Autohaftpflicht: Willkür bei der Prämienhöhe
Wie viel der einzelne Versicherte für die Autohaftpflicht zahlen muss, hängt von umstrittenen Statistiken ab - statt vom individuellen Fahrverhalten.
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saldo 4/2007
07.03.2007
Eric Breitinger
Wer sein Auto versichern will, muss zuerst viele Fragen beantworten - und dabei Angaben machen, die nichts mit seinem persönlichen Fahrverhalten, seiner Routine oder seinem Auto zu tun haben. Denn jede Versicherung berechnet die Prämien nach eigenen, geheim gehaltenen Regeln.
Alle greifen dabei auf Kriterien zurück, die der Versicherte nicht beeinflussen kann, die sich aber deutlich auf die Prämie auswirken können. Das ergeben Stichproben. saldo liess sich von Versicherungen ...
Wer sein Auto versichern will, muss zuerst viele Fragen beantworten - und dabei Angaben machen, die nichts mit seinem persönlichen Fahrverhalten, seiner Routine oder seinem Auto zu tun haben. Denn jede Versicherung berechnet die Prämien nach eigenen, geheim gehaltenen Regeln.
Alle greifen dabei auf Kriterien zurück, die der Versicherte nicht beeinflussen kann, die sich aber deutlich auf die Prämie auswirken können. Das ergeben Stichproben. saldo liess sich von Versicherungen Offerten mit Profilen berechnen, bei denen sich stets nur ein Kriterium änderte, etwa Geschlecht, Wohnkanton oder Nationalität.
Männer zahlen bis zu 30 Prozent mehr als Frauen
Die Unterschiede sind gross. Das fängt an beim Geschlecht. Bei Züritel oder Coop zum Beispiel zahlen 18-jährige Männer 30 Prozent mehr als gleichaltrige Frauen, beim TCS 11 Prozent mehr. Anders sieht es bei Frauen und Männern im mittleren Alter aus: Züritel, Coop und die Zürich verlangen von einem 44-jährigen Mann nur 3 bis 6 Prozent mehr als von einer 44-jährigen Frau. «Diese Entwicklung spiegelt die statistische Schadensanfälligkeit wider», sagt Nicolas Della Piana, Leiter des Produktmanagements der Coop-Versicherung. Doch nicht alle Versicherungen sehen das gleich: «Im Moment berücksichtigen wir das Geschlecht nicht als Kriterium», sagt Martin Läderach, Sprecher der Winterthur.
Baselland: Je nach Pass bis zu 75 Prozent höhere Prämien
Bei allen Versicherungen spielt auch der Zulassungskanton des Autos eine Rolle. In der Regel kommen Versicherte in verkehrsreichen Randkantonen wie Tessin, Genf oder Basel-Stadt schlecht weg, während Innerschweizer die niedrigsten Prämien zahlen. Bei der Winterthur berappen Basler 38 Prozent mehr als Glarner. Bei Coop zahlen Tessiner und Genfer 20 Prozent mehr als Urner, Nidwaldner und Glarner. Die Zürich belastet Genfern, Zürchern und Tessinern 12 Prozent mehr als Innerschweizern. Die Zürich hat die Schweiz in zehn Tarifgebiete eingeteilt, die Winterthur in sechs. Folge: Wer das Pech hat, in einer ungünstigen Zone zu wohnen, zahlt mehr, auch wenn er nie einen Unfall verursacht.
Krasser noch ist der Einfluss des Passes: So zahlt ein in der Schweiz geborener Albaner bis zum Doppelten der Prämie seines Kollegen mit Schweizer Pass, der ihm sonst in allem gleicht. Beide sind 44 Jahre alt, wohnen im Baselbiet, besitzen seit 24 Jahren den Fahrausweis und fahren seit über 5 Jahren unfallfrei einen VW Golf 1400 CL, Erstzulassung: 1994. Der Albaner zahlt beim TCS 1186 Franken und bei der Basler 883 Franken Jahresprämie. Der Schweizer muss nur 590 Franken beim TCS und 450 Franken bei der Basler hinlegen. Bei Züritel berappt der Albaner 75 Prozent mehr, bei der Zürich 57, bei Coop 50 und bei der Winterthur 44 Prozent mehr.
