Im Schlaf Klarsicht tanken
Spezielle Kontaktlinsen für die Nacht sollen Kurzsichtigen tagsüber eine Sehhilfe ersparen. Mediziner sind skeptisch.
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K-Tipp 7/2003
09.04.2003
Pirmin Schilliger - redaktion@ktipp.ch
Der Unterschied zu den Tageslinsen ist eigentlich gering», sagt Brigitta Trachsel. «Statt die Linsen vor dem Schlafen aus den Augen zu entfernen, setze ich sie jetzt am Abend ein, und am Morgen nehme ich sie wieder heraus.» Tagsüber deponiert sie die Nachtlinsen in der gleichen Lösung, in der sie früher die Tageslinsen nachts versorgt hatte.
Die 28-jährige Freizeitsportlerin aus Zollikofen BE hatte früher mit den Tageslinsen beim Joggen und Velofahren immer wieder Probleme. «Beim...
Der Unterschied zu den Tageslinsen ist eigentlich gering», sagt Brigitta Trachsel. «Statt die Linsen vor dem Schlafen aus den Augen zu entfernen, setze ich sie jetzt am Abend ein, und am Morgen nehme ich sie wieder heraus.» Tagsüber deponiert sie die Nachtlinsen in der gleichen Lösung, in der sie früher die Tageslinsen nachts versorgt hatte.
Die 28-jährige Freizeitsportlerin aus Zollikofen BE hatte früher mit den Tageslinsen beim Joggen und Velofahren immer wieder Probleme. «Beim geringsten Staub tränten meine Augen, und ich sah nur noch verschwommen.»
Auch in ihrem Beruf kann sich Brigitta Trachsel dies nicht erlauben. «Ich muss immer gut sehen können», sagt die gelernte Arztgehilfin. Dank der Umstellung auf Nachtlinsen seien jetzt die erwähnten Probleme beseitigt.
Die Technik ist nicht neu
Die bei Nachtlinsen verwendete Technik ist nicht neu. In Australien und in asiatischen Ländern werden Nachtlinsen schon seit Jahren eingesetzt. In der Schweiz bieten sie Optiker aber erst seit kurzem an. Einer der ersten Optiker, welche die Ortho-Keratologie - so das Fachwort - ins Angebot genommen haben, ist Raymond E. Wälti in Thun BE. «Die Nachtlinsen eignen sich für all jene, die tagsüber ohne Brille oder Linsen ganz normal sehen möchten», erklärt er.
Es gibt allerdings eine Einschränkung: Die Nachtlinsen taugen nur bei Kurzsichtigkeit bis minus 5 Dioptrien. Bei Weitsichtigkeit oder Altersweitsichtigkeit können sie nicht eingesetzt werden. Auch bei einer stärkeren Hornhautverkrümmung sind Nachtlinsen ungeeignet (siehe Tabelle).
«Es ist wie das Nachladen von Batterien»
Die Nachtlinse wird am besten jede Nacht eingesetzt. Allerdings macht es laut Wälti auch nichts, wenn sie nicht regelmässig eingesetzt werden. Dazu Brigitta Trachsel: «Ich kann problemlos eine Nacht darauf verzichten und sehe am nächsten Tag immer noch gut.»
Wälti vergleicht den Einsatz der Nachtlinsen mit dem Nachladen einer Batterie. «Ganz am Anfang sollten die Nachtlinsen regelmässig mindestens sechs Stunden aufs Auge einwirken können, später genügen drei bis vier Stunden.»
Ein Vorteil von Nachtlinsen: Das Verlustrisiko in der Nacht ist minimal. Negativ ins Gewicht fallen allerdings die Kosten: Nachtlinsen sind, wegen der aufwendigeren individuellen Anpassung, die 800 bis 1500 Franken betragen kann, teurer.
Die Kosten für die Linsen selber, die jährlich ersetzt werden müssen, belaufen sich nochmals auf rund 700 Franken pro Paar. Es ist also mit Gesamtkosten von rund 2000 Franken zu rechnen.
Korrekte Anpassung ist anspruchsvoll
Nachtlinsen können im immer breiteren Spektrum der möglichen Sehhilfen in erster Linie mit den drei- bis viermal teureren Laseroperationen verglichen werden.
«Vor allem Leute mit leichter bis mittlerer Kurzsichtigkeit, die sich aus Angst vor irreversiblen Schäden nicht für eine Laseroperation entschliessen können, sollten Nachtlinsen in Erwägung ziehen», sagt der Berner Optiker Michael Bärtschi. «Im Gegensatz zu den Lasern gibt es mit Nachtlinsen jedenfalls keine Schäden, die sich nicht wieder gutmachen liessen», betont er.
Auch der Kontaktlinsenspezialist Hermann Anhalm von der Pallas-Augenklinik in Olten findet Nachtlinsen «grundsätzlich eine gute Sache». Es sei aber, gibt er zu bedenken, nicht jeder Optiker in der Lage, eine korrekte Anpassung vorzunehmen. «Es braucht dafür Spezialisten, die über eine grosse Erfahrung in der Hartlinsenanpassung verfügen.»
Kritischer als die Optiker beurteilen Mediziner den Einsatz von Nachtlinsen. Isaak Schipper, Chefarzt Augenklinik des Kantonsspitals Luzern, schliesst gewisse unangenehme Nebenwirkungen nicht aus. «Die Nachtlinsen können die Hornhaut reizen und allenfalls verletzen. Zudem ist die Sauerstoffversorgung der Hornhaut reduziert, und über Langzeitwirkungen wissen wir noch zu wenig.» Hinzu kämen die üblichen Kontaktlinsenprobleme wie trockene Augen, Infektgefahr und Gefässeinwachsen.
«Anpassungsphase von vier Wochen»
Auch Professor Theo Seiler von der Uni-Augenklinik in Zürich möchte das Risiko von Verletzungen nicht ganz ausschliessen, «weil sich das Auge in gewissen Phasen des Schlafes wie verrückt bewegt».
Armin Duddek, Präsident des Schweizerischen Berufsverbandes für Augenoptik und Optometrie und selber Träger von Nachtlinsen, sieht das aufgrund seiner Erfahrungen mit 35 Nachtlinsenträgern anders: «Verletzungen hat es bisher keine gegeben, und kleinere Nebenwirkungen wie Rötungen oder Augenreizungen beobachten wir weniger häufig als bei normalen Tageslinsen.»
Er räumt aber ein, dass Nachtlinsenträger eine Anpassungsphase von rund vier Wochen brauchen, bis sie tagsüber ganz normal sehen. Ganz am Anfang müssen diese laut Duddek bei Streulicht in der Dämmerung mit gewissen Sehstörungen rechnen.
Sanfter Druck auf die Hornhaut
Die Anpassung von Nachtlinsen ist aufwändiger als jene von Tageslinsen. Der Optiker braucht dafür einen so genannten Keratografen. Mit diesem Gerät vermisst er die Augenoberfläche auf wenige Hundertstelmillimeter genau.
Ein genaues Abbild dieser Augenform wird nun auf die Innenseite einer massgefertigten Kontaktlinse übertragen. Das Entscheidende passiert beim nächtlichen Tragen der Linsen: Das Auge passt sich der Form der Kontaktlinse an. Damit kann die Fehlsichtigkeit korrigiert werden. Die Hornhaut des Auges wird so durch sanften nächtlichen Druck in ihre ideale Form modelliert.
Die klare Sicht sollte tagsüber ohne Linsen bis zu 48 Stunden anhalten. Dann erschlafft das modellierte Auge wieder und fällt in die alte Form zurück.