Poststellen - Was nicht rentiert, muss weg
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saldo 18/2000
08.11.2000
In den letzten fünf Jahren ging bei rund 200 Poststellen der Laden runter. Die Post spart - auf dem Land genauso wie in der Stadt.
Die Poststelle in Wienacht-Tobel AR erhält jedes Jahr Hunderte von Kinderwünschen an das Christkind. Posthalter Willi Würzer kann zwar die Kinderwünsche nicht erfüllen, aber er schickt ihnen eine schön verzierte Karte mit der Weihnachtsgeschichte.
Damit soll aber bald Schluss sein. Nächsten März wird der Posthalter des 450-Seel...
In den letzten fünf Jahren ging bei rund 200 Poststellen der Laden runter. Die Post spart - auf dem Land genauso wie in der Stadt.
Die Poststelle in Wienacht-Tobel AR erhält jedes Jahr Hunderte von Kinderwünschen an das Christkind. Posthalter Willi Würzer kann zwar die Kinderwünsche nicht erfüllen, aber er schickt ihnen eine schön verzierte Karte mit der Weihnachtsgeschichte.
Damit soll aber bald Schluss sein. Nächsten März wird der Posthalter des 450-Seelen-Dorfes pensioniert. Gemeindepräsident Erwin Ganz: "Wir haben Verständnis für wirtschaftliche Überlegungen. Den Service public muss man aber ganzheitlich betrachten und sich nicht nur fragen, wie man rationalisieren kann." Noch ist nichts entschieden. Die Gemeinde kämpft in Verhandlungen um den Erhalt ihrer Post.
Gemeinde Scheid: Zuschuss der Post deckt Kosten nicht
Was Wienacht-Tobel bevorsteht, ist in zahlreichen Randregionen bereits Realität. Beispielsweise in der Bündner Gemeinde Scheid: Sie schloss mit der Postleitung einen Agenturvertrag ab und musste eine Mitarbeiterin auf eigene Kosten anstellen, damit sie ihre Dorfpost erhalten konnte. Die Gemeinde erhält dafür von der Post einen Fixbetrag.
Doch dieser Zuschuss deckt die Kosten nicht. Gemeindepräsident Simon Ragutt Tscharner zeigte Kassensturz die Rechnung für das Jahr 1999: "Die Post bezahlt uns 33 000 Franken pro Jahr. Unsere Mehrausgaben von 3500 Franken bleiben ungedeckt. Wir geben dafür zwar keine Steuergelder aus, aber es entgehen uns Mietzinseinnahmen."
Almens: Finanziert eigene Poststelle mit Steuergeldern
Scheid ist kein Einzelfall. 25 Kilometer von Chur entfernt befindet sich Almens. 1997 wurde auch hier die Gemeinde bei der Pensionierung ihres Posthalters vor die Wahl gestellt, entweder die Poststelle als Filiale zu übernehmen oder sich Briefe und Pakete von anderen Gemeinden zustellen zu lassen. Den Einwohnern von Almens war die Post im Dorf wichtiger. In einer Abstimmung entschlossen sie sich, auf das Angebot einzugehen. Jetzt subventionieren die Almenser ihre Post mit Steuergeldern. Gemeindevorstand Urs Chiara: "Wir bekommen von der Post 45 000 Franken pro Jahr. Zusätzlich müssen wir 7000 bis 10 000 Franken Steuergelder aufwerfen."
Steuergelder für die Post - etwas, was der Staatsbetrieb bislang stets abgestritten hat. Andreas Hasler, Mitglied der Geschäftsleitung Poststellennetz: "Wir haben vom Bundesrat den Auftrag, eigenwirtschaftlich zu sein. Das Poststellennetz erwirtschaftete jedoch im letzten Jahr ein Defizit von 530 Millionen Franken." Die Folgen tragen Gemeinden wie Almens. "Dienstleistungen, die nicht mehr gefragt sind, müssen wir zurückstufen oder in anderer Form günstiger erbringen. In Almens übersteigt unsere Leistung den Service public - es liegt also an der Gemeinde, ob sie das will oder nicht."
Zwischen 1989 und 1999 wurden 323 Poststellen geschlossen, allein im letzten Jahr ging für 29 der Laden für immer runter. In den letzten fünf Jahren schloss die Post knapp 200 Filialen. Sie hat den Zeitpunkt verpasst, um mit Dorfläden zusammenzuspannen. Beispiele im Ausland mit günstigen Partnerlösungen haben sich bewährt.
Sihlpost Zürich: Briefkastenleerung nur noch bis 20 Uhr
Nicht nur beim Filialnetz schrumpft der "gelbe Riese", auch bei den Briefkästen sind die Rationalisierer über die Bücher gegangen. In der ganzen Schweiz werden die Briefkästen früher entleert: Beispielsweise in Olten SO. Dort sammelt die Post in Wohnquartieren Briefe nach 15 Uhr nicht mehr ein. Beim grössten Stadtzürcher Postamt reichte es bis anhin, die A-Post bis 21.30 Uhr einzuwerfen, damit die Briefe am nächsten Tag auch wirklich ankamen. Seit Ende Mai ist in der Sihlpost nach 20 Uhr Schluss - dies obwohl dieser Postbereich Mehrumsätze verzeichnet und rentabel ist. Josef Bösch, Logistikleiter der Post: "Die Masse der spät eingeworfenen A-Post-Briefe war derart gross, dass wir sie nicht mehr rechtzeitig verarbeiten konnten. Die Leistung ist immer noch beachtlich, garantieren wir doch, dass die Post am nächsten Morgen etwa im Münstertal ankommt."
Der Serviceabbau zeigt sich auch im Kleinen: Früher haben Postangestellte jeweils am Briefkasten das Schild ausgewechselt, das die nächste Leerung anzeigt. Jetzt sind nur noch die generellen Zeiten abzulesen und nicht mehr, ob der Briefkasten bereits geleert wurde oder nicht - ein Arbeitsgang mehr, den die Post eingespart hat.
Igor Zilincan