr Leute getestet werden, desto mehr Infizierte werden entdeckt. Das erklärt auch den tiefen Wert am 29. März. Das war ein Sonntag. Offenbar wird sonntags wenig getestet.

Ob die bundesrätlichen Massnahmen von Mitte März gefruchtet haben, bleibt offen. Damit sich ein Trend ablesen liesse, müsste das Bundesamt die Zahl der Infizierten in Prozent der Getesteten angeben. Deshalb bat der K-Tipp den Bund um Angaben über die Zahl der Tests pro Tag. Das Bundesamt teilte mit: «Das ist nicht möglich.»

Alarmistische Kurve der «Tagesschau»

Viele Medien zeigen im Gegensatz zum Bund nicht eine Säulengrafik, sondern eine Kurve – und zwar der kumulierten Infektionsfälle. Zum Beispiel die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens (siehe Bild im PDF). Die Kurve verläuft steil nach oben. Sie wirkt so, als ob die Pandemie immer schlimmer würde. Doch die Darstellung ist irreführend. Solange getestet wird, gibt es neue Fälle. Zudem bleibt unberücksichtigt, dass manche Infizierten gar nie erkrankten. Und dass Erkrankte wieder genesen sind.

Dass die Tessiner Behörden am meisten Fälle registrierten, ist naheliegend. Denn die ersten Tests fanden im Kanton Tessin statt. In keinem anderen Kanton dürften so viele Tests pro 100 000 Einwohner durchgeführt worden sein. Und wenn viel getestet wird, dann resultieren auch viele Infizierte. Aufschlussreicher wären die Anzahl ­Infizierter pro 100 Tests. Nur so liesse sich die Ausbreitung der Krankheit in den verschiedenen Kantonen wirklich vergleichen.

Nicht nur Tests bei Risikogruppen

Wie hoch die Zahl der tatsächlich Infizierten ist, das weiss niemand. Dazu bräuchte es viele Tests nach dem Zufallsprinzip, und nicht nur Tests bei Risikopatienten und Spitalpersonal. Klar ist, dass sich deutlich mehr Menschen angesteckt haben, als das Bundesamt ausweist. Es spricht selbst von «einer hohen Dunkelziffer». 

Chinesische Wissenschafter gehen davon aus, dass in China 85 Prozent der Infizierten unentdeckt blieben, weil sie nur geringe oder keine Krankheitssymp­tome zeigten.

Fragwürdig ist auch die amtliche Statistik der Corona-Toten. Eingang finden dort laut Bundesamt «verstorbene Personen, für die ein positiver Labortest vorliegt» – unabhängig von der Todesursache. 

Generell sagen Zahlen wenig aus, wenn man sie nicht mit anderen vergleicht. Der Bund meldet seit dem 5. März 484 Co­rona-Todes­fälle. In einem solchen Zeitraum sterben in der Schweiz – ohne Corona – normalerweise zwischen 5000 und 6000 Menschen.