Trutenfleisch - Qualzucht und Turbomast
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saldo 14/2000
13.09.2000
Vorsicht bei Trutenfleisch: Es ist nicht gesünder als andere Fleischsorten. Und bei der Mast leiden die Truten wie Batteriehühner.
Seitdem Hormonkälber und BSE-Rinder den Schweizern den Appetit verdorben haben, brutzeln immer mehr Trutenschnitzel in den Pfannen. Sie sind frei von Skandalen. Und erst noch günstiger als die meisten Fleischstücke, zudem fettarm. Doch das von Marketingstrategen der Truthahnindustrie aufgebaute Image entspricht nicht den Tatsachen.
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Vorsicht bei Trutenfleisch: Es ist nicht gesünder als andere Fleischsorten. Und bei der Mast leiden die Truten wie Batteriehühner.
Seitdem Hormonkälber und BSE-Rinder den Schweizern den Appetit verdorben haben, brutzeln immer mehr Trutenschnitzel in den Pfannen. Sie sind frei von Skandalen. Und erst noch günstiger als die meisten Fleischstücke, zudem fettarm. Doch das von Marketingstrategen der Truthahnindustrie aufgebaute Image entspricht nicht den Tatsachen.
Die Wahrheit ist bitter: Truten fristen ein ähnlich betrübliches Dasein wie Batteriehühner. Sie sind auch nicht gesünder als andere Tiere. Truten enthalten 70 Milligramm Cholesterin pro 100 Gramm Fleisch. Gleich viel wie ein Schweinekotelett. Weiter zeigt eine Studie der Bundesanstalt für Fleischforschung im deutschen Kulmbach, dass die Fett- und Eiweissanteile eines Truthahns nicht tiefer sind als jene eines Güggelis: Beide Tierarten enthalten rund 1 Prozent Fett und in beiden befinden sich 22 Prozent Eiweiss.
Truten werden in Rekordzeit auf über 20 Kilo gemästet
Das grösste Übel ist jedoch die Haltung der Truten: "Die Mast ist mit wenigen Ausnahmen im In- und Ausland wenig tiergerecht", erklärt der Agronom Hans-Ulrich Huber von der Beratungsstelle für artgerechte Nutztierhaltung des Schweizer Tierschutzes. Die Ställe in der Schweiz beherbergen in der Regel nicht mehr als 2000 bis 3000 Tiere, im Ausland gibt es Riesenhallen mit mehreren 10000 Tieren. Auf einen Quadratmeter kommen in der Schweiz drei bis vier Tiere, im Ausland fünf bis sechs, in voll klimatisierten Ställen noch mehr.
Doch Anstrengungen für eine bessere Haltung in der Schweiz sind für die Tierschützer nur ein Tropfen auf den heissen Stein: Denn der grösste Teil des konsumierten Fleisches stammt aus dem Ausland. Zudem halten die Kritiker auch die einheimischen Bedingungen durchaus noch für verbesserungsfähig.
Zum Beispiel die Turbomast. Während wilde Truthähne höchstens 7 Kilo auf die Waage bringen, werden die Zuchttruten in Rekordzeit auf Rekordgewicht gemästet. In der Schweiz in 16 Wochen auf 14 Kilo. Im Ausland in 22 Wochen sogar auf über 20 Kilo. Im Ausland werden im Gegensatz zur Schweiz zusätzlich Wachstumsförderer eingesetzt.
Die Truten kommen als Eintagesküken oder Eier zum Ausbrüten in die Schweiz. Die Zuchtlinien stammen fast ausschliesslich von British United Turkey. Die englische Organisation kontrolliert 90 Prozent des europäischen Marktes. Am weitesten verbreitet ist die Rasse Big 6.
"Es handelt sich um eine eigentliche Qualzucht", betont Hans-Ulrich Huber. Die Tiere setzen rasch und einseitig im Brustbereich Fleisch an. Ein Trutenschnitzel ist nichts anderes als ein monströs überzüchteter Muskel. Für die Truten hat das schlimme Folgen: Das Skelettwachstum kann nicht Schritt halten. Viele Tiere haben O-Beine, bei anderen knicken die Beine einfach ein. "Die Truten können sich kaum mehr bewegen", sagt Huber. "Sie fallen beim Putzen des Gefieders schon mal wegen des schweren Brustmuskels nach vorne um und ruhen so die meiste Zeit - was für Junggeflügel völlig atypisch ist."
Coupierte Schnäbel und Ställe ohne Tageslicht
Noch ein Missstand: Die im Stall zusammengepferchten Truten beissen und hacken einander. Manchmal bis zum Tode. "Zur Bekämpfung der Verhaltensprobleme werden allen Küken prophylaktisch die Schnäbel coupiert", erklärt die Biologin Nadja Brodmann von Kagfreiland. "Auch wird im Stall das Licht abgedunkelt. Denn wenn die Tiere fast nichts sehen, können sie sich weniger bepicken."
Max Fischer
Einkauf: Auf Fleisch-Labels achten
° So viel Trutenfleisch essen die Schweizer: Der Fleischkonsum pro Kopf betrug 1998 in der Schweiz 61 Kilogramm. Der Geflügelanteil machte 9 Kilo aus, davon entfielen 2 Kilo auf das Trutenfleisch. Der Grossteil wurde importiert: Zwei Drittel oder 1,4 Kilo pro Kopf der Bevölkerung stammten aus dem Ausland.
° Tipps für den Einkauf: Kaufen Sie generell nur CH-Fleisch von glaubwürdigen Labels wie Kagfreiland, Demeter, Fidelio, Migros Bio und Natura Beef.
° Wer auf Trutenfleisch nicht verzichten möchte: Gewisse Bio-Betriebe (Frifag in Märwil) oder wenige Kagfreiland-Betriebe bieten Fleisch von glücklichen Truten an. Die zur Coop gehörende SEG hat die Truten-Freilandhaltung aufgegeben.
° Preisvergleich: Ein in der Schweiz abgepacktes Trutenschnitzel aus Ungarn kostet bei der Migros ZH 22 Franken pro Kilo, ein Trutenvoressen 15 Franken pro Kilo. Bei Kagfreiland beträgt der Kilopreis für ein Mischpaket 24 Franken.