Kollaps im Flugzeug
Airlines werben gerne mit ihrer Kundenfreundlichkeit. Doch Reisende, die nicht topfit sind, sollten bei vielen Fluggesellschaften besser auf dem Boden bleiben.
Inhalt
Gesundheitstipp 7+8/2006
28.06.2006
Sonja Marti
Die Lufthansa ist Esther und Chris Lawrence aus Arlesheim BL in schlechter Erinnerung. Im März 2005 musste sich ihre Tochter Samantha in den USA einer Herzoperation unterziehen. Als die Familie wieder nach Hause fliegen wollte, kam der Schock: Die Lufthansa wollte die kleine Patientin plötzlich nicht mehr mitnehmen. Sie könne für Samantha keine Sauerstoffflasche zur Verfügung stellen, hiess es. Dabei hatte die Airline vor der Reise die Bestellung bestätigt. Esther Lawrence: «Wir wussten v...
Die Lufthansa ist Esther und Chris Lawrence aus Arlesheim BL in schlechter Erinnerung. Im März 2005 musste sich ihre Tochter Samantha in den USA einer Herzoperation unterziehen. Als die Familie wieder nach Hause fliegen wollte, kam der Schock: Die Lufthansa wollte die kleine Patientin plötzlich nicht mehr mitnehmen. Sie könne für Samantha keine Sauerstoffflasche zur Verfügung stellen, hiess es. Dabei hatte die Airline vor der Reise die Bestellung bestätigt. Esther Lawrence: «Wir wussten von Anfang an, dass Samantha auf dem Rückflug möglicherweise Sauerstoff braucht.» Deshalb hätten sie sich für eine Airline entschieden, die diesen Service anbietet.
British Airways: Ein Herz für Herzpatienten
Die Lufthansa legte der Familie nahe, mit einer anderen Fluggesellschaft zurückzufliegen - auf eigene Kosten. Der Familie blieb schliesslich nichts anderes übrig. Bei den British Airways war die Sauerstoff-Bestellung dann - obwohl kurzfristig - kein Problem. Was bei der Lufthansa schief gelaufen war, ist bis heute nicht klar. «Wir hatten das Gefühl, die Lufthansa wolle nichts mit Herzpatienten zu tun haben», sagt Esther Lawrence.
Die Lufthansa erklärt, sie bedaure, dass die Rückreise für die Familie «mit Ärger und Sorge verbunden war». Doch die Gesundheit und Sicherheit ihrer Fluggäste habe oberste Priorität. Dass sie das herzkranke Mädchen nicht mitgenommen habe, «diente ausschliesslich der Wahrung der Gesundheit von Samantha». Die Airline könne «aus technischen Gründen» keinen Sauerstoff für Kleinkinder zur Verfügung stellen.
Das Beispiel zeigt: Für Menschen, die nicht topfit sind, wird eine Flugreise schnell zum Problem. Denn im boomenden Geschäft mit dem Ferntransport liefern sich die Airlines einen harten Preiskampf. Deshalb sind sie oft schlecht auf Passagiere mit speziellen Bedürfnissen, wie Kranke und Behinderte, eingestellt.
Doch auch beim Wohlbefinden ihrer gesunden Fluggäste sparen Fluggesellschaften oft: Sie montieren möglichst viele Sitze in der Kabine. Damit nehmen sie in Kauf, dass ihre Passagiere eine Thrombose bekommen. Andere Airlines knausern bei der Klimaanlage, weil sie damit Kerosin sparen können. Die Folgen für die Passagiere: Rote Augen und häufig Atemwegskrankheiten wegen trockener Luft, Luftzug oder weil verdreckte Luftfilter Bakterien und Viren nicht zurückhalten.
Airlines verschweigen Not- und Todesfälle an Bord
Trotzdem reisen immer mehr Menschen per Flugzeug. Damit steigt auch die Zahl der Not- und Todesfälle. Menschen erleiden eine Herzattacke oder kollabieren. Thomas Küpper vom Centrum für Reisemedizin in Düsseldorf (D) geht davon aus, dass pro Jahr weltweit rund 1750 Menschen im Flugzeug eines natürlichen Todes sterben. Über die genauen Zahlen schweigen sich die Airlines jedoch meist aus. Oder sie führen überhaupt keine Statistiken zu Notfällen an Bord.
Denn oft nehmen Fluggesellschaften die Gesundheit ihrer Passagiere zu wenig ernst. Das ergab eine Umfrage des Gesundheitstipp bei 22 Airlines. Geantwortet haben acht: American Airlines, British Airways, Edelweiss, die polnische Lot, Lufthansa, Singapore Airlines, Swiss und United Airlines (siehe Tabelle).
Obwohl fast alle Airlines in der Umfrage erklärten, dass sie gut auf Notfälle vorbereitet seien, bleibt für Flugmediziner Thomas Küpper fraglich, ob die Crew im Notfall tatsächlich richtig reagieren kann. Denn ihre Ausbildung sei minimal. «Sie beschränkt sich fast immer auf ein zweitägiges Basistraining und einen eintägigen Auffrischungskurs pro Jahr.» Zudem sei die Notfallausrüstung oft ungenügend, «etwa bei amerikanischen Airlines».
