Mehrfahrtenkarten der SBB müssen jeweils vor der Fahrt abgestempelt werden. Dabei druckt der Entwerter Datum und Zeit auf das kartonierte Papier und knipst gleichzeitig eine sogenannte Führungsecke ab. Aber wehe, wenn der SBB-Kontrolleur genau hinschaut und eine Unkorrektheit zu erkennen glaubt! Dann greifen die SBB mit allen Mitteln durch, wie die zwei folgenden Fälle zeigen:


Fall 1: Raphael Zeier aus Cham ZG

Am 22. August 2012 fährt der Gebäudetechnik-Lehrling Raphael Zeier (Name geändert) von der Berufsschule in Olten nach Hause. Bei der Ticketkontrolle stellt der Zugbegleiter fest, dass das Billett zwar ordnungsgemäss abgestempelt, aber die Führungsecke nicht abgeknipst wurde. Für den Kontrolleur ist klar: Das Billett ist gefälscht. Dem Lehrling wird wegen Fahrausweismissbrauchs eine Strafgebühr von 203 Franken aufgebrummt.

Zeiers Einwände nützten nichts: «Ich habe erklärt, dass ich das Billett korrekt abgestempelt und nicht bemerkt habe, dass die Ecke dranblieb.» Erfolglos intervenieren auch die Eltern bei den SBB. Sie betonen, ihr Sohn habe gar keinen Grund, das Billett zu fälschen, denn die Kosten würden vom Lehrbetrieb übernommen.

Die vom Kontrolleur eingezogene Mehrfahrtenkarte wird von der SBB-internen Stelle «Öffentliche Sicherheit» untersucht. Das Ergebnis laut E-Mail einer Sachbearbeiterin: Auf der Mehrfahrtenkarte seien drei Daten aufge­stempelt, jedoch nur zwei Führungsecken abgeknipst worden. «Also wurde die Karte bei der dritten Entwertung manipuliert.»

Wenig später gelangen Raphaels Eltern an die Ombudsstelle öffentlicher Verkehr. Aber die SBB verhinderen den Schlichtungsversuch, indem sie bei der Polizei Anzeige einreichen. Eine Einigung durch die Ombudsstelle ist so nicht mehr möglich. Stattdessen wird der Lehrling von der Zuger Polizei einvernommen.

Im Januar erhielt Zeier von der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen «Urkundenfälschung» und «Erschleichen einer Leistung». Er wird mit einer bedingten Geldstrafe von 300 Franken und einer Busse von 70 Franken belegt. Dazu muss der Lehrling die Verfahrenskosten von 250 Franken begleichen. Der 19-Jährige ist nun vorbestraft.

Für den Freiburger Strafrechtsprofessor Christof Riedo ist das ein «völlig abwegiger» Entscheid. Es sei weder der Tatbestand der Fälschung erwiesen noch eine Fälschungsabsicht erkennbar, da der Lehrling das Billett gar nicht selber zahlen müsse.


Fall 2: Reto Zühler aus Schaffhausen

Der 17-jährige Metzgerlehrling Reto Zühler (Name geändert) fährt am 27. September 2012 nach Winterthur in die Gewerbeschule. Bei der Billettkontrolle zeigt sich, dass er die Mehrfahrtenkarte nicht abgestempelt hatte. Zühler: «Ich habs schlicht vergessen. Ganz klar mein Fehler.»

Doch damit nicht genug: Weil auf der Mehrfahrtenkarte ein Teil des Aufdrucks nicht mehr sichtbar ist (Bild), muss er  zusätzlich wegen Fälschung eine Strafgebühr von 200 Franken zahlen. Das Billett wird ebenfalls durch die SBB-interne Untersuchungsstelle begutachtet. Ergebnis: «Die Manipulation der Geltungsdauer ist nicht zu widerlegen. Der Aufdruck der Geltungsdauer wurde weggekratzt.»

Reto Zühler ärgert sich: «Das stimmt nicht.» Er habe das Ticket ohne Hülle in der Gesässtasche seiner Jeans mitgeführt. Weil das Billett durch den Regen nass geworden sei, habe sich ein Teil des Aufdrucks aufgelöst.

Der Fälschungsvorwurf ist absurd. Denn das Wegkratzen der aufgedruckten Geltungsdauer wäre sinnlos. Mehrfahrtenkarten für einfache Fahrten waren bis Mitte Dezember 2012 immer nur vier Stunden lang gültig. Kommt hinzu: Auch Reto Zühler hatte keinen Grund, das Billett zu fälschen, da es von seinen Eltern bezahlt wird.

Trotz mehrerer schrift­licher Erklärungsversuche der Eltern halten die SBB an der Busse fest. Zühlers gelangten deshalb an die Ombudsstelle. Aber auch in diesem Fall würgten die SBB den Schlichtungsversuch mit einer Anzeige ab. Kürzlich wurde der Lehrling von der Polizei einvernommen. Die Akten liegen bei der Jugendstaatsanwaltschaft. Reto droht eine Verurteilung wegen Billettfälschung.

Die SBB haben zu den beiden Fällen nicht Stellung genommen.


Strafbefehl: Sofort Einsprache erheben

Kommt ein Strafantrag zur Staatsanwaltschaft, kann diese unter bestimmten Umständen selber einen Strafbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft muss also nicht jeden Fall ans ordentliche Gericht weiterleiten.

Kritiker monieren, in diesem Strafbefehlsverfahren würden die Beweise gar nicht oder nur sehr oberflächlich geprüft. Eine Beweisaufnahme finde nicht statt. Deshalb sollten Betroffene Strafbefehle stets genau prüfen.

Wer mit einem Strafbefehl nicht einverstanden ist, muss innerhalb von zehn ­Tagen nach Erhalt des Briefs schriftlich Einsprache bei der zuständigen Staatsanwaltschaft erheben. Beschuldigte müssen die Einsprache nicht begründen.


Erfolgt eine solche Einsprache, hat die Staatsanwaltschaft drei Möglichkeiten:

  • Sie kann einen neuen, anderslautenden Strafbefehl erlassen.
  • Sie kann das Verfahren einstellen.
  • Sie kann am Strafbefehl festhalten, ihn als Anklage umformulieren und ans erstinstanzliche Gericht weiterleiten.

Wichtig: Erfolgt innerhalb von zehn Tagen keine Einsprache, wird der Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil.


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