Mariella Freiholz aus Le Sentier VD erhielt im März einen Telefonanruf – angeblich von einer Versicherungsgesellschaft namens Vita. Eine solche Gesellschaft gab es früher – sie gab den Vita-Parcours den Namen. Die Vita Lebensversicherung AG wurde 1922 als Tochter der «Zürich» gegründet und 1993 in «Zurich Leben» umgetauft.
Freiholz erfuhr durch diesen Anruf, dass sie aus einer Lebensversicherung eine bedeutende Summe zugut habe. Das Geld sei zur Anwaltskanzlei Francis Muller in Zürich transferiert worden. Die Police laufe auf den Namen ihrer Mutter, die im Vorjahr gestorben war. Die Kanzlei werde Freiholz demnächst kontaktieren.
Beeindruckende Referenzenliste
Schon am nächsten Tag meldete sich der Chef der Kanzlei höchstpersönlich bei Mariella Freiholz. Francis Muller erklärte in perfektem Französisch, eine ihrer Mutter nahestehende Person habe die Lebensversicherung eingerichtet und während 40 Jahren bezahlt. Es gehe um einen Betrag von nicht weniger als 326 000 Euro.
Der Ehemann von Mariella Freiholz machte in der Folge ein paar Abklärungen. Schnell fand er die Internetseite der Anwaltspraxis (www.cabinet-fran cismuller.com). Sie wirkt seriös. Adresse der Kanzlei ist die Nüschelerstrasse 22 in der Nähe der Zürcher Bahnhofstrasse. Auch die Telefonnummer gab keinen Anlass zu Zweifeln. Die einzelnen Anwälte sind mit Name, Bild und Ausbildung aufgeführt. Darüber hinaus enthält die Website eine beeindruckende Referenzenliste, in der unter anderem die Logos von Swiss Life, Basler Versicherungen, Generali und Axa erscheinen (siehe Unten).
Gebühren und Restzahlung gefordert
Der zweite Anruf liess nicht lange auf sich warten. Francis Muller bekräftigte die gute Neuigkeit nochmals und bat darum, ihm einen Erbschein zu schicken. Weiter führte er aus, es gebe noch einige Gebühren zu begleichen, um das Geld in Liechtenstein zu deblockieren. Daneben sei noch eine Restzahlung an Beiträgen zu leisten, da die Versicherungsnehmerin vor Vertragsende verstorben sei.
Das Ehepaar Freiholz begann Lunte zu riechen. Es sandte aber das verlangte Dokument ein – und zwar per E-Mail, weil nichts über den normalen Postweg gehen sollte. Tags darauf kam eine elektronische Antwort. Sie enthielt zwei Dokumente mit dem Briefkopf der Anwaltspraxis zur Unterschrift: Das eine verlangte die Eröffnung eines «Treuhandkontos», auf das die Gebühren zur Freigabe des Geldes überwiesen werden sollten. Das andere forderte absolute Vertraulichkeit.
Mariella Freiholz’ Ehemann stellte nach weiteren Abklärungen fest: Die Anwälte dieser Kanzlei waren in den üblichen Verzeichnissen nicht eingetragen. Auch antwortete niemand am Telefon. Freiholz zeigte deshalb die Dokumente, die er erhalten hatte, einem Notar. Ihm fiel auf, dass die verwendeten Begriffe nicht mit dem Schweizer Recht übereinstimmten.
Jetzt fühlte sich Freiholz in seinen Zweifeln bestätigt. Die verlangten Dokumente schickte er nicht. Bald rief Francis Muller nochmals an. Freiholz teilte ihm mit, er habe einige Recherchen angestellt und wisse jetzt, dass man versuche, seine Frau zu betrügen. Muller brach das Gespräch sofort ab.
Der K-Tipp bat die Anwaltskanzlei Francis Muller telefonisch um eine Stellungnahme. Der versprochene Rückruf blieb aus.
Betrüger agieren mit verschiedenen Namen
Francis Muller scheint nicht der einzige Name zu sein, unter dem die Betrüger auftreten. Kopiert man einige Sätze aus der Website der Zürcher Anwaltspraxis in eine Suchmaschine, stellt man fest: Der gleiche Wortlaut steht auch auf den Internetseiten der französischen Kanzleien Paul de Bruyère, Jean-Baptiste Fournier und Georges Boyer, die alle nach dem gleichen Muster aufgebaut sind.
REAKTIONEN
Gegen ihren Willen aufgeführt
Die Anwaltskanzlei Francis Muller führt auf ihrer Website unter anderem die Versicherungen Swiss Life, Basler, Generali und Axa als Referenzen auf. Alle vier Gesellschaften beteuern auf Anfrage, dass ihre Logos ohne ihr Wissen verwendet wurden und dass sie nie Kontakt mit einer Kanzlei dieses Namens hatten. Zudem kündigten alle an, Gegensteuer geben zu wollen – falls nötig mit rechtlichen Mitteln.
Ähnlich fällt die Reaktion des Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV) aus: Er hält fest, dass keiner der Namen, die auf der Internetseite der Kanzlei Francis Muller aufgeführt sind, auf seiner Mitgliederliste figuriert. SAV-Generalsekretär René Rall bedauert gleichzeitig, dass sich nur jene selbständigen Anwälte in ein kantonales Register eintragen müssten, die Gerichtsprozesse führten.