Auf über 620 Milliarden Franken beliefen sich die Vermögen der beruflichen Vorsorge bei den Pensionskassen Ende 2010 – ohne die zweite Säule bei den Lebensversicherern gerechnet. Für die Bewirtschaftung dieser Gelder arbeiten die rund 2270 Schweizer Pensionskassen mit Banken und Vermögensverwaltern zusammen. Wenn diese die ihnen anvertrauten Vermögen in bestimmte Wertpapiere investieren, erhalten sie von den jeweiligen Anbietern der Finanzprodukte häufig verdeckte Provisionen. Diese werden auch Retrozessionen oder Kickbacks genannt.
Die Vermögensverwalter müssten diese Retrozessionen den Auftraggebern, also den Pensionskassen oder privaten Investoren, zurückzahlen. Das hat das Bundesgericht im März 2006 entschieden. Banken und Vermögensverwalter befolgten den Entscheid nicht. Einige Anleger haben deshalb ihre Ansprüche bei den Gerichten eingeklagt. Im letzten Herbst hat die Pensionskasse von Siemens Schweiz vor Bundesgericht die Herausgabe von Retrozessionen in der Höhe von 3,6 Millionen Franken erstritten.
Das jüngste Urteil betrifft die UBS. Die Grossbank hatte sich trotz des früheren Bundesgerichtsentscheids geweigert, einer Erbengemeinschaft die Rückvergütungen auszuzahlen, die der bankeninterne Vermögensverwalter in den Jahren 1998 bis 2008 von Anbietern von Fonds und strukturierten Produkten kassiert hatte. Die Bank weigerte sich im Prozess sogar, die Höhe der Kickbacks offenzulegen.
Zürcher Obergericht verpflichtet die UBS zur Herausgabe
Vor dem Zürcher Obergericht argumentierte die UBS, bei den verlangten Geldern handle es sich gar nicht um Retrozessionen, sondern um Vertriebsentschädigungen. Diese erhalte die Bank von den Anbietern der Finanzprodukte für den Aufwand, die Wertpapiere bei den Bankkunden zu platzieren. Dem hielten die Kläger entgegen, dass die an die UBS ausgerichteten Kommissionen umso höher ausfallen, je mehr Gelder angelegt werden. Die Bank habe also einen finanziellen Vorteil, wenn sie möglichst hohe Volumen bestimmter Finanzprodukte im Depot der Kunden platziert.
Das Obergericht hat der Erbengemeinschaft im Grundsatz recht gegeben. Es hat die UBS am 12. Januar dazu verurteilt, den Erben Fr. 1538.60 an Retrozessionen für sechs Titel auszuzahlen. Bei der Bemessung hat das Gericht nur die Finanzprodukte im Depot berücksichtigt, für welche die UBS von Drittanbietern Entschädigungen erhalten hat. Für die hauseigenen Bankprodukte, die den grössten Teil des Kundendepots ausmachten, verneinte das Obergericht die Herausgabepflicht. Das letzte Wort dazu wird das Bundesgericht haben.
Der Anwalt Albrecht Langhart, der die Siemens-Pensionskasse vor Gericht vertrat, hält es für «wahrscheinlich», dass auch das Bundesgericht die volumenabhängigen Kommissionen als Retrozessionen einstuft und die UBS zur Herausgabe verpflichtet. Nicht zu überzeugen vermag Langhart jedoch die vom Zürcher Obergericht getroffene Unterscheidung zwischen hauseigenen und Drittprodukten. Die Kommissionen würden auf jeden Fall das vom Kunden erworbene Produkt belasten, unabhängig davon, ob sie von einer Konzerngesellschaft oder einem Drittanbieter ausgerichtet werden. Da sich die Bank als Vermögensverwalterin durch die Produktplatzierung nicht bereichern dürfe, müsse sie das Geld herausgeben. Auch Interessenkonflikte würden bei hauseigenen Produkten gleich auftreten – oder sogar verschärft. «Wie das Bundesgericht in diesem Punkt entscheiden wird, ist allerdings offen», meint der Anwalt, «der Entscheid wird so oder so von grösster Bedeutung sein.»
