Die Kombination von Steuererleichterungen für die Unternehmen und Mehrkosten für die Be­völkerung ist höchst umstritten. Trotzdem pas­sierte der sogenannte Steuerdeal Ende September die Schlussabstimmungen im Parlament komfortabel – im Ständerat mit 39 zu 4  und im Nationalrat mit 112 zu 67 Stimmen. 

Begonnen hatte die ­Sache im Februar 2017: Damals erteilten die Stimmberechtigten der «Unternehmenssteuerreform III» mit gut 59 Prozent Nein-Stimmen eine klare Abfuhr. Der Bundesrat gleiste daraufhin im Eilzugstempo eine neue Steuerreform auf. Diese will die heutigen Steuerprivi­legien für Grosskonzerne ersetzen durch Steuervergünstigungen, die international akzeptiert sind. Und durch eine teils massive Senkung der Besteuerung von Unternehmensgewinnen durch die Kantone. Damit wolle man verhindern, dass die multinationalen Konzerne aus der Schweiz abwandern, argumentieren die Befürworter der neuen Steuergeschenke.

Das hat seinen Preis: Bundesrat und Parlament schätzen die Steuerausfälle fürs Jahr 2020 auf 2 Mil­liarden Franken – knapp 600 Millionen für den Bund, gut 1,4 Milliarden für die Kantone. Und dies, obwohl die Reform auch vorsieht, Dividenden künftig stärker zu be­steuern als bisher: beim Bund zu 70 Prozent, in den Kantonen zu mindestens 50 Prozent. Das trifft vor allem die Schweizer Unternehmer.

Ein AHV-Zückerchen fürs Steuergeschenk

Steuerausfälle von 2 Milliarden – der Bevölkerung lässt sich das schlecht verkaufen. Also beschloss das Parlament, mit dem Geschenk an die Konzerne ein AHV-Zückerchen zu verbinden: Für jeden Steuerfranken, welcher der öffentlichen Hand entgeht, soll ein Franken in die AHV fliessen. Das heisst: Der AHV winkt eine Finanzspritze von 2 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Zurzeit besitzt die AHV ­Reserven von fast 46 Milliarden Franken. 

Im Parlament gab dieser Deal viel zu reden. Der grünliberale Parteipräsident und Berner Nationalrat Jürg Grossen etwa kritisierte, dass die AHV-Zusatzbei­träge immer wieder dreist als «Gegen­finanzierung» für die ­Steuerausfälle dargestellt wurden. Tatsächlich wird das 2-Milliarden-Steuerloch durch das zusätzliche Geld für die AHV ja ­keineswegs gestopft. Die AHV-Prämien-Erhöhung führt vielmehr dazu, dass zu den Steuerausfällen noch neue Ausgaben in gleicher Höhe dazukommen. Der Steuerdeal kostet schon im Jahr 2020 unter dem Strich also 4 Milliarden Franken.

Die neuen 2 Milliarden müssten zum einen die AHV-Pflichtigen auf­bringen (1,2 Milliarden). Zum anderen würde die Bundeskasse 800 Millionen mehr in die AHV ein­zahlen – allerdings Geld, das sie der AHV-Kasse schon ­länger schuldet (siehe ­Kasten). Zur Kasse gebeten würden ­konkret: 

die Angestellten. Sie müssten zusätzliche 0,15 Prozent ihres Lohns an die AHV zahlen. Das ergibt bei einem Gehalt von 80 000 Franken rund 120 Franken mehr Lohnabzug pro Jahr – und für die AHV rund 600 Millionen Franken. Zudem dürften die Angestellten für einen grossen Teil jener weiteren 600 Millionen aufkommen müssen, die aus dem Anstieg der Arbeitgeber­beiträge resultieren. Denn die ­meisten Arbeitgeber haben ein ­fixes Budget für Löhne und Sozialabgaben. Steigen die Abgaben an die Sozialversicherungen, steht weniger Geld für die ­Löhne zur Verfügung. 