Das bestätigt John Fitch von der Flugnotrufzentrale Aero Medical Group in Kalifornien gegenüber der Zeitung «The Boston Globe». Besonders bei rezeptpflichtigen Medikamenten wie starken Schmerzmitteln halten sich die US-Airlines zurück, weil sie Angst haben vor Fehlbehandlungen und damit teuren Haftungsklagen.
Singapore Airlines: Genügend Platz und gesundes Essen
Laut Fitch sind manche Crews zudem ungenügend in Herz-Kreislauf-Massage ausgebildet. Das kann sich fatal auswirken. Die häufigsten Notfälle an Bord sind nämlich Herz-Kreislauf-Probleme, wie Thomas Küpper bestätigt. Glück für den Patienten ist aber, dass oft ein Arzt zufällig an Bord ist. Küpper: «Die Crews können den Arzt meist sehr gut unterstützen.»
Besser ist es, wenn es gar nicht erst zum Notfall kommt. Deshalb müssen sich die Airlines dafür einsetzen, dass ihre Kunden gesund bleiben. Singapore Airlines wollen darin besonders gut sein: Laut eigenen Angaben haben alle Flugzeuge breite Sitze mit genügend Beinfreiheit. Zudem wird gesundes Essen serviert: Zu jeder Mahlzeit gehört Obst oder Gemüse. Wasser ist stets gratis, Alkohol schenken sie nur beschränkt aus.
Anders bei der polnischen Lot. Die Passagiere dürfen bechern, so viel sie wollen. Betrunkene sind aber ein Sicherheitsrisiko für die anderen Reisenden an Bord. Pikant: Die Lot sagte dem Gesundheitstipp, dass sie nicht auf ausrastende Passagiere vorbereitet sei.
Edelweiss: Guter Service für Kranke und Allergiker
Für viele Kranke und Lebensmittelallergiker bietet vor allem Edelweiss einen guten Service. Unter anderem offeriert sie viele Spezialmenüs, macht Liegendtransporte, und Passagiere mit Gipsbein erhalten einen Sitz mit genügend Beinfreiheit. Nur Lungen- und Herzkranke, die an Bord eine Sauerstoffflasche benötigen, sind bei der British Airways besser aufgehoben - wie auch der Fall Lawrence gezeigt hat.
Wer Diabetes hat, muss ebenfalls mit Problemen rechnen, wie Gerhard Charles Rump aus Berlin. In der «Berliner Morgenpost» machte der Diabetiker seinem Ärger auf den Billigflieger Easyjet Luft: Dieser würde es in Kauf nehmen, dass er ins Zuckerkoma falle. Denn die Flugbegleiterin habe verlangt, dass er sein Notfalltäschchen mit den Spritzen und dem Traubenzucker im Gepäckfach verstaue. Doch im Notfall käme Rump so zu spät an seine lebensrettenden Medikamente. Nicht so bei den acht Airlines, die bei der Gesundheitstipp-Umfrage mitgemacht haben: Alle erlauben es Diabetikern, ihre Insulinspritzen bei sich zu tragen. British Airways und Singapore Airlines verlangen dafür aber ein ärztliches Attest. Easyjet wollte zum Fall von Rump keine Stellung nehmen.
Auch auf Menschen, die eine Lebensmittelallergie haben, sind Airlines häufig schlecht vorbereitet. Wer eine Diät braucht, muss auf dem Flug öfters hungern. Diese Erfahrung machte Rita Irniger aus Zürich. Sie hat Zöliakie und verträgt deshalb kein Gluten, einen Bestandteil von Getreide wie Weizen, Dinkel, Gerste und Hafer.
Zehn Jahre pendelte Irniger zwischen Zürich und Wien und flog meist mit Swiss oder Austrian Airlines. «Der Flug ging morgens um 7 Uhr. Da freute ich mich auf das Frühstück.» Doch oft war das Essen nicht an Bord oder enthielt Mehl. Manchmal bekam Irniger auch eine fades, fleischloses Radikaldiät-Menü mit künstlich gesüssten Produkten vorgesetzt. Gute Erfahrungen machte Irniger dafür mit British Airways, mit der sie häufig fliegt.
Bestellte Diätmenüs waren nicht an Bord
Anita Dimas von der IG Zöliakie in Basel bestätigt, dass es bei Diätmenüs immer wieder Ärger gebe, obwohl die Passagiere das Essen rechtzeitig bestellen. Auf manchen Europaflügen würden aus Prinzip keine Spezialmenüs serviert.
Ähnlich mühsam ists auch für Vegetarier. Renato Pichler von der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus: «Die Bestellungen werden nicht immer ernst genommen.» Zudem lasse die Qualität mancher Menüs zu wünschen übrig, und oft müssten sich Vegetarier mit einem Käsesandwich begnügen.
Ein Flug kann auch für Menschen mit einer psychischen Krankheit schwierig werden. Flugmediziner Thomas Küpper: «Airlines dürfen Passagiere mit psychischen Krankheiten eigentlich nur in fachärztlicher Begleitung befördern.» Manchmal mit gutem Grund, wie ein Beispiel der Scandinavian Airlines zeigt: Auf einem Flug nach Kopenhagