Achtung: Krebserregende Dämpfe beim Tanken
Bei jeder dritten Zapfsäule entweichen mehr krebserregende Benzindämpfe als gesetzlich erlaubt. Das zeigen bisher unveröffentlichte Stichproben, die saldo vorliegen.
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saldo 11/2007
13.06.2007
Eric Breitinger
Tanken kann ihre Gesundheit gefährden: Dieser Warnhinweis müsste an vielen Zapfsäulen stehen. Bei jedem dritten Zapfhahn entweichen nämlich zu viele krebserregende Benzindämpfe, sagt Roland Rüfenacht, Vorsitzender der Tankstellenkommission der Schweizerischen Gesellschaft der Lufthygieniker (Cercl’Air). Diesen Befund bestätigen zwei aktuelle, bisher unveröffentlichte Berichte von kantonalen Tankstellen-Kontrollen, die saldo vorliegen.
Die schlechten Ergebnisse zeigen, dass seit J...
Tanken kann ihre Gesundheit gefährden: Dieser Warnhinweis müsste an vielen Zapfsäulen stehen. Bei jedem dritten Zapfhahn entweichen nämlich zu viele krebserregende Benzindämpfe, sagt Roland Rüfenacht, Vorsitzender der Tankstellenkommission der Schweizerischen Gesellschaft der Lufthygieniker (Cercl’Air). Diesen Befund bestätigen zwei aktuelle, bisher unveröffentlichte Berichte von kantonalen Tankstellen-Kontrollen, die saldo vorliegen.
Die schlechten Ergebnisse zeigen, dass seit Jahren nicht viel passiert ist: Cercl’Air hatte nämlich bereits im Jahr 2000 festgestellt, dass jeder dritte Zapfhahn mehr giftige Benzindämpfe absondert als erlaubt. Der Verband hatte damals 4500 Zapfhähne in 16 Kantonen kontrolliert.
Neue Messungen zeigen keine Verbesserungen
Die neusten Zahlen sehen nicht besser aus: Das Tessiner Luftschutzamt in Bellinzona hat von November 2006 bis Februar 2007 im Kanton 50 Tankstellen mit insgesamt 309 Zapfhähnen überprüfen lassen. Ergebnis: Bei 43 Prozent der Zapfhähne funktionierte das Gasrückführsystem schlechter als gesetzlich erlaubt. 6 Prozent davon waren Totalausfälle (siehe Grafik). Folge: Wer bei einer der beanstandeten Zapfsäulen tankt, läuft Gefahr, gesundheitsgefährdende Benzindämpfe einzuatmen.
Etwas weniger schlecht schnitt der Kanton Bern ab. Hier hatte das Berner Wirtschaftsamt im Frühjahr 40 Tankstellen überprüfen lassen. Allerdings hatte das Amt vorher den Tankstellenbesitzern Kontrollen angekündigt. 33,3 Prozent der 261 geprüften Zapfhähne verstiessen trotzdem gegen die Luftreinhalteverordnung, weil bei ihnen mehr als 10 Prozent krebserregende Benzindämpfe in die Luft gelangten. Bereits 2003 hatten sich bei Stichproben 38 Prozent der geprüften Zapfhähne im Kanton Bern als ungenügend und gesetzeswidrig erwiesen. Einzig bei den Totalausfällen gibt es einen Fortschritt: 2007 funktionierte die Gasrückführung nur bei 1,5 Prozent der kontrollierten Zapfhähne überhaupt nicht. Vor vier Jahren lag die Zahl noch bei fast einem Drittel.
Selbstkontrolle der Tankstellenbetreiber funktioniert nicht
Die aktuellen Resultate passen ins Bild: So beanstandete das Solothurner Amt für Umwelt im vergangenen Herbst 35 von 109 kontrollierten Zapfhähnen (31 Prozent). Auch hier funktionierten die Gasrückführsysteme nicht korrekt.
Die schlechten Ergebnisse stellen die bisherige Praxis der Selbstkontrolle der Tankstellenbranche in Frage. «Sie hat offenbar nicht gut funktioniert», sagt Luca Colombo, Leiter des Tessiner Amtes für Luftreinhaltung. Mängel gibt es auf drei Ebenen:
1. Tankwarte testen nicht regelmässig
Die Stichproben ergaben: Viele Tankwarte kommen ihrer Pflicht nicht nach, die Zapfhähne monatlich per Schnelltester zu kontrollieren. Ungenügend arbeitende Gasrückführsysteme bleiben daher oft unbemerkt. Der Verband der schweizerischen Erdölbranche, die Erdöl-Vereinigung, räumt hier Mängel ein und will laut Vertreter Armin Heitzer «unsere Mitglieder mit Tankstellen für diese Pflichten künftig mehr sensibilisieren». Konkreter wird er jedoch nicht.
