Der Chef darf vieles - aber nicht alles
Angestellte sehen sich am Arbeitsplatz mit vielen Vorschriften konfrontiert. Einige Regeln leuchten ein, andere weniger - und einige sind schlicht unzulässig.
Inhalt
Haus & Garten 4/2005
21.09.2005
Gery Schwager
Unser Chef verlangt, dass wir in "anständigen" Kleidern (Oberteil mit Kragen, keine Blue Jeans, keine kurzen oder halblangen Hosen) zur Arbeit erscheinen, weil an unserem Geschäftssitz oft Kunden empfangen werden. Müssen wir das akzeptieren?»
Fragen dieser Art gehören bei der Rechtsberatung des K-Tipp und Saldo zu den Dauerbrennern. Neue Regeln und Vorschriften des Vorgesetzten, die von den Angestellten als Einmischung in ihre Privatangelegenheiten empfunden werden, sorgen of...
Unser Chef verlangt, dass wir in "anständigen" Kleidern (Oberteil mit Kragen, keine Blue Jeans, keine kurzen oder halblangen Hosen) zur Arbeit erscheinen, weil an unserem Geschäftssitz oft Kunden empfangen werden. Müssen wir das akzeptieren?»
Fragen dieser Art gehören bei der Rechtsberatung des K-Tipp und Saldo zu den Dauerbrennern. Neue Regeln und Vorschriften des Vorgesetzten, die von den Angestellten als Einmischung in ihre Privatangelegenheiten empfunden werden, sorgen offenbar in manchem Betrieb für Ärger und Verunsicherung.
SPEZIAL hat die zehn häufigsten Konfliktfelder zwischen Chefs und Angestellten zusammengestellt und sagt, was sich Arbeitnehmer gefallen lassen müssen - und was nicht:
Darf die Firma Telefon-, Mail- und Internetnutzung ihrer Angestellten überwachen?
Schweizer Unternehmen kennen unterschiedliche Regeln, was das private Surfen und Mailen im Büro betrifft. Das hat eine Umfrage von SPEZIAL bei 34 Firmen ergeben (SPEZIAL 02/05). Vier dieser Unternehmen (ABB, CSS, Hotelplan und Tui) teilten mit, die Mitarbeiter dürften Internet und Mail ausschliesslich für berufliche Zwecke einsetzen. Acht Firmen erlaubten die private Nutzung ausserhalb der Arbeitszeit, die übrigen 22 auch zwischendurch.
Zulässig sind alle diese Varianten, inklusive Totalverbot. Der Arbeitgeber muss aber auch in diesem Fall private Mails oder Telefongespräche erlauben, wenn diese keinen Aufschub dulden, wenn also zum Beispiel ein Arzttermin kurzfristig verschoben werden muss.
Wer trotz Verbot privat telefoniert oder surft, verstösst gegen die Treuepflicht. Fehlbare müssen mit Schadenersatzforderungen, in gravierenden Fällen gar mit Kündigung rechnen.
Auf jeden Fall zu empfehlen ist ein klares Nutzungsreglement; die Belegschaft sollte zweifelsfrei wissen, was sie mit Internet, Mail und Telefon tun darf und was nicht. Zudem darf der Arbeitgeber den Gebrauch dieser Mittel überprüfen - sofern dies im Vertrag oder Reglement angekündigt wurde und die Anonymität der Angestellten gewahrt bleibt.
Will der Chef hingegen das Nutzungsverhalten einzelner Mitarbeiter unter die Lupe nehmen, muss er die Belegschaft vorgängig über die Möglichkeit personenbezogener Kontrollen informieren. Laut Daniel Menna, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (EDSB), hat er dazu ein Überwachungsreglement vorzulegen, aus dem auch hervorgeht, welche Sanktionen Fehlverhalten nach sich ziehen kann.
Menna: «Ausserdem dürfen personenbezogene Auswertungen nur dann stattfinden, wenn die vorgängige anonyme Überprüfung konkrete Hinweise auf Missbrauch ergeben hat.»
