Baden im Glück» und «Einfach von einem Höhepunkt zum nächsten». Mit solchen Slogans locken Schweizer Casinos Spieler an. Diana Schmid (Name geändert) kann darüber nur den Kopf schütteln. Das Casino St. Gallen hofierte während Jahren ihren heute 81-jährigen Vater. «Er konnte sein Auto vor das Casino stellen, die Parkbussen übernahmen die Casino-Betreiber», sagt die Tochter. Dazu kamen Gratisgetränke.
Das lohnte sich für das Casino allemal: Der ehemalige Textilhändler war ein lukrativer Kunde. Zwischen 2004 und 2009 besuchte er beinahe täglich das Casino St. Gallen. Und verspielte dort 2,2 Millionen Franken – sein ganzes Vermögen. Vorher hätten sie in einer Villa gewohnt, die rund 2 Millionen Franken wert war, erzählt Schmid. «Heute leben meine Eltern von einer kleinen AHV-Rente und von der Sozialhilfe.» Die Verantwortlichen im Casino hätten zugeschaut, wie ihr Vater immer mehr Geld verspielte. «Er hatte alle Anzeichen einer Spielsucht», sagt Diana Schmid.
Casinos sind verpflichtet, süchtige Kunden rechtzeitig aus dem Spiel zu ziehen. Sie müssen nach einer «Checkliste Früherkennung» handeln: Sobald ein Spieler täglich spielt, besonders hohe Beträge einsetzt oder aggressives Verhalten zeigt, muss das Casino laut Spielgesetz den Spieler sperren.
Bundesgericht stützt Urteil gegen das Casino Schaffhausen
Doch die Spielbanken verschliessen gerne die Augen vor dem Elend, denn es geht um viel Geld. Im Casino Schaffhausen verspielte eine ehemalige UBS-Angestellte zwischen 2006 und 2009 im Durchschnitt 98 810 Franken monatlich. Das ist 18-mal mehr, als sie verdiente. Als sie nichts mehr hatte, veruntreute sie Geld der UBS. Insgesamt flossen so 2,8 Millionen Franken in die Kassen des Hauses. Casino-Verantwortliche befragten zwar die Frau zweimal: Sie beteuerte, dass sie nicht spielsüchtig sei – und man liess sie weiterspielen.
Die zuständige Eidgenössische Spielbankenkommission büsste das Casino mit rund 400 000 Franken. Die Spielbank zog die Busse erfolglos ans Bundesgericht weiter. Dieses hielt in seinem Urteil fest: «Nach menschlichem Ermessen ist es praktisch ausgeschlossen, dass jemand bis zu 100 000 Franken monatlich im Casino einsetzen kann. Das muss zwingend Anlass zu Nachfragen nach der Herkunft des Geldes geben.»
Das Casino Schaffhausen hat die Auflagen verletzt. Der Anwalt der Schaffhauser Spielerin rechnet daher mit guten Chancen einer Rückforderungsklage: «Das Casino verletzte geltendes Recht, und dadurch entstand ein finanzieller Schaden. Das reicht, um das Geld zurückzufordern.»
Haupteinnahmequelle der Casinos sind die Spielsüchtigen
Rückzahlungen können für Glücksspielbetreiber teuer werden. Der Zürcher Psychiater Mario Gmür behandelt seit Jahren Patienten, die spielsüchtig sind. Die Casinos selber rechnen damit, dass 20 Prozent aller Besucher Stammkunden sind. Laut Gmür sind dies Spielsüchtige, die zum Teil in kürzester Frist ihren Monatslohn, ihre Ersparnisse, Erbschaften oder illegal erworbene Gelder verspielen und sich sozial ruinieren. Die Stammkunden bringen gemäss einer Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) von 2009 rund 750 Millionen Franken ein. Das entspricht etwa 80 Prozent des Gesamtumsatzes aller Schweizer Casinos.
Spielsucht kostet im Jahr rund 70 Millionen Franken
Die Casinos St. Gallen und Schaffhausen gehören dem grössten Schweizer Casino-Betreiber Swiss Casinos. Dieser hat erst kürzlich eine Konzession für das neue Zürcher Spielhaus erhalten. Laut Swiss Casinos sind die Ereignisse in Schaffhausen und St. Gallen Einzelfälle, die man «mit allen Kräften zu verhindern» versuche. Doch eine lückenlose Prävention und Früherkennung sei auch bei grösster Sorgfalt nie möglich. Dazu brauche es die Unterstützung der Angehörigen.
Laut der Bass-Studie belaufen sich die sozialen Kosten der Spielsucht auf fast 70 Millionen Franken pro Jahr.
- Rund 40 Millionen Franken tragen die Arbeitgeber, weil Spielsüchtige am Arbeitsplatz fehlen oder sich nicht mehr konzentrieren.
- Die Familien der Spieler tragen etwa 15 Millionen Franken, weil sie Betroffene betreuen müssen.
- Die Spieler selber sind mit etwa 7 Millionen belastet.
- Bund und Kantone zahlen 6 Millionen Franken für Beratung und Hilfeleistungen an Süchtige sowie Kosten der Arbeitslosenversicherung oder IV-Renten.
- Die Casinos kommen am besten davon: Sie übernehmen 1 Prozent Beratungskosten – etwa 300 000 Franken.
Spielbanken: In der Schweiz gibt es bereits 19 Casinos
- Sieben Casinos haben eine A-Lizenz, wie zum Beispiel das Casino St. Gallen. Sie dürfen Glücksspiele ohne Einsatz- und Gewinnlimiten anbieten.
- Zwölf Casinos, darunter das Casino Schaffhausen, haben eine B-Lizenz. Diese Spielbanken haben eine Einsatz- und Gewinnlimite.
Die Eidgenössische Spielbankenkommission bestimmt, wo und wer ein Casino betreiben darf. Jedes Haus muss ein So-zialkonzept erstellen, das zeigt, wie die Spielbank Süchtige frühzeitig erkennen und schützen will. Die Eidgenössische Spielbankenkommission kontrolliert, ob die Spielbanken sich an die Vorgaben halten. Allerdings kassiert der Kontrolleur kräftig mit: Die Casinos müssen die Hälfte des Brutto-Spielertrags dem Bund abliefern.
Spielsucht: Hilfe für Betroffene
Informationen für Spielsüchtige und ihre Angehörigen gibt es auf der Seite www.sos-spielsucht.ch.
Auch die Dargebotene Hand bietet unter der Telefonnummer 143 Hilfe für Personen mit Spielsucht an.