die Nichterwerbstätigen. Sie müssten je nach ihren finanziellen  Verhältnissen künftig pro Jahr zwischen 13 und 650 Franken mehr an die AHV abliefern. 

die Steuerzahler. Sie sind es, welche die zusätzlichen 800 Millionen Franken des Bundes an die AHV finanzieren. Und sie ­hätten es auszubaden, wenn Bund oder Kantone wegen ­Steuerausfällen und Mehr­ausgaben Sparpakete beschliessen sollten. «Der nächste Abbau bei Spitex, Bildung oder Sicherheit ist programmiert», warnte die Berner Nationalrätin und Präsidentin der Grünen, Regula Rytz, während der Ratsdebatte. 

Hauptprofiteure des Steuerdeals wären die­jenigen Grosskonzerne, die schon bisher Steuerprivilegien genossen. Ihnen bliebe die Schweiz als ­steuergünstiges Pflaster erhalten – mit all ihren ­weiteren Vorzügen wie Rechtsstaatlichkeit, poli­tischer Stabilität, guter ­Infrastruktur und hoher Lebensqualität.

Zwei verschiedene Themen verknüpft

Die Befürworter des Deals zählen auch die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der Schweiz zu den Gewinnern. Denn auch sie könnten von ­sinkenden Gewinnsteuern profitieren. Doch das mochten selbst im Parlament nicht alle glauben. Der parteilose Schaff­hauser Ständerat Thomas Minder etwa wandte ein, für die KMU werde «die versprochene Reduktion der Gewinnsteuer im ­selben Atemzug mit hö­heren Kosten bei der AHV und einer höheren Besteuerung der Dividenden zunichte gemacht».

Minder störte sich zudem massiv an der Verknüpfung zweier völlig verschiedener Themen – der Unternehmenssteuerreform und der AHV – in ein und derselben Vorlage. Andere Parlamentarier ­teilten seinen Unmut. Der Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter etwa ­kritisierte den AHV-­Steuer-Kuhhandel als ­Versuch, die Stimm­berechtigten zu bestechen, und fügte an: «Was kommt als Nächstes? Ein Migros-­Einkaufsgutschein für jede Ja-Stimme zu neuen Kampffliegern?»

Wahrscheinlich entscheidet das Volk

Solche Kritik konnte die Mehrheit des Parlaments nicht umstimmen. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass der Kuhhandel vors Volk kommt. Verschiedene Parteien und Gruppierungen unterstützen das Referendum, für das bereits Unterschriften gesammelt werden – darunter die Grünen, die ­Gewerkschaften VPOD und Unia sowie die Jungparteien von SP, Grünliberalen, BDP und SVP. Kommt das Referendum zustande, wird am 19. Mai 2019 abgestimmt.

AHV: Bund hat acht Milliarden abgezweigt

Der Steuer-AHV-Deal sieht vor, dass der Bund an die 2-Milliarden-Finanzspritze für die AHV rund 800 Mil­lionen Franken beisteuert. Geplant ist, den Bundesbeitrag an die AHV-Aus­gaben von aktuell 19,55 auf 20,2 Prozent zu erhöhen. Das bringt 300 Millionen. Zudem würde das sogenannte Demografieprozent künftig vollumfänglich der AHV zufliessen. Das bringt 500 Millionen.

Das Demografieprozent geht auf eine Volksabstimmung im Jahr 1993 zurück. Die Stimmbürger hiessen damals eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Prozent gut. Das Geld müsste laut Bundesver­fassung voll und ganz der AHV zukommen. Dennoch beschloss das Parlament auf Antrag des damaligen Finanzministers Kaspar Villiger, 17 Prozent davon in die Bundeskasse fliessen zu lassen.

Bis heute sind der AHV aus diesem Grund rund 8 Mil­liarden Franken entgangen (K-Tipp 1/2018). Das will auch der Steuer-AHV-Deal nicht rückgängig machen: Er unterlässt es, den Bund zu verpflichten, der AHV diese Milliarden endlich auszubezahlen.