Handys: Raubbau an der Gesundheit und an der Natur
Mobiltelefone sind zum Wegwerfartikel geworden. Doch sie enthalten viele wertvolle Stoffe wie das Schwermetall Neodym. Abbau und Verarbeitung bedrohen die lokale Bevölkerung. Das zeigt ein Beispiel aus Malaysia.
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saldo 06/2013
02.04.2013
Letzte Aktualisierung:
03.04.2013
Jonas Arnold, thl
Mehr als vier Millionen neue Handys haben die Schweizer 2011 gekauft. Diese Zahl weist der Marktbericht «Weissbuch» des Branchenexperten Robert Weiss aus Männedorf ZH aus. Die rasante technische Entwicklung der Mobiltelefone führt dazu, dass sich die Besitzer in kurzen Abständen immer wieder neue Geräte zulegen.
In den Handys sind über 50 verschiedene Stoffe enthalten (siehe Kasten «Handy-Bestandteile» auf Seite 10). Darunter sind a...
Mehr als vier Millionen neue Handys haben die Schweizer 2011 gekauft. Diese Zahl weist der Marktbericht «Weissbuch» des Branchenexperten Robert Weiss aus Männedorf ZH aus. Die rasante technische Entwicklung der Mobiltelefone führt dazu, dass sich die Besitzer in kurzen Abständen immer wieder neue Geräte zulegen.
In den Handys sind über 50 verschiedene Stoffe enthalten (siehe Kasten «Handy-Bestandteile» auf Seite 10). Darunter sind auch Metalle der Gruppe der sogenannten Seltenen Erden wie zum Beispiel Neodym. Das Problem: Abbau und Verarbeitung sind für Mensch und Umwelt gefährlich. Neodym wird aus Althandys nicht rezykliert – im Gegensatz zu anderen Metallen (siehe «Recyling» auf Seite 11).
Das australische Bergbauunternehmen Lynas liefert Neodym für Smartphones und iPods von Apple. Lynas baut in Australien Gestein ab, das einst aus Vulkanen an die Oberfläche geschleudert wurde. Darin ist das Neodym eingelagert. Das Gestein wird in die Fabrik Lynas Advanced Material Plant (Lamp) in Malaysia transportiert. Dort lösen die Arbeiter in der Nähe der Grossstadt Kuantan das Neodym heraus.
In den nächsten 20 Jahren sollen in Kuantan 1,4 Millionen Tonnen Neodym gewonnen werden. Dabei fallen auch 1,2 Millionen Tonnen radioaktiver Schlamm an. Bei der Verarbeitung des Vulkangesteins entsteht nicht nur Neodym, sondern auch die radioaktiven Nebenprodukte Thorium und Uran.
Radioaktiver Staub: Massive Überschreitung der Grenzwerte
Eine Gruppe malaysischer Bürger beauftragte das Öko-Institut in Darmstadt (D) damit, Fabrik und Lagerung der Mineralien zu prüfen. Der Nukleartechniker Gerhard Schmidt besuchte die Fabrik Anfang Jahr mit einem Wissenschaftsteam. Resultat: «Rund um die Fabrik hat es radioaktiven Staub. Er überschreitet die in Europa zugelassenen Grenzwerte massiv.»
Auch bei der Lagerung des radioaktiven Schlamms gibt es Mängel: «Die Kanäle, in denen das Wasser aus der Fabrik transportiert wird, sind offen zugänglich für Mensch und Tier», schreibt das Institut in seiner Studie.
Konkret: Die Stoffe sickern ins Grundwasser und gelangen in Flüsse. Der radioaktive Staub und die Rückstände der Mineralien im Trinkwasser führen zu Krebserkrankungen. Dazu kommen giftige Chemikalien wie Schwefelsäure, die bei der Herauslösung verwendet wird. Schwefelsäure im Trinkwasser kann beispielsweise die inneren Organe verätzen.
Schmidt rät Lynas, das Lagerungskonzept sofort zu überarbeiten. «Eine solche Fabrik hätte in Europa keine Zulassung erhalten.» Genauso wenig wie in Australien. Der malaysische Arzt und Aktivist Tan Bun Tee ist überzeugt: «Das ist auch der Grund, weshalb Lynas die Gesteine nicht im Herkunftsland Australien verarbeitet, sondern sie nach Malaysia transportiert.» Die Regierung freue sich über die Steuermehreinnahmen von Lynas. Aber «gegen die Umweltverletzungen macht sie nichts».
Lynas verteidigt die Fabrik und den Standort: «Wir haben Kuantan wegen der guten Infrastruktur gewählt, wegen der hohen Bildung der Bevölkerung und dem günstigen Land», sagt Sprecher Alan Jury. Ausserdem verweist er auf einen Rapport der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Diese habe das Abfallkonzept der Fabrik genehmigt.
Nicht nur in Malysia sorgt der Abbau von Seltener Erde für Besorgnis. Gerhard Schmidt betont: «Was in Kuantan geschieht, passiert in den meisten Bergbauwerken.» Auch in China, das vor zwei Jahren 97 Prozent des weltweiten Neodymverbrauchs förderte.
Neues Abbaugebiet: Diverse Firmen wittern ein gutes Geschäft
Das ist erst der Anfang. Das US-Forschungsinstitut United States Geologial Survey entdeckte kürzlich in Afghanistan ein riesiges Neodymvorkommen im Wert von 5 Milliarden Franken. Laut einem Bericht der «New York Times» hätten sich bereits über 20 US-Firmen für den Abbau interessiert.
Neodym ist nicht das einzige Metall in Handys, dessen Abbau umstritten ist. Minenarbeiter im Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik schürfen das Schwermetall Tantal. Auch dort schadet der Abbau Mensch und Natur.
Der dänische Filmemacher Frank Piaseki Poulsen hat die Minen für seinen Dokumentarfilm besucht. Er zeigt auf, wie die Chemikalien das Trinkwasser rund um die Minen verseuchen. Zudem porträtiert er Kinder, die in den Minen Schwerstarbeiten ausführen. Im Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik lagern 400 000 bis 700 000 Tonnen Tantal im Wert von rund 8 Milliarden Franken.
Solange der Handyboom anhält, lässt sich mit Metallen wie Neodym und Tantal viel Geld verdienen – auf Kosten der lokalen Bevölkerung.
Handybestandteile: Diese Stoffe stecken in einem Mobiltelefon
Ein Handy enthält insgesamt über 50 verschiedene Stoffe. Die Hauptbestandteile sind:
- 56 Prozent Kunststoffe (Gehäuse, Tastaturmatte, Leiterplatte)
- 25 Prozent Metalle (Leiterbahnen, elektronische Bestandteile, Akku)
- 16 Prozent Glas und Keramik (Display, Keramikteile)
- 3 Prozent sonstige Stoffe (Flüssigkristalle, Flammhemmer).
Bei den Metallen dominieren die klassischen Industriemetalle Kupfer, Aluminium und Eisen. In einem modernen Smartphone finden sich in geringen Konzentrationen auch Edelmetalle wie Gold (zirka 0,03 Prozent), Silber (0,3 Prozent) und Palladium (0,01 Prozent). Deren Gewinnung in der Natur ist mit sehr hohem Energieaufwand verbunden.
Weitere Metalle sind unter anderem:
- Indium: Ein weiches Schwermetall, das bei der Ausschmelzung von Zink-Erz gewonnen wird. Weil es in sehr dünnen Schichten elektrisch leitend und transparent ist, kommt es bei Handydisplays zur Anwendung. Herkunft: China, Japan, Kanada, Südkorea und andere Länder.
- Tantal: Ein gut dehnbares Schwermetall, das sehr hohe Schmelz- und Siedetemperaturen besitzt. Es wird durch die Auftrennung von tantalhaltigen Mineralien gewonnen. Tantal wird hauptsächlich für die Herstellung von Kondensatoren verwendet. Es ermöglicht die Verkleinerung von elektronischen Geräten. Herkunft: Australien, Brasilien, Kanada, Kongo und andere Staaten.
- Neodym: Ein Schwermetall, das zu den Metallen der Seltenen Erden gehört. Es kommt in natürlicher Form in Mineralien vor, meistens zusammen mit anderen Metallen der Seltenen Erden. Bei der Trennung des Neodyms aus den geförderten Mineralien entstehen giftige Abfallprodukte. Beim Abbauprozess wird ferner radioaktives Uran und Thorium freigesetzt. Das schadet den Menschen und der Umwelt (siehe Hauptartikel). Neodym eignet sich zur Herstellung von starken Magneten. Es kommt in Handys, in Lautsprechern und Festplatten vor. Herkunft: fast ausschliesslich China und Australien.