UBS rechnet mit Forderungen von «mehreren Milliarden»
Die Tragweite scheint auch der UBS bewusst zu sein. Im Prozess vor Obergericht warnte die Grossbank davor, dass bei einer Gutheissung der Klage «mit potenziellen Forderungen von Kunden in Höhe von mehreren Milliarden Schweizer Franken» zu rechnen sei. Dies geht aus dem schriftlichen Urteil hervor, das saldo vorliegt.
Im Quartalsbericht von Anfang Februar nimmt die UBS Bezug auf den Entscheid. Im Abschnitt Rechtsrisiken schreibt sie von einem «Präzedenzfall». Falls die Appellationsinstanz das Urteil nicht rückgängig mache, könne die Bank Rückerstattungsansprüchen gewisser Kunden ausgesetzt sein.
Banken fürchten sich vor allem vor Pensionskassen
Fürchten dürften sich die UBS und wohl auch andere Banken vor allem vor den Rückerstattungsansprüchen der Pensionskassen. Die von den Banken einbehaltenen Kickbacks für die von den Vorsorgeeinrichtungen angelegten Milliarden stehen den Versicherten zu.
Die gesetzliche treuhänderische Sorgfaltspflicht gebietet es den Pensionskassen, dass sie von den Banken die Kommissionen zurückfordern.
Der Pensionskassenverband unterstützt die Kassen dabei. In seiner Fachmitteilung vom letzten November hat der Verband seine Mitglieder erneut aufgefordert, die bestehenden Vermögensverwaltungsverträge zu überprüfen und allenfalls neu zu formulieren. Insbesondere solle ein pauschal formulierter Vorausverzicht auf Retrozessionen nicht akzeptiert werden. Weiter rät der Verband, darauf zu bestehen, dass sämtliche Details zu den zu erwartenden Rückvergütungen offengelegt werden. Und er weist darauf hin, dass Rückforderungen von Retrozessionen bis auf zehn Jahre zurück möglich sind.
Die Pensionskassen sagen nicht, ob sie aktiv werden wollen
Haben die Pensionskassen die Gelder schon geltend gemacht? Eine Umfrage von saldo haben nur wenige beantwortet – und meist nur pauschal. Die Vorsorgeeinrichtung des Kantons Zürich (BVK) gibt bekannt, dass sie die Offenlegung von Retrozessionen Dritter an die Vermögensverwalter «konsequent einfordert», falls sich aufgrund eines Gerichtsurteils neue Möglichkeiten ergeben. Konkreter will sich die BVK nicht äussern.
Kurz angebunden ist auch die Personalvorsorgestiftung der Rivella-Gruppe. Sie betont, dass man mit der Rechtsprechung vertraut sei und sich aktiv für die Interessen der Versicherten einsetze.
Schon früh für die Problematik von Retrozessionen sensibilisiert gewesen ist die Vorsorgeeinrichtung Stiftung Abendrot. Laut dem Geschäftsführer Hans-Ulrich Stauffer verlangt die Pensionskasse schon seit rund zehn Jahren von allen Banken, Versicherungen, Liegenschaftenverwaltungen und weiteren Akteuren regelmässig eine schriftliche Erklärung, dass sie keine Retrozessionen erhalten, respektive diese an die Stiftung abführen.
In den vergangenen Jahren haben auch andere Pensionskassen damit begonnen, sich von ihren Banken und unabhängigen Vermögensverwaltern Bestätigungen aushändigen zu lassen, dass keine versteckten Retrozessionen fliessen. Dazu gehören etwa die Versicherungskasse für das Staatspersonal Kanton St. Gallen, die Personalvorsorgestiftung der Jungfraubahnen oder die Pensionskasse der Pilatus Flugzeugwerke. Nur: Die Bestätigungen weisen einen erheblichen Makel auf – es sind Selbstdeklarationen der Banken. Und am Beispiel UBS wird klar: Die Grossbanken bestreiten, Retrozessionen zu erhalten – deshalb müssen Kunden klagen, wenn sie die ihnen zustehenden Gelder erhalten wollen.
Für die Versicherten heisst das: Sie sollten via ihre Vertreter im Stiftungsrat der Pensionskasse darauf drängen, dass bei Banken und Vermögensverwaltern eine Verjährungsverzichtserklärung eingeholt wird und die Retrozessionen früherer Jahre zurückgefordert werden.