Den Hauptbahnhof Winterthur benutzen jeden Tag 122 000 Personen. Damit ist er gemäss SBB-Zahlen nach dem Zürcher Hauptbahnhof, dem Bahnhof Bern und dem Stadtzürcher Bahnhof Stadelhofen punkto Frequenzen der viertgrösste Bahnhof der Schweiz.

So gross der Bahnhof, so klein das Angebot an öffentlichen Toiletten: Auf dem Bahnhofsareal gibts bloss die Anlage des Hygiene­unternehmens Mc Clean. Die Firma betreibt neben der Schweiz auch in Deutschland, Frankreich und Luxemburg WC-Anlagen.

Wie in allen Mc Clean in der Schweiz kostet das kleine Geschäft stolze Fr. 1.50, das grosse sogar Fr. 2.50. Noch ärgerlicher sind die Öffnungszeiten, die der private WC-Betreiber nicht den Bahnbetriebszeiten anpasst. In Winterthur ist um 21.15 Uhr Schluss. Die Züge fahren aber bis nach Mitternacht weiter. Unter der ­Woche sind es 71 Züge, an Wochenenden wegen der Nachtzüge sogar deren 86.

In ihrer Not benutzen die Zugpassagiere oft die WC im Bahnhofsrestaurant – ohne zu zahlen oder zu konsumieren. Diese Mehrbelastung führte für die private Beiz im letzten Jahr zu zusätzlichen Instandhaltungs- und Unterhaltskosten von monatlich 1500 Franken.

Der Sturm aufs Restaurant-WC zeigt: Auch nach 21.15 Uhr herrscht am Bahnhof Winterthur eine rege Nachfrage. Seit ein paar Wochen läuft das Lokal unter neuer Leitung. Wer aufs WC will, muss bald ein Drehkreuz passieren. Für Gäste ist der Klo-Besuch weiterhin gratis, alle anderen zahlen einen Franken, sagt Geschäftsführer Marcel Ferro.


Ein Viertel der Bahnhofstoiletten wurde abgebaut

Eine WC-Misere herrscht aber auch an vielen anderen Bahnhöfen in der Schweiz. Die SBB schlossen in den vergangenen Jahren landesweit viele Bahnhofstoiletten in mittleren und kleinen Bahnhöfen. Rund ein Viertel der Bahnhofstoiletten wurde abgebaut. Die SBB behaupten, keine genaue Statistik über die Bahnhofs­toiletten zu führen. Klar ist: In den grösseren Bahnhöfen sind die Gratistoiletten weitgehend verschwunden. Ent­weder macht das Privatunternehmen Mc Clean exklusiv das Geschäft mit dem Geschäft  – oder die SBB haben selber die Kostenschraube angezogen. Am Stadtzürcher Bahnhof Stadelhofen etwa ist die Benutzung des Pissoirs neuerdings nicht mehr gratis, sondern kostet Fr. 1.50.


Gemeinden sollen sich an Bahnhofstoiletten beteiligen

Ende letzten Jahres kündigte SBB-Chef Andreas Meyer in verschiedenen Medien an, in Bahnhöfen solle es künftig wieder mehr öffentliche WC-Anlagen geben. Die SBB sind allerdings nicht bereit, die Kosten allein zu tragen, sondern verlangen von den Gemeinden eine finanzielle Beteiligung «in irgendeiner Form».

Die Toilette beim Bahnhof Gibswil beispielsweise existiert nur noch, weil die zuständige Gemeinde Fischenthal ZH die Reinigungs- und Unterhaltskosten übernommen hat. Sie zahlt nun der SBB-Tochter Railclean jährlich 1800 Franken.

Der Bahnhof Steg liegt ebenfalls auf Fischenthaler Gebiet. Dort hat die Gemeinde für rund 80 000 Franken eine neue Bahnhofstoilette erstellt und hofft nun auf eine Beteiligung der SBB. «Wir sind ein Naherholungsgebiet für Wanderer und Schulklassen. Wenn diese bis zu einer Stunde warten müssen, brauchen sie ein WC», sagt Gemeindeschreiber Roger Winter.

In Pfäffikon ZH müssen die Bahngäste seit eineinhalb Jahren ohne Toilette auskommen, was zu vielen Reklamationen führte. Nun erstellen die SBB für 250 000 Franken eine High­tech-Toilette. Allerdings: Die Gemeinde muss die Hälfte der Baukosten übernehmen. Auch in Wohlen AG ist keine Bahnhofstoilette mehr geöffnet. Zurzeit laufen Verhandlungen darüber, wie hoch der Gemeindeanteil für das 130 000 Franken teure WC ausfallen soll.


In 40 Prozent der Züge hat es noch immer Plumpsklos

Die SBB sagen, dass sie gesetzlich nicht verpflichtet sind, an Bahnhöfen WC zu betreiben. Die Bahnkunden hätten ja auf allen Zügen die Möglichkeit, sich zu erleichtern. Die Toiletten auf den Zügen werden aber eben­falls vernachlässigt: Noch immer sind auf rund 40 Prozent der Züge Plumpsklos anzutreffen, deren Benutzung auf Bahnhöfen verboten ist. SBB-Sprecher Christian Ginsig sagt: «Wir forcieren den Umbau zu geschlossenen Toilet­ten.»

Auch in neueren Wagen mit geschlossenen Toiletten ist das stille Örtchen häufig unappetitlich.  Grund: Die Zahl der WC hat merklich abgenommen. In früheren Erstklasswagen gab es ein WC für 21 Sitzplätze, der heutige IC-Doppelstockwagen führt noch eine Toilette für 86 Plätze mit.

In den doppelstöckigen Zürcher S-Bahn-Wagen erster Generation muss – Stehplätze mitgerechnet – eine Toilette für 444 Passagiere ausreichen. Und bei der neusten Generation muten die SBB sogar 807 Menschen zu, sich eine Toilette zu ­teilen.

Kein Wunder, dass die wenigen noch verfügbaren Toiletten häufig unbenutzbar sind. Sei es, weil sie defekt oder verstopft sind oder der Fäkalientank voll ist. Noch benutzbare Toiletten sind zudem häufig stark verschmutzt. Gespart wird offensichtlich auch am Unterhalt und der Reinigung der noch bestehenden ­Toiletten. Landesweite Bekanntheit erlangte vor zwei Jahren der Fall einer 62-jährigen Frau, die sich auf der Strecke Zürich–Bellinzona in einem leeren Zwischengang von ihrem Blasendruck erleichtern musste. Denn: Sämtliche Toiletten auf dem Zug waren ausser Betrieb.

Offenbar kein Einzelfall. SBB-Sprecher Ginsig räumt ein, dass die WC-Verfügbarkeit damals teils «ungenügend» war. Dank einem erhöhten Reinigungs- und Wartungsrhythmus liege die Verfügbarkeit jetzt bei über 95 Prozent. Angeblich wird jedes WC täglich gereinigt, Fäkalientanks alle zwei bis drei Tage geleert. Und alle Defekte sollen innert Tagesfrist behoben sein.

Für Kurt Schreiber, Präsident Pro Bahn Schweiz, gehören funktionstüchtige Toiletten sowohl an Bahnhöfen wie in Zügen zum Service public. Er for­dert, dass Passagiere WC in Bahnhöfen während der Bahnbetriebszeiten gratis oder für maximal einen Franken benutzen können.