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Haus & Garten 1/1999
01.05.1999
Internet-Banking ist bequem. Doch das Risiko beim Bankgeschäft per Mausklick trägt der Kunde ganz allein. Die Banken schliessen im klein Gedruckten jede Haftung aus.
Ihren Job hat Anne Léger (Name geändert) letzten Juni an den Nagel gehängt. Trotzdem hat die 36-jährige Architektin aus Twann BE feste Bürozeiten. Punkt 15 Uhr 30 sitzt sie vor ihrem Computer - und wenn die Wallstreet um 22 Uhr schliesst, geht sie vom Netz. Denn Léger handelt: via Internet mit amerikanischen A...
Internet-Banking ist bequem. Doch das Risiko beim Bankgeschäft per Mausklick trägt der Kunde ganz allein. Die Banken schliessen im klein Gedruckten jede Haftung aus.
Ihren Job hat Anne Léger (Name geändert) letzten Juni an den Nagel gehängt. Trotzdem hat die 36-jährige Architektin aus Twann BE feste Bürozeiten. Punkt 15 Uhr 30 sitzt sie vor ihrem Computer - und wenn die Wallstreet um 22 Uhr schliesst, geht sie vom Netz. Denn Léger handelt: via Internet mit amerikanischen Aktien.
«Im Vergleich zu den amerikanischen Internet-Banken ist jede Schweizer Bank ein Witz. US-Banken liefern mehr Wirtschaftsinfos, bestätigen Börsengeschäfte innert Sekunden und die Gebühren machen einen Bruchteil aus», sagt Léger. So kostet eine Transaktion beim US-Billigbroker Datek nur US$ 9.99. Depotgebühren gibt es keine.
Wäre Léger Amerikanerin, würde sie zum schnell wachsenden Heer der Kleinanleger gehören, die im Internet täglich dem Traum vom schnellen Börsengeld nachjagen. In der Schweiz ist sie - noch - eine Exotin.
Die Schweizer Banken, die erst 1997 ins Internet aufbrachen, sind heute aber für den Markt der Zukunft weitgehend fit. Alle grösseren und die meisten Regionalbanken (Ausnahme Raiffeisenbanken) bieten inzwischen die Möglichkeit an, viele Bankgeschäfte per Mausklick zu erledigen.
Trotzdem steckt das Internet-Banking hierzulande noch in den Kinderschuhen. Experten wie der St. Galler Professor Beat Schmid erwarten erst dann einen Boom, wenn Fernseher und Computer zu einem Gerät verschmelzen.
Dabei bringt es Konsumentinnen und Konsumenten schon jetzt unübersehbare Vorteile. Man kann an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag von überall auf der Welt seine Bank heimsuchen, sein Konto und Depot verwalten, den gesamten Zahlungsverkehr abwickeln (auch ins Ausland und in Fremdwährungen) und - abgesehen von Ausnahmen wie der Coop-Bank oder der Spar + Leihkasse in Bern - Börsengeschäfte tätigen.
Das alles geht relativ bequem - zum Beispiel Rechnungen bezahlen: Man startet den Computer auf, tippt beispielsweise auf der von der Bank gelieferten Software die Zahlungsaufträge ein, wählt den Provider an, öffnet den Zugang zu seiner Internet-Bank, tippt die Sicherheitscodes ein (die Vertragsnummer, das persönliche Passwort und den nur einmal verwendbaren Zusatzcode von der Streichliste), gibt die Zahlungsaufträge ein und führt sie mit einem «O.K.» aus. Dafür braucht man nicht länger als zehn Minuten.
Es wäre aber bedeutend mehr möglich, meint etwa die weltweit tätige Beratungsfirma PriceWaterhouseCoopers. Zum Beispiel mit Programmen, die das Ersparte optimal auf die einzelnen Konten verteilen und die bei der persönlichen Finanzplanung helfen.
In ihrer Studie über das Internet-Banking in der Schweiz folgern die Unternehmensberater: «Hausfrauen und Hausmänner haben Besseres zu tun, als vor dem Fernseher zu sitzen und Einzahlungsscheine abzutippen.» Abgesehen vom Spass und der Befriedigung seiner Neugierde profitiere der Kunde zu wenig.
Statt mit neuen Angeboten, die den Kunden finanzielle Vorteile bringen würden, locken die Banken bisher mit Rabatten:
- Die Gebühren für die Kontoführung entfallen meistens. Bei der UBS bedeutet das zum Beispiel eine Kostenersparnis von 48 Franken im Jahr. Bei der Post bleibt es bei der kostenlosen Kontoführung.
- Zahlungen innerhalb der Schweiz sind gratis, Zahlungen ins Ausland meist verbilligt; so zahlt man bei der Berner Kantonalbank oder der CS nur 4 statt 7 Franken Spesen. Bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) erhält man (noch) pro Zahlungsauftrag 50 Rappen gutgeschrieben.
- Bei Börsengeschäften sind die Preise seit April ins Rollen gekommen. Nach «Youtrade» von Crédit Suisse (maximal 50 Prozent Rabatt auf die Courtage) bietet nun auch die Zürcher Kantonalbank (ZKB) einen Discount an (mindestens 50 Prozent Rabatt). 10 Prozent Courtage erlassen UBS und Migros-Bank. Bei einigen Banken zahlt man noch immer den vollen Tarif (Berner und Basler Kantonalbank). Der Discount-Broker OxfordPartners ist damit noch immer billiger als die günstige Schweizer Internetbank.
- Spezielle Einführungsangebote wie das der ZKB (100 Stunden gratis surfen) sind die Ausnahme. Die meisten Banken bieten aber verbilligte Offline-Software an.
Geschenke sind zwar schön. Banken schenken aber nur selten ohne Hintergedanken. Je mehr Kunden mitmachen, desto lohnenswerter ist für sie das Geschäft per Mausklick: Sie schaffen sich einen neuen Verkaufskanal für ihre Finanzprodukte und eröffnen sich enorme Sparpotenziale.
So erwartet zum Beispiel die deutsche Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV), dass «Filialen geschlossen und Stellen eingespart werden» können und das verbleibende Personal sich «verstärkt mit besonders lukrativen Geschäftsfeldern wie der Beratung anlagestarker Kunden befassen» kann.
Auch Berechnungen des renommierten US-Branchenblatts «Banking Strategies» zeigen, wie günstig das Internet-Banking für die Finanzinstitute ist. So kostet eine Transaktion die Bank siebenmal weniger als via Post und über zehnmal weniger, als wenn man persönlich am Bankschalter vorbeigeht - Grössenverhältnisse, die man nach Meinung von Experten eins zu eins auf die Schweiz übertragen kann.
Das zeigt: Die Rabatte für die Konsumenten stehen in keinem Verhältnis zu den Einsparungen der Banken. Ein Beispiel veranschaulicht die Dimensionen: Wer exakt 1100 Coca-Cola-Aktien kauft, zahlt bei der CS satte Fr. 1404.05; beim US-Billigbroker Ameritade Fr. 11.75 und bei Datek Fr. 14.65 (Stand Mai 1999).
Stellvertretend für die anderen Banken rechtfertigt UBS-Sprecher Rudolf Bürgin die hohen Preise: «Wir gehen davon aus, dass die Kundenberatung auch im Bereich Börse ein wichtiges Element bleiben wird, dem wir - im Gegensatz zu reinen Internet-Brokern - grosses Gewicht beimessen.»
Weder der nötige Zeitaufwand noch die Kosten sind aber das eigentliche Problem beim Internet-Banking, sondern die technischen Probleme, die auf Neukunden zukommen - und das klein Gedruckte.
Gemäss Informationen der Banken schafft ein Drittel der Neukunden den Einstieg nur mit Hilfe einer Hotline. Die sind aber sehr oft überlastet. Und hat man einmal die notwendige Software heruntergeladen und installiert, stellt man sich besser auf weitere Unannehmlichkeiten ein. So wird zum Teil der Zutritt zur Bank plötzlich verweigert oder es kommt zu unerklärlichen Abstürzen, oder der Bildschirm friert ein. Deshalb der dringende Rat für Neueinsteiger: Unternehmen Sie die ersten Schritte gemeinsam mit einem erfahrenen Internet-Surfer.
Das andere Problem beim Internet-Banking sind die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Banken lehnen darin jede Risikohaftung ab - getreu dem Motto «Der Kunde ist immer der Dumme». Wer sich auf die Vertragsbedingungen beim Internet-Banking einlässt, spielt mit dem Feuer.
