Handy-Strahlung: Studie mit vielen Fragezeichen
Die grösste je gemachte Studie zum Strahlenrisiko von Handys sorgt für mehr Verwirrung als Aufklärung. Nur eines ist klar: Für eine Entwarnung ist es zu früh.
Inhalt
saldo 11/2010
07.06.2010
Letzte Aktualisierung:
08.06.2010
Werner Fischer
Rund 4,6 Milliarden Mobilfunkabonnenten gibt es heute auf der Welt. Sie alle mussten ganze sechs Jahre warten, bis die Resultate der sogenannten Interphone-Studie endlich publiziert wurden. Grund: Uneinigkeit unter den beteiligten Wissenschaftern.Es handelt sich um die grösste je gemachte Studie zur Frage, ob der Handy-Gebrauch zu Gehirntumoren führen kann.
Durchgeführt wurde die Studie von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der dort angegliederten International...
Rund 4,6 Milliarden Mobilfunkabonnenten gibt es heute auf der Welt. Sie alle mussten ganze sechs Jahre warten, bis die Resultate der sogenannten Interphone-Studie endlich publiziert wurden. Grund: Uneinigkeit unter den beteiligten Wissenschaftern.Es handelt sich um die grösste je gemachte Studie zur Frage, ob der Handy-Gebrauch zu Gehirntumoren führen kann.
Durchgeführt wurde die Studie von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der dort angegliederten Internationalen Krebsagentur. Die Untersuchung kostete 19,2 Millionen Euro. Davon hat die Mobilfunkindustrie 5,5 Millionen Euro bezahlt.
Die Forscher nahmen in 13 Ländern 5117 Patienten mit den beiden häufigsten Hirntumorvarianten und 7700 gesunde Kontrollpersonen im Alter zwischen 30 und 59 Jahren unter die Lupe. Die Teilnehmer mussten angeben, wie lange sie ihr Handy besassen, wie lange sie mit ihm pro Monat telefonierten und an welchem Ohr sie ihr Mobiltelefon in der Regel hielten, bevor der Tumor bei ihnen diagnostiziert wurden. Diese Werte wurden dann mit den gesunden Kontrollpersonen verglichen.
Resultate für weitere Tumorarten noch unter Verschluss
Nach der Publikation des Schlussberichts der Interphone-Studie stellten die Interessenvertreter die Ergebnisse als Sieg für die Mobilfunkbranche dar. Michael Milligan, Generalsekretär des internationalen Verbandes der Handy-Industrie, behauptet beispielsweise: «Die Studie liefert eine weitere Bestätigung für die Sicherheit von Mobiltelefonen.»
In der Schweiz hat ein grosser Teil der Medien diese Sicht übernommen. «Entwarnung für Vieltelefonierer», titelte zum Beispiel die «Weltwoche». Und der «Tages-Anzeiger» schrieb: «Handy-Strahlen: keine Hinweise auf Krebsgefahr.» Doch ein näherer Blick auf die Studienresultate zeigt, dass es für eine Entwarnung viel zu früh ist. Denn die Studie hat mehrere Mängel:
Eines der Hauptprobleme: Das statistische Material der Studie beruht auf Fragen, welche die Studienteilnehmer aus der Erinnerung beantworten mussten. Das heisst, die rund 13‘000 Studienteilnehmer wurden rückwirkend gefragt, wie viele Handy-Telefonate sie in den letzten Jahren gemacht hatten und wie lange diese jeweils gedauert hatten. Wer kann dazu wirklich korrekte Angaben machen? Auch die Forscher selbst räumten ein, dass hier Ungenauigkeiten möglich sind.
Lloyd Morgan, Direktor der Hirntumor-Gesellschaft der USA, bemängelt an der Studie: «Junge Erwachsene und Kinder waren von der Teilnahme ausgeschlossen. Kinder und Jugendliche haben aber ein wesentlich höheres Tumorrisiko als Erwachsene.» Dabei ist bekannt, dass Kinder und Jugendliche neben den Geschäftsleuten zu den intensivsten Handy-Nutzern gehören.
Im Gesamtbericht wurden nur die Resultate für die beiden Krebsarten Hirngewebetumor und Hirnhauttumor veröffentlicht. Die Resultate für den Speicheldrüsentumor und den Ohrspeicheldrüsentumor wurden auf später angekündigt. Das verheisst wenig Gutes. Die israelische Krebsforscherin Siegal Sadetzki hat denn auch exakt für diesen Bereich im Jahr 2008 eine Teilstudie mit alarmierenden Resultaten veröffentlicht: Ihre Studie zeigt, dass Personen, die ihr Handy intensiv nutzen, ein 50 Prozent höheres Risiko haben, einen Speicheldrüsen- oder Ohrspeicheldrüsentumor zu entwickeln – und zwar auf der Seite, auf der sie das Handy meist am Ohr halten.
In der Studie wurden Personen, die ihr Gerät während zehn Jahren täglich eine halbe Stunde benutzten, bereits zu den Intensivnutzern gezählt. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 2000 bis 2004. Das heisst: Wer schon damals zehn Jahre ein Handy benutzte, musste also bereits in den Jahren 1990 bis 1994 mit dem Gerät telefoniert haben. Zu einer Zeit also, als die neue Technik noch in den Kinderschuhen steckte. Zudem: Das Handy wird heute im Durchschnitt deutlich länger benutzt als eine halbe Stunde pro Tag.