Auch bei den Herkunftsländern bilden die Versicherer Gruppen. Die Zürich zum Beispiel unterscheidet sechs Kategorien: West-, Süd- und Osteuropa, Schweiz/Nordeuropa, Amerika und «Rest der Welt». Hohe Prämien verlangen Versicherer oft von Osteuropäern. Selbst Südeuropäern berechnen sie zum Teil höhere Prämien, während sie Deutsche meist wie Schweizer behandeln.
«Das Kriterium Nationalität ist stark pauschalisiert», kritisiert Bernhard Waldmann. Der Freiburger Staats- und Verwaltungsrechtler wirft den Versicherern in einem Gutachten vor, viele Tarife willkürlich festzulegen, da repräsentative Zahlen für alle Nationalitäten fehlten. Zudem liessen die Versicherer ausser Acht, wie lange jemand in der Schweiz lebe: «Das widerspricht dem Versicherungsaufsichtsgesetz, das Diskriminierungen verbietet», sagt Waldmann.
«Wir gehen nicht nach politischen Vorgaben vor»
Von Diskriminierung könne nicht die Rede sein, entgegnet der Schweizerische Versicherungsverband (SVV). Schliesslich handle es sich «bei der Berücksichtigung der Nationalitäten oder Regionen um objektive Differenzierungen». Die Winterthur betont zudem, dass die Aufenthaltsdauer von Ausländern in der Schweiz nicht ihr Risikoverhalten neutralisiere. «Auch nach 15 Jahren gibt es noch Unterschiede bei der Schadenhäufigkeit», so Läderach.
Weshalb aber stellen Versicherer bei den Prämien auf die Schadenhäufigkeit von Bevölkerungsgruppen ab statt auf das Fahrverhalten des Einzelnen? «Die völlig auf das individuelle Risiko des Lenkers abgestimmte Prämie kann es nicht geben», argumentiert Martin Läderach: «Es ist administrativ nicht machbar, unsere 1 Million Autopolicen ganz individuell zu berechnen.» Um sich die Arbeit zu erleichtern, greifen daher alle Autoversicherungen zur Gruppenbildung etwa nach Pass, Geschlecht, Alter oder Region.
Diese Kriterien verteidigt Coop-Experte Della Piana als «objektiv und relevant für das individuelle Fahrverhalten». Das Wegfallen des Kriteriums Nationalität lehnt er ab: «Wir gehen nicht nach politischen Vorgaben vor, sondern nach statistischen Erfahrungswerten.» Das Fahrverhalten jedes Automobilisten berücksichtigt gemäss Dominik Marbet, Sprecher der Basler, schon das Bonus-Malus-System, das einen Unfall später mit höheren Prämien bestraft. Doch habe dieses System seine Grenzen: «Wenn sie einen Versicherten nach einem Unfall zu stark belasten, wandert er schnell zu einer anderen Versicherung ab. Der Markt ist heiss umkämpft.»
Fahrtenschreiber sollen künftig individuelle Prämien ermöglichen
Immerhin erproben die Versicherer Techniken, die individuellere Prämien ermöglichen. In einem Pilotprojekt im Kanton Zürich baut die Winterthur «Crash Recorder» in Autos von Junglenkern ein. Die Box zeichnet bei einem Unfall 30 Sekunden lang relevante Daten auf und gibt Aufschluss, wie sich der Fahrer verhalten hat. Wer beim Projekt mitmacht, bekommt 20 Prozent Prämienrabatt. Die Basler hat das Gleiche seit 2001 fest im Angebot. Hier winken 10 Prozent Rabatt. Der Haken dabei: Das Aufzeichnungsgerät kostet 1100 Franken. «Das ist eher für Firmen interessant», gesteht Marbet.
Beim dreimonatigen Feldversuch «Pay as you Drive» rüstete die Zürich Autos von 40 Mitarbeitern mit GPS-Fahrtenschreibern aus. Seit Februar zeichnen diese nun Fahrtzeiten und Kilometer, Tempo und benutzte Strassenarten auf. Die Daten gehen an die Versicherung, die daraus individuelle Prämien errechnet. «2008 wollen wir das als weiteres Produkt anbieten», sagt Zürich-Sprecherin Katrin Schnettler. «Wer vorsichtiger fährt, zahlt dann entsprechend weniger Prämien.»