Der Eingangsbereich einer Schweizer Zahnarztpraxis: Man sieht eine Assistentin, die eine Patientin abholt. Beide sind gut erkennbar. Die Bilder stammen von der Überwachungskamera in der Zahnarztpraxis.
Was weder Assistentin noch Patientin wissen: Die Bilder dieser Kamera sind ständig live und für jedermann im Internet einsehbar. Der Grund: Die Videokamera wurde von Hackern angezapft, ihre Bilder waren tagelang auf Insecam.org frei zugänglich.
Solche Live-Aufnahmen von Überwachungskameras gibt es viele im Internet. Der K-Tipp spürte während zweier Wochen den Aufnahmen von rund 400 Kameras nach: Oft zeigen sie öffentliche Plätze. Rund ein Viertel gewährt Einblick in Privatgärten, Hauseingänge, Coiffeursalons, Restaurants und Läden. Die Gesichter der gefilmten Personen sind meist gut erkennbar.
In zehn Fällen machte der K-Tipp die Kamerabesitzer ausfindig. Mit den veröffentlichten Aufnahmen konfrontiert, zeigen sie sich unangenehm überrascht.
Zum Beispiel Roger Jaun, Direktor des Hotels Bernerhof in Interlaken BE: Alle seine Gäste, die den Eingang passierten oder an den Tischen in der Nähe sassen, waren nonstop live im Internet zu sehen. Wie es dazu kommen konnte, ist für Jaun ein Rätsel: «Bei der Installation der Kameras wurden alle Standardpasswörter geändert.»
Auch im Shop von UPC (früher Cablecom) in Wetzikon ZH wusste niemand, dass die Kamerabilder aus dem Laden im Internet gezeigt wurden. UPC schreibt: «Die Kamera wurde in der Zwischenzeit mit einem neuen Passwort geschützt.»
Insecam.org rühmt sich, über die weltweit grösste Sammlung an Live-Aufnahmen privater Kameras zu verfügen. Der Betreiber bleibt anonym. Die Website ist in Australien registriert und in den USA gespeichert. Der Link zu Facebook ist auf Russisch geschrieben. Einzige Kontaktmöglichkeit ist eine E-Mail-Adresse.
Der K-Tipp hat dem anonymen Betreiber einige Fragen gestellt. In seiner Antwort behauptet dieser, die Kameras seien nicht gehackt, die Bilder würden aus «offenen Quellen» stammen. Mehr verriet er nicht.
Tipps für Besitzer von Videokameras
Der Fall zeigt: Die Besitzer von Überwachungskameras müssen Vorkehrungen treffen, damit ihre Aufnahmen nicht ungewollt frei zugänglich sind im Internet:
- Die Kamera sollte von einem Fachmann installiert werden.
- Das Standardpasswort der Kamera muss unbedingt geändert werden. Tipp: Lange Passwörter mit Zahlen und Sonderzeichen verwenden.
- Heutige Kameras sind kleine Computer. Darum muss ihr Betriebssystem regelmässig aktualisiert werden.
- Die Kamera nur wenn nötig mit dem Internet verbinden. Ist man auf Zugang von aussen angewiesen, diesen verschlüsseln lassen, zum Beispiel mit VPN.
- Die Kamera bei Nichtgebrauch ausschalten(Zeitschaltuhr installieren!).
- Falls Aufnahmen der Kamera auf Insecam.org unter «Switzerland» ausgestrahlt werden, sofort die Löschung verlangen (über die Mail-Adresse admin@insecam.com).
Kamerabilder werden oft auch von den Betreibern selbst ins Internet gestellt. Der K-Tipp fand solche Kameras zum Beispiel in der Yucatan-Bar in Engelberg OW, im Bahnhofrestaurant in Schaffhausen und im Schwimmbad Altstetten in Zürich. Für solche Fälle sind die Vorgaben des Datenschützers klar:
- Der Besucher muss informiert werden, bevor er den Aufnahmebereich betritt.
- Standort und Aufnahmebereich der Kamera müssen klar ersichtlich sein.
- Die Kamera darf nur das Nötigste filmen.
Im Schaffhauser Bahnhofrestaurant hält man auf Anfrage fest, die Gäste würden fast durchwegs positiv auf die Kameras reagieren. Und: «Wünscht ein Gast explizit, nicht gefilmt zu werden, decken wir die Webcam für die Zeit seines Besuchs ab oder deaktivieren sie.» Das Schwimmbad Altstetten beruft sich ebenfalls aufs positive Feedback seiner Gäste. Nach dem Hinweis des K-Tipp hat man sich aber entschieden, die Bilder einer Kamera etwas unschärfer zu machen, damit keine Gesichter mehr erkennbar sind.
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Problemloser Einblick in Apotheke
Auch Überwachungskameras ohne Internetanschluss sind unsicher: In einer Stichprobe in der Altstadt von Winterthur konnte sich der K-Tipp problemlos Einblick in diverse Ladenlokale – darunter eine Apotheke – verschaffen, ohne diese zu betreten. Grund: Die Läden verwenden Kameras, welche die Bilder unverschlüsselt per Funk übertragen. So kann jedermann mit einem entsprechenden Empfänger die gesendeten Bilder ansehen – und zwar im Umkreis von bis zu 50 Metern ausserhalb des Geschäfts. Immerhin: Alle Geschäfte nahmen die Kameras umgehend ausser Betrieb, als der K-Tipp sie auf die Problematik hinwies.
Tipp: Ausschliesslich Kameras benutzen, die per Kabel angeschlossen sind und keine Verbindung zum Internet haben. Entsprechende Merkblätter für Kamerabetreiber gibts auf der Website des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (www.edoeb.admin.ch).