Gegen das Ohrensausen gibt es kein Wundermittel
Eine Firma wirbt für einen Laser, der gegen Tinnitus helfen soll. Mediziner schreiben dem Gerät höchstens einen Placebo-Effekt zu.
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saldo 5/2006
15.03.2006
Sigrid Cariola
Ruhe hat Horst Gafner nur, wenn er morgens unter der Dusche steht. Das Rauschen des Wassers übertönt den Lärm in seinem Kopf, ein fernes Brausen und Zischen. Horst Gafner leidet an Tinnitus. Rund 240 000 Menschen in der Schweiz geht es ähnlich, schätzt Thomas Schmidhauser von Pro Audito, einer Organisation für Hörbehinderte. Bei einigen vergeht das unangenehme Ohrengeräusch wieder, bei anderen bleibt es für immer.
Selbsthilfegruppen bieten Hilfe, um mit Tinnitus u...
Ruhe hat Horst Gafner nur, wenn er morgens unter der Dusche steht. Das Rauschen des Wassers übertönt den Lärm in seinem Kopf, ein fernes Brausen und Zischen. Horst Gafner leidet an Tinnitus. Rund 240 000 Menschen in der Schweiz geht es ähnlich, schätzt Thomas Schmidhauser von Pro Audito, einer Organisation für Hörbehinderte. Bei einigen vergeht das unangenehme Ohrengeräusch wieder, bei anderen bleibt es für immer.
Selbsthilfegruppen bieten Hilfe, um mit Tinnitus umzugehen
Es gibt viele mögliche Ursachen für eine Tinnituserkrankung: Das Innenohr kann durch Unfall, Krankheit, ein lautes Konzert oder fortgesetzte Lärmbelastung geschädigt sein. «Als Möbelschreiner arbeitete ich viele Jahre mit lauten Maschinen», erzählt Horst Gafner, «Gehörschutz spielte keine Rolle.» Bei anderen Patienten tritt der Tinnitus nach der Einnahme von Medikamenten oder durch Stress und psychische Belastungen auf. Und manchmal gibt es schlichtweg keine Erklärung, wie bei Ruth Ruch. Von einem Tag auf den anderen hatte sie einen hohen Ton im Kopf, ein Geräusch wie das Sirren eines alten Kühlschranks. Seit neun Jahren lebt die Rentnerin damit. «Viele Tinnituspatienten sind verzweifelt», sagt Ruth Ruch, die eine Selbsthilfegruppe leitet. «Sie fühlen sich beherrscht von dem Geräusch, können nicht mehr schlafen und sich auf ihre Arbeit konzentrieren.»
Wer in dieser Situation Hilfe sucht, stösst rasch auf die Dismark GmbH aus Maur ZH. Die Firma preist im Internet oder in Anzeigen ein Lasergerät zur Selbstbehandlung an. «Der Laserstrahl durchdringt auch tiefere Unterhautschichten und regt den Zellstoffwechsel im Innenohr an», heisst es auf der Website der Firma. «Physikalisch ist das gar nicht möglich», erwidert Andreas Schapowal, Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Tinnitusspezialist aus Landquart GR. Laserlicht könne nicht tiefer ins Gewebe eindringen als normales Licht gleicher Wellenlänge. In einem Zentimeter Tiefe sei nur noch weniger als 1 Prozent der Lichtenergie vorhanden. Schapowal vergleicht die Wirkung des Softlasers mit jener eines Laserpointers, wie er ihn für seine Vorträge benutzt. Isabel Scuntaro, Leiterin der Abteilung Medizinprodukte bei Swissmedic, erklärt, dass «innerhalb der Alternativmedizin insbesondere die Laserakupunktur zu den Therapieformen gehört, die nicht gut belegt sind».
Vor zwei Jahren startete Dismark schon einmal eine Werbeoffensive für einen Softlaser. Damals ging es allerdings um Falten- und Aknebehandlung. Der sogenannte Beautylaser verfügt über die gleichen technischen Daten wie der Tinnituslaser: eine Leistung von 5 Milliwatt und eine Wellenlänge von 650 Nanometer. Der Softlaser zur Tinnitusbehandlung ist mit 400 Franken allerdings rund 150 Franken teurer.
«Ich verteufle es nicht, wenn jemand ein solches Gerät benutzt», sagt Andreas Schapowal, der beobachtet, dass das Lasern sogar von Arztpraxen angeboten wird. «Es richtet keinen Schaden an, und beim einen oder anderen Patienten ergibt sich ein Placebo-Effekt mit Linderung des Tinnitusleidens.»
Neu: Spezielle Klinik für schwere Tinnitusfälle
Problematisch wird es nur, wenn Betroffene lieber den Laser ausprobieren, statt sofort einen Arzt aufzusuchen. In der Anfangsphase wirken nämlich oft noch hoch dosiertes Kortison als entzündungshemmendes und Gingkoextrakt als durchblutungsförderndes Medikament. Ist der Tinnitus erst einmal chronisch, können auch Ärzte nur noch helfen, das Leiden zu lindern.
Seit Januar 2006 gibt es in Chur in der Klinik Waldhaus eine Abteilung, die sich auf schwere Tinnitusfälle spezialisiert hat und Folgeerkrankungen wie Schlafstörungen, Depressionen und Kopfschmerzen behandelt. «Eine Einheitstherapie gibt es nicht», sagt Abteilungsleiterin Svjetlana Vinkovic. Hauptziel ist es, die Betroffenen dabei zu unterstützen, den Tinnitus vom Mittelpunkt ihres Lebens in den Hintergrund zu drängen. Sie lernen, wieder andere Töne und Geräusche wahrzunehmen.
Horst Gafner kommt mit seinem Tinnitus am besten zurecht, wenn er sich ablenkt. Er ist viel in der Natur, fotografiert und singt im Männerchor. Ruth Ruch helfen Atemübungen. «Wer gegen den Tinnitus kämpft, kann nur verlieren», sagt sie. «Man muss sich arrangieren, den Tinnitus als Begleiter annehmen, der vielleicht auch etwas Positives bewirkt.» Für Horst Gafner ist er eine Antriebsfeder, etwas zu unternehmen. Ruth Ruch hat sich dank ihrer Selbsthilfegruppe einen neuen Freundeskreis erschlossen.
Störende Ohrengeräusche: Was tun bei Tinnitus?
- Bei einem dauerhaften Geräusch im Ohr sollte man rasch einen Arzt aufsuchen, der auf Tinnitus spezialisiert ist. Adressen vermittelt die Tinnitus-Liga (www.tinnitusliga.ch, Tel. 081 330 85 51).
- Zuerst organische Ursachen im Ohr, Kiefer und an der Wirbelsäule ausschliessen.
- Entspannung ist wichtig, etwa mit Yoga, autogenem Training oder Hypnose.
- Entlastung kann auch eine Psychotherapie bringen.
- Einige Betroffene haben gute Erfahrungen mit einem Noiser gemacht. Dieses Gerät passt ein Hörgeräteakustiker individuell an. Es überlagert das Geräusch im Ohr mit einem angenehmeren Ton. Der Noiser kostet rund 2000 Franken und wird von der Grundversicherung in der Regel nicht bezahlt.
- In fast jeder Region sind Tinnitus-Selbsthilfegruppen aktiv, die einen Erfahrungsaustausch ermöglichen (siehe Punkt 1).
- Schwere Fälle behandelt die Tinnitus-Klinik in Chur (www.tinnitus-klinik.ch, Tel. 081 354 06 06). Patienten aus anderen Kantonen müssen die Kostenübernahme mit ihrer Krankenkasse abklären.