Tödliche Falle statt Lebensretter Airbags Wer zu nah sitzt, geht ein hohes Risiko ein
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K-Tipp 11/2001
06.06.2001
Airbags retten Leben - sofern die Insassen im Auto angeschnallt und in der richtigen Sitzposition sind. Andernfalls kann der Luftsack zum Totschläger werden.
Der Airbag gilt als einer der wichtigsten Lebensretter im Sicherheitssystem eines Autos. Aber: In fast 6 Prozent aller Fälle, in denen sich der Luftsack bei einem Unfall aufbläst, bewirkt er das Gegenteil - und erschlägt den Menschen, den er hätte schützen sollen. Die Prozentzahl stammt aus den USA «und ist auf unsere ...
Airbags retten Leben - sofern die Insassen im Auto angeschnallt und in der richtigen Sitzposition sind. Andernfalls kann der Luftsack zum Totschläger werden.
Der Airbag gilt als einer der wichtigsten Lebensretter im Sicherheitssystem eines Autos. Aber: In fast 6 Prozent aller Fälle, in denen sich der Luftsack bei einem Unfall aufbläst, bewirkt er das Gegenteil - und erschlägt den Menschen, den er hätte schützen sollen. Die Prozentzahl stammt aus den USA «und ist auf unsere Verhältnisse nicht ganz übertragbar», sagt Beat Wyrsch vom TCS. Grund: Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gibt es keine Gurttragepflicht. Das nützt gemäss einer Statistik der US-Verkehrssicherheitsbehörde die Mehrheit der Autofahrer aus - und wird im Falle eines Unfalls ungebremst dem Airbag entgegengeschleudert, der hart zurückschlägt.
Denn anders als Top-Model Claudia Schiffer in der Citroën-Werbung weismachen will, ist der Airbag kein Schmusekissen, sondern ein Schutzmechanismus, der sich in höchstens drei Tausendstel- Sekunden aufbläst. Das tut er mit der Wucht eines Dampfhammers. Wer ihm in diesem kurzen Moment zu nahe ist, hat schlechte Überlebenschancen.
Von auf Vordersitzen platzierten Kindern sind solche Tragödien in der Schweiz und in Europa bekannt. Dass aber auch Erwachsene durch Airbags gefährdet sind, hielt die Autoindustrie lange unter dem Deckel. So auch den Tod einer 47-jährigen Engländerin, die bei einem Bagatellunfall ums Leben kam, weil sie sich just im Moment des Zusammenstosses etwas zu weit über das Lenkrad beugte. Der Befund des Gerichtsmediziners lässt keine Zweifel offen: Es war der sich blitzartig entfaltende Airbag, welcher der Frau den Schädel zertrümmerte.
Bei uns gibts weniger tödliche Airbag-Unfälle
Wie viele andere Autofahrer auf europäischen Strassen bereits Opfer des ansonsten zuverlässigen Lebensretters wurden, weiss niemand.
Das soll sich ändern. Aufgeschreckt durch die US-Studie und den Todesfall in England untersuchen nun auch europäische Automobil- und Sicherheitsverbände das Risikopotenzial des Luftsacks.
«Die ersten Ergebnisse erwarten wir im Herbst», sagt Kurt Bischoff, Airbag-Spezialist beim TCS. Aufgrund des in der alten Welt weit verbreiteten und gut akzeptierten Gurtenobligatoriums erwartet er keine apokalyptischen Zahlen. «Unfälle, bei denen Airbags die Insassen töteten, sind bei uns garantiert seltener als in den Vereinigten Staaten», nimmt er die Resultate vorweg.
Eines lässt sich aber schon jetzt mit Sicherheit sagen: Seit der Einführung des Airbags vor rund 20 Jahren sind die Reparaturkosten nach Unfällen stark gestiegen. Das bestätigt Urs Schmid vom Schweizerischen Versicherungsverband SVV. Grund: Bei einem Crash blähen sich alle Airbags auf, auch wenn nur der Fahrer im Auto sitzt. Das heisst: Nach einem Unfall müssen sämtliche Air-bags neu installiert werden. Das kostet schnell einige Tausend Franken zusätzlich. Allein deutsche Versicherungen zahlten im letzten Jahr rund 56 Millionen Franken für die Reparatur von Airbag-Systemen. «Für die Schweiz gibts keine genauen Zahlen», bedauert Schmid, denn «seit der Deregulierung der Versicherungsbranche wird bei uns keine Gemeinschaftsstatistik mehr erstellt».
