Seit 2012 gibt es in den Niederlanden ein Ticket, das im ganzen Land gültig ist: einen elektronischen Fahrausweis im Kreditkartenformat. Mit der sogenannten OV-Chipkaart lösen die Passagiere die Billette für Züge, Trams, Busse, Fähren und U-Bahnen. Die ÖV-Karte kann als Abo, für Einzeltickets, Tages- und Wochenkarten, Mehrfahrtenkarten oder Klassenwechsel verwendet werden. Es gibt persönliche und übertragbare Chipkarten. 

Der innovativste Teil des holländischen E-Ticket-Systems ist der «Easy-Trip» – die Fahrgäste zahlen nur die tatsäch-lich gefahrenen Kilometer. Das funktioniert so: Zuerst lädt man an einem Ticketautomaten oder am Schalter ein frei wählbares Guthaben auf seine OV-Chipkaart. Danach checkt man in Bahn, Tram oder Bus beim Einsteigen ein, indem man die Karte an ein Lesegerät hält. Am Ziel angelangt, checkt man beim Aussteigen an einem Lesegerät wieder aus. Dabei wird der Fahrpreis berechnet und abgebucht. 

Das System ist ein Erfolg. Laut Eric Trinthamer, Sprecher der niederländischen Bahngesellschaft NS, besitzen über 80 Prozent der Bevölkerung zwischen 6 und 88 Jahren eine OV-Chipkaart. Probleme gibt es kaum. Die häufigste Fehlerquelle sind Passagiere, die nach der Fahrt vergessen auszuchecken.

Wer sicherstellen will, dass er keine Zeit mit Aufladen verliert und immer genug Geld auf der Karte hat, kann die OV-Chipkaart mit seinem Bankkonto verbinden. Fällt der Saldo der Karte unter einen bestimmten Betrag, wird eine vorher vom Kunden bestimmte Summe automatisch draufgeladen. 


Auch für gelegentliche Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel praktisch

Auch Leute, die den öffentlichen Verkehr nur wenig benutzen, profitieren von der Einfachheit des Systems. Sie können mit der Chipkaart in irgendeinen Zug oder Bus einsteigen, ohne vorher ein Einzelbillett gekauft zu haben. Wer einmal als Tourist in Holland herumgereist ist, weiss: Einfacher gehts kaum mehr. 

Von einem solch kundenfreundlichen System wollen die SBB und die übrigen rund 140 Verkehrsbetriebe der Schweiz nichts wissen. Sie wollen in der zweiten Jahreshälfte 2015 eine elektronische Karte für die Benützung des öffentlichen Verkehrs einführen. Vorerst sollen sie aber nur Besitzer von General- und Halbtaxabos sowie von Abos grösserer Verkehrsverbünde erhalten. Die Einführung kostet laut Bundesrat rund 55 Millionen Franken. 


Schweiz am holländischen System nicht interessiert

Gelegenheitskunden haben nichts von der neuen Karte: Sie müssen noch immer jedes Ticket separat lösen, sich weiterhin mit den unterschiedlichsten Billettautomaten und Tarifsystemen herumquälen. Auch für Abobesitzer hat die ÖV-Karte nur minime Vorteile: Man muss für die Verlängerung der Gültigkeitsdauer keine neue Karte mehr bestellen. Und es soll einfacher sein, ein Abonnement zu unterbrechen. 

Es ist offensichtlich: SBB wie Verkehrsbetriebe nützen die Möglichkeiten einer elektronischen ÖV-Karte nicht aus. Eine Übernahme des holländischen Systems kommt laut Roger Baumann, Sprecher des Verbands öffentlicher Verkehr, nicht in Frage. Vielmehr wolle die hiesige ÖV-Branche schrittweise eine eigene E-Ticket-Variante entwickeln. Mit der Einführung eines Systems, das die Fahrstrecken der Reisenden beim Ein- und Aussteigen registriert, ist laut Jeannine Pilloud, Leiterin SBB-Personenverkehr, nicht vor 2024 zu rechnen.