Der Herzschlag von Max Zimmermann aus Schaffhausen war unregelmässig und fühlte sich an «wie eine Waschmaschine, die nicht rund läuft». Sein Hausarzt hatte einen etwas weniger anschaulichen Namen dafür: Vorhof-Flimmern. Vorhof-Flimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung. Rund jeder zehnte über 80-Jährige ist davon betroffen. Dabei pumpen die beiden Vorhöfe das Blut zu schnell und nicht mehr im Takt in die Herzkammern. Die Folge: ein unregelmässiger und meist zu schneller Herzschlag – bis zu 160 Schläge pro Minute.
Der Hausarzt verschrieb Max Zimmermann das Herzmittel Cordarone mit dem Wirkstoff Amiodaron. Doch für den damals 77-Jährigen hatte dies schlimme Folgen: Die Augen traten aus den Höhlen, er sah Doppelbilder und verlor zehn Kilo. Nach drei Wochen stellte sich heraus: Das Amiodaron hatte seine Schilddrüse völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie produzierte zu viel Hormone – was die Augen hervorquellen liess.
Schiefes Auge, umgestülptes Lid, Kropf am Hals
Sofort setzte der Arzt das Medikament ab. Doch der Wirkstoff Amiodaron lagert sich im Fettgewebe des Körpers ein und wirkt deshalb noch monatelang nach, auch wenn man es nicht mehr einnimmt. Bestrahlungen sowie eine Kortison-Therapie im Spital brachten die Schilddrüse nicht in Ordnung. Heute ist mehr als ein Jahr vergangen, seit Max Zimmermann Amiodaron schluckte. «Aber noch immer biete ich ein Bild des Grauens», sagt der pensionierte Maschinenbau-Ingenieur mit Galgenhumor. «Das rechte Auge schaut schief in die Geografie, und die Innenseite des Augenlids hat sich nach aussen gestülpt.» Am Hals hat sich zudem ein Kropf gebildet.
Amiodaron: Einsetzen, wenn alles andere nichts nützt
Die meisten Ärzte haben zu Amiodaron ein gespaltenes Verhältnis. Thomas F. Lüscher, Leiter der Herzabteilung am Universitätsspital Zürich: «Es ist das wirksamste Medikament gegen Vorhof-Flimmern – aber es kann starke Nebenwirkungen haben.» Auch Jerry Rojas, Herzspezialist mit Praxis in Zürich, hat vor Amiodaron grossen Respekt: «Man muss die Patienten sehr engmaschig überwachen.» Die Fachinformation zum Medikament mahnt zur Zurückhaltung: «Amiodaron sollte nur dann eingesetzt werden, wenn andere Behandlungen versagt haben.»
Vorhof-Flimmern ist eine fortschreitende Krankheit. Thomas F. Lüscher: «Ein typischer Patient hat zuerst einzelne Episoden, die einige Stunden andauern. Diese sind nicht lebensbedrohlich.» Doch je öfter solche Episoden auftreten, desto länger dauern sie. Wenn sich der Pulsschlag nach 24 Stunden nicht normalisiert hat, kann es gefährlich werden: Denn weil der Vorhof nicht vollständig ausgequetscht wird, können sich Blutgerinnsel bilden und in die Blutbahn gelangen. Im schlimmsten Fall ist ein Hirnschlag die Folge. Um dies zu verhindern, bekommt jeder Patient zunächst Medikamente wie Sintrom oder Marcoumar, die das Blut verdünnen.
Doch Fachleute sind sich einig: Fortgeschrittenes Vorhof-Flimmern ist schwierig zu behandeln. Zwar kann man den Herzschlag normalisieren, indem man dem Herz unter Narkose einen kurzen Stromschlag versetzt. «Aber oft kommt das Vorhof-Flimmern wieder zurück», so Herzspezialist Rojas. Einigen Patienten helfen dann Medikamente wie Tambocor oder Rytmonorm – bei andern hingegen lösen diese selber Herzrhythmusstörungen aus (siehe Tabelle im pdf-Artikel).
Eine Operation hilft oft, ist aber riskant
Jüngeren Patienten, die unter häufigem Vorhof-Flimmern leiden, hilft manchmal eine sogenannte Ablation: Mittels eines Katheters veröden die Ärzte Gewebe im Vorhof des Herzens. «Vier von fünf Operierten haben danach kein Vorhof-Flimmern mehr», sagt Thomas F. Lüscher. Allerdings sei der Eingriff nicht ungefährlich: «Komplikationen sind zwar sehr selten, können aber im schlimmsten Fall tödlich sein.»
Oft wählen die Ärzte deshalb eine andere Strategie. Thomas F. Lüscher: «Bei Menschen, die seit Jahren Vorhof-Flimmern haben, belassen wir es und versuchen nicht mehr, einen regelmässigen Herzrhythmus herzustellen.» Stattdessen sei man zufrieden, wenn das Herz nicht mehr so schnell schlage. Damit steige die Überlebenschance deutlich. «Gerade für ältere Menschen ist dies oft die beste Lösung.»
Laut Bernhard Lauterburg, Professor für klinische Pharmakologie an der Universität Bern, kommen bei dieser Strategie Betablocker, Kalzium-Antagonisten sowie das Medikament Digoxin zum Einsatz: «Dies verspricht auf lange Sicht gleich viel Erfolg wie eine Rückkehr zum normalen Herzschlag.»