Auf keinen Fall aber darf der Vorgesetzte als privat erkennbare Mails lesen oder Telefongespräche ohne Erlaubnis der Telefonierenden abhören. Ebenso wenig darf er Spionageprogramme einsetzen. Diese Programme verraten so ziemlich alles über den ahnungslosen Angestellten: seine Mails, seine Surftouren, die von ihm verwendete Software und unter Umständen gar seine Passwörter, wird doch jeder Buchstabe, den er auf seiner Tastatur anschlägt, registriert. Menna: «Arbeitgeber, die diese Mittel einsetzen, verstossen gegen den gesetzlichen Persönlichkeitsschutz und machen sich strafbar.»
Gegen Arbeitgeber, die zu unerlaubten Überwachungsmethoden greifen, können Angestellte beim Arbeitsgericht wegen Persönlichkeitsverletzung klagen. Sie können aber auch strafrechtliche Mittel ergreifen und bei der Polizei Anzeige wegen Verletzung der Privatsphäre erstatten.
Darf die Firma Arbeitsplätze mit Video kontrollieren?
Videoüberwachungen aus Sicherheitsgründen - etwa in der Schalterhalle einer Bank - sind zulässig. Nicht statthaft ist eine Überwachung aber, wenn sie zur systematischen Verhaltenskontrolle der Arbeitnehmer erfolgt, wie EDSB-Sprecher Menna betont.
Darf die Firma Kleidervorschriften erlassen?
Aufgrund seines Weisungsrechts darf der Arbeitgeber seinen Angestellten vorschreiben, was für Kleider sie am Arbeitsplatz tragen müssen. Voraussetzung ist aber, dass betriebliche Gründe - zum Beispiel regelmässige Kontakte mit Kundschaft - dies rechtfertigen.
Muss die Firma rauchfreie Arbeitsplätze bereitstellen?
Sowohl die Fürsorgepflicht als auch Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz verlangen vom Arbeitgeber, dass er Nichtraucher vor dem Qualm rauchender Kollegen und Kunden schützt. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, können Betroffene sich ans kantonale Arbeitsinspektorat wenden. Unterstützung bietet die Stiftung für Passivraucherschutz «pro aere» (www.proaere.ch).
Das Weisungsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber übrigens auch, Vorschriften betreffend Alkohol aufzustellen. So kann er beispielsweise verbieten, während der Arbeitszeit und über Mittag Aperos durchzuführen. In Branchen, wo Sicherheit und Gesundheit von Personal und Kundschaft unmittelbar auf dem Spiel stehen, wie zum Beispiel im Personentransport, ist er zu Vorschriften gar verpflichtet.
Darf die Firma den Beitritt zu einer Gewerkschaft verbieten?
Arbeitnehmer haben nach Verfassung immer das Recht, sich einer Gewerkschaft oder einem berufspolitischen Verband anzuschliessen. Lässt der Arbeitgeber das nicht zu, handelt er rechtswidrig.
Bei weltanschaulich ausgerichteten Arbeitsplätzen (zum Beispiel in Medien oder Behörden) sind gewisse Weisungen über den Arbeitsplatz hinaus zulässig. Der Redaktor einer politisch neutralen Zeitung müsste es wohl akzeptieren, dass er sich nicht öffentlich in einem Abstimmungskomitee engagieren darf. Ihm eine Parteimitgliedschaft zu verbieten, ginge aber zu weit.
Darf die Firma Nebenbeschäftigungen untersagen?
Ein Nebenjob ist grundsätzlich nur dann verboten, wenn der Arbeitnehmer damit seine Treuepflicht verletzt. Der Job darf also den Arbeitgeber nicht konkurrenzieren. Und er darf auch die Leistungsfähigkeit am eigentlichen Arbeitsplatz nicht beeinträchtigen.
Darf die Firma Ferientermine festsetzen?
Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Zeitpunkt zu bestimmen, solange er sein Personal nicht von einem Tag auf den andern in die Ferien schickt. Er muss dabei auch auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer Rücksicht nehmen - bei Angestellten mit Kindern zum Beispiel auf die Schulferien.
Darf die Firma ein Arztzeugnis ab dem ersten Krankheitstag verlangen?
In der Regel verlangen Arbeitgeber ein Arztzeugnis erst ab dem dritten oder vierten Tag einer Krankheitsabsenz. Man soll ja nicht wegen einer leichten Erkrankung sofort den Arzt aufsuchen müssen, bloss um ein Zeugnis zu bekommen. Theoretisch aber dürfte die Firma das Zeugnis schon ab dem ersten Tag einfordern.