Dennoch: Auch die Automobilindustrie hat neben dem Schutz- auch den Kostenfaktor erkannt. Mercedes beispielsweise rüstet die teuren Limousinen mittlerweile mit einer «Sitzbelegungserkennung» aus, die unnötige Airbag-Zündungen vermeiden soll.
Das freut die Versicherungen, wobei Urs Schmid klarstellt: «Wir zahlen lieber ein paar Franken mehr für Reparaturen. Das ist wesentlich günstiger als die Behandlungskosten für schwere Körperschäden.»
Daimler-Chrysler geht einen andern Weg als die Marke mit dem Stern und leistet Pionierarbeit im Bereich so genannter zweistufiger Zündsysteme. Bei einem leichten Unfall werden die Luftsäcke nur mit halber Kraft ausgelöst. Das schont zwar nicht die Versicherungskassen, dafür aber die Passagiere, die so der vollen Wucht des Airbags entgehen.
«Die Entwicklung ist aber noch längst nicht abgeschlossen», so TCS-Fachmann Kurt Bischoff. «Das Auto der Zukunft wird neben sanfteren auch deutlich mehr Prallkissen enthalten», prognostiziert er. Von Volvo wisse er, dass dort zurzeit Knie- und Fuss-Airbags getestet würden.
Hohes Risiko für Kinder und kleine Erwachsene
Ein weiteres Problem, mit dem sich Hersteller herumschlagen, ist die Normierung der Airbags. Sie sind allesamt auf eine durchschnittliche Kollisionsgeschwindigkeit von 60 km/h ausgelegt - und auf einen rund 175 cm grossen Menschen.
Das bedeutet ein grosses Risiko für Autofahrer, die wesentlich kleiner sind und entsprechend ihrer Grösse auch näher am Steuerrad sitzen. Doch nicht nur für sie. Ausgerechnet Kinder, die aus Sicherheitsgründen auf der Rückbank sitzen müssen, sind durch die auf Erwachsene ausgerichteten hinteren Seiten- und Kopf-Airbags gefährdet. Das geht aus den neuen Testzielen von VW hervor, bei denen es um eine «Reduzierung des Risikos für Kleinkinder, Kinder und kleine Erwachsene vor Verletzungen und Tötungen durch den Airbag» geht.
Trotz all dieser Schwierigkeiten halten Unfallexperten aber am Airbag fest. Kurt Bischoff: «Auch wenn es einzelne tragische Fälle gegeben hat, Tatsache ist: Airbags verringern die Verletzungsgefahr bei einem Frontalzusammenstoss um 80 bis 90 Prozent - sofern die Autoinsassen angegurtet sind.»
Die richtige Sitzposition: So schützt der Airbag
Nur wer angegurtet und richtig im Auto sitzt, profitiert bei einem Crash von der Schutzwirkung des Airbags. Das betrifft auch Beifahrerinnen und Beifahrer, die gerne mal entspannt die Füsse aufs Armaturenbrett legen oder Gegenstände auf den Knien transportieren. Sie riskieren ihr Leben. Nehmen Sie auf jeder Fahrt bewusst die sichere Airbag-Sitzposition ein. Im Fachjargon nennt man das richtige Sitzen «in position» und falsches oder gefährliches Sitzen «out of position».
Fahrerseite
Richtig: Sitzen Sie angegurtet locker im Sessel, den Rücken an der Lehne. Bei richtiger Distanz zum Lenkrad sind Ihre Arme leicht gebeugt. Der im Lenkrad untergebrachte Airbag hat genügend Platz, um sich bei einem Unfall zu entfalten.
Falsch: Wer zu nahe am Lenkrad sitzt oder beim Fahren «an der Windschutzscheibe klebt», riskiert, vom Airbag erschlagen zu werden.
Beifahrerseite
Richtig: Hier steckt der Airbag nicht im Lenkrad, sondern im Armaturenbrett oberhalb des Handschuhfachs. Sitzen Sie möglichst weit hinten, denn auch hier gilt: Der Airbag braucht im Falle eines Falles genügend Platz.
Falsch: Bereits das Vorbeugen zum Handschuhfach ist gefährlich. Geht der Airbag in dieser Sitzhaltung los, kann selbst ein harmloser Unfall tödlich enden.
Falsch: Gefährlich ist der Transport von Gegenständen auf den Knien. Schon eine Handtasche kann schwere Verletzungen verursachen, wenn der Airbag sich aufbläst.