Drei Beispiele:
- Die Bank erhält einen Zahlungsauftrag, der während der Übermittlung von einem Hacker verändert wurde: In ihren Vertragsbedingungen lehnen Post und Banken jede Verantwortung für Schäden ab. Der Kunde muss vorbehaltlos alle auf den Konten verbuchten Transaktionen anerkennen.
- Weil der via Internet abfragbare Kontostand zu hoch ist, überzieht der Kunde sein Konto und muss Schuldzinsen zahlen: Die Bank aber weist jede Schuld von sich. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit von Internet-Daten gibt es gemäss Vertrag keine Gewähr.
- Während eines turbulenten Börsentags bricht der Banken-Server zusammen, weil er über zu geringe Kapazitäten verfügt; Aufträge werden stundenlang nicht ausgeführt. Die Banken weisen auch hier jede Verantwortung von sich.
Das sind nicht etwa Extrembeispiele, sondern ganz normale Klauseln aus den Internet-Verträgen der Banken und der Post. Zum Teil widersprechen sie zwingenden Bestimmungen des Obligationenrechts (OR).
Danach müssten die Banken für Schäden haften, die aufgrund von gröberen (Bank-Software-)-Fehlern entstehen. Selbst wenn die Bank nur ein leichtes Verschulden trifft, kann sie sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen.
Rechtsexperten wie der Genfer Professor Bernd Stauder sind über derartig einseitige Geschäftsbedingungen entsetzt, aber nicht weiter verwundert. «Sie sind ein weiterer Beweis dafür, wie nötig ein griffiges Gesetz gegen missbräuchliche Vertragsklauseln wäre.»
Der Internet-Jurist David Rosenthal doppelt nach: «Vom Internet-Banking profitieren Kunde und Bank, also muss das Risiko auch auf beide aufgeteilt werden.» Zudem sei die Bank verpflichtet, den Kunden sehr genau über die Risiken des Internet-Bankings aufzuklären.
Rosenthal und Stauder betonen, dass man die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten von Banken und Post gerade beim Internet-Banking besonders hoch ansetzen müsste. Denn im Gegensatz zum oftmals hektischen Geschehen am Schalter lassen sich hier die meisten Risiken durch Sicherheitsvorkehrungen fast völlig ausschliessen.
Die Banken begründen ihre restriktive Haltung mit dem Hinweis auf die Gefahren des Internets. CS-Sprecher Georg Söntgerath: «Das Internet ist ein offenes System, bei dem sich der Kunde gewissen Risiken aussetzt. Wie beim schriftlichen Verkehr auch übernehmen wir die Verantwortung erst, wenn die Kundendaten bei uns sind.»
Kleinanlegerin Anne Léger kann über solche Bedingungen nur lachen. Denn: Kann ihre amerikanische Internet-Bank ein Geschäft nicht ausführen und entgeht Léger ein Gewinn, haftet die Bank.
So geschehen Anfang Februar: Die Internet-Bank E Trade konnte drei Stunden lang keine Aktien kaufen und verkaufen. Geprellte Kunden klagten. Jetzt ermittelt der New Yorker Staatsanwalt. Die Chancen der Geschädigten stehen gut. Denn ähnliche Klagen gegen Ameritrade wurden gutgeheissen.
Martin Vetterli
Das brauchen Sie als Internet-Banker
- Einen Vertrag mit der Bank: Den bestellen Sie direkt bei Ihrer Hausbank. Haben Sie den unterzeichneten Vertrag zurückgeschickt, erhalten Sie alle notwendigen Informationen (Passwort, Legitimationskennziffer, Zertifikat, Vertragsnummer).
- Einen leistungsfähigen PC mit Windows 95/98 oder Windows NT. Mac-Benützer bleiben bei einigen Banken draussen, so bei der ZKB, der Migros-Bank und der UBS (ab Mai verfügbar). Und für das Yellow Net der Post benötigt man das neue Betriebssystem OS 8.x.
- Einen Provider.
- Ein neueres Betriebssystem (mindestens Windows 95).
- Einen Internet-Browser: Navigator oder Explorer ab Version 3.x genügt.
- Ein Verschlüsselungsprogramm (Safeline, SecureNet oder andere).
- Eventuell: eine Software, um Daten offline erfassen zu können (Paymaker). Das kostet bis zu 149 Franken (UBS).