2. Kontrolleure messen und beschönigen
Zurzeit delegieren 17 Kantone die lufthygienische Aufsicht der Tankstellen an den Autogewerbeverband der Schweiz (AGVS). Dieser beauftragt externe Firmen mit regelmässigen Messungen an den Zapfsäulen und wertet die Zahlen aus. Pikant: Der AGVS hatte in den betroffenen Kantonen stets viel weniger lufthygienische Verstösse festgestellt, als nun die Stichproben unter Regie der Kantone ergaben. Schuld daran sei, so Cercl’Air-Vertreter Rüfenacht, dass viele AGVS-Messtechniker «die ersten Stichproben ignorieren, die Anlage neu justieren, nochmals messen und die besseren Ergebnisse notieren.»
Der AGVS gibt sich auf Anfrage selbstkritisch: Stefano Robbiani, Verantwortlicher des Tankstelleninspektorats, räumt «einen Handlungsbedarf» bei der Ausbildung der Messtechniker ein: «Wir wollen diese Situation so rasch wie möglich verbessern.» Im Herbst müssen Messtechniker mit veralteter Ausbildung zu einer Fortbildung mit Prüfung. Auf ihren Messgängen sollen sie zudem von neutralen Kontrolleuren begleitet werden.
3. Kantone delegieren, ohne zu konrollieren
Die meisten Kantone delegieren die Tankstellenkontrolle seit Jahren an den AGVS, ohne diesen ihrerseits regelmässig zu kontrollieren.
Dabei hätten die Cercl’Air-Zahlen aus dem Jahr 2000 die Kantonsverantwortlichen stutzig machen können. Erst allmählich kommt ein Umdenken in Gang: Der Kanton Graubünden hat eine externe Firma mit Stichproben beauftragt. Der Tessiner Regierungsrat wird über einen Massnahmenkatalog zur Luftreinhaltung entscheiden, der unter anderem eine bessere Schulung der Tankwarte vorsieht.
Nachrüstung der Tanksäulen auf der langen Bank
Die Problematik der Benzindämpfe liesse sich weitgehend technisch lösen - durch selbst- überwachende Gasrückführsysteme. Diese schalten sich automatisch nach 72 Stunden ab, wenn sie nicht genügend Gas aus dem Tank pumpen. In Deutschland müssen laut Gesetz bis Ende Jahr alle Tankstellen ein solches System eingebaut haben. Anschaffung und Installation kosten rund 3300 Franken.
Cercl’Air verlangt nun, dass alle 3500 Schweizer Tankstellen ihre Zapfsäulen ebenfalls entsprechend modernisieren. Diese Forderung hat der Verband vor kurzem dem Bundesrat unterbreitet. «Spätestens in fünf Jahren könnten alle Zapfsäulen nachgerüstet sein», sagt Roland Rüfenacht. Das lehnen die Tankstellenbetreiber ab. Armin Heitzer von der Erdöl-Vereinigung hält «das für eine unfaire Bestrafung der Tankstellenbetreiber, welche die Sollwerte einhalten». Der Ball liegt nun beim Bundesrat.
Benzol - Gefahr für Mensch und Umwelt
Das Gefährliche an den Benzindämpfen ist das giftige Benzol. Das Internationale Krebsforschungsinstitut der Weltgesundheitsorganisation WHO stuft diesen aromatischen Kohlenwasserstoff als «krebserregend» ein. Benzol begünstigt die Entstehung von Leukämie. Selbst geringe Mengen können Blut- und Knochenmarkzellen schädigen und die Anzahl der Blutplättchen verringern. Zudem steigert Benzol die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten.
Zugleich schädigt Benzol die Umwelt, da es zur Bildung des bodennahen Ozons beiträgt. Im Bericht «Benzol in der Schweiz» bilanzierte die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene 2003, dass die Wissenschaft bisher keine Schwellen nachgewiesen habe, unterhalb derer Benzol ungefährlich sei: «In der Atemluft ist Benzol deshalb grundsätzlich unerwünscht.»
Seit 1992 sind in allen Tankstellen Gasrückführsysteme gesetzlich vorgeschrieben. Diese sollen die beim Tanken austretenden giftigen Dämpfe abpumpen und sie in den Lagertank der Tankstelle zurückführen. Falls sie in die Luft gelangen, erkennt man dies zumeist am starken Benzingeruch.