Notfalls darf man auch bei vollem Lohn fehlen, um seine erkrankten Kinder oder nahe Angehörige zu betreuen. Allerdings muss man diese Absenz möglichst kurz halten, hat also umgehend eine Fremdbetreuung zu organisieren.
Darf die Firma Liebespaaren Verhaltensregeln vorschreiben?
Wenn die Liebesbeziehung Arbeit und Klima in der Firma nicht beeinträchtigt, gibt es keinen Grund für besondere Verhaltensregeln. Wird die Arbeitsleistung aber geschmälert, verletzen die Verliebten ihre Treuepflicht. Der Arbeitgeber kann eine Versetzung anordnen oder im Extremfall gar eine Kündigung aussprechen.
Darf die Firma die persönliche Arbeitsplatzgestaltung untersagen?
Dank seines Weisungsrechts ist der Chef befugt, ganz unterschiedliche Verhaltensregeln aufzustellen. Er darf etwa verfügen, dass Hunde am Arbeitsplatz nicht zugelassen sind. Er darf den Angestellten sogar verbieten, ihren Arbeitsplatz mit Fotos und Figürchen wie das eigene Wohnzimmer zu schmücken.
INTERNETADRESSEN
Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat zum Thema Arbeitsplatzüberwachung folgende Publikationen verfasst:
- Leitfaden über Internet-/
E-Mail-Überwachung:
www. edsb.ch/d/doku/ leitfaeden internet/ internet.pdf
- Erläuterungen zur Videoüberwachung: www.edsb.ch/d/themen/
video/videoarbeit_d.pdf
- Erläuterungen zur Telefonüberwachung: www.edsb.ch/d/themen/
weitere/telefonueber
wachung_d.pdf
Eine Dokumentation gibts auch unter www.spionagecheck.de.
Downloads gegen Spionagesoftware unter:
- http://download-tipp.de/
shareware_und_freeware/
12770.shtml
- http://download.t-online.de/
kategorien.phtml?kat=945
Privatsphäre: Das sagen die Gesetze
Arbeitgeber und -nehmer haben zahlreiche Rechte und Pflichten, was ihr Verhalten am Arbeitsplatz betrifft. Zu den wichtigsten gehören:
- Weisungsrecht:
«Der Arbeitgeber kann über die Ausführung der Arbeit und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb (...) allgemeine Anordnungen erlassen und ihnen besondere Weisungen erteilen.» So steht es in Artikel 321d des Obligationenrechts (OR). Arbeitnehmer müssen sich an diese Anordnungen halten und die Weisungen «nach Treu und Glauben» befolgen - es sei denn, es handle sich um willkürliche, sinnlose, schikanöse oder gegen den Arbeitsvertrag verstossende Vorschriften.
- Fürsorgepflicht:
«Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.» Das schreibt Artikel 328 des OR vor. Zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Belegschaft muss der Arbeitgeber sämtliche technisch möglichen und wirtschaftlich zumutbaren Vorkehren treffen.
- Treuepflicht:
«Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren.» Aus dieser in Artikel 321a des OR formulierten Vorschrift ergibt sich unter anderem auch, dass Angestellte alles zu vermeiden haben, was dem Betrieb schaden könnte. Sie müssen zum Beispiel geschäftliche Interna geheim halten und dürfen in ihrer Freizeit nicht für einen Konkurrenten ihres Arbeitgebers arbeiten.
- Überwachungsverbot: «Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen nicht eingesetzt werden», heisst es in Artikel 26 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz. Erlaubt ist der Einsatz solcher Systeme indes aus Sicherheitsgründen, zur Produktionssteuerung oder zum Erfassen der Arbeitsleistung. Die betroffenen Angestellten müssen aber vorgängig darüber informiert sein und dürfen in ihrer Gesundheit und Bewegungsfreiheit nicht beeinträchtigt werden.
- Nichtraucherschutz:
«Der Arbeitgeber hat im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die Nichtraucher nicht durch das Rauchen anderer Personen belästigt werden.» Artikel 19 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz verpflichtet den Arbeitgeber also ebenso wie die oben erwähnte Fürsorgepflicht, zum Schutz der nichtrauchenden Angestellten Rauchverbote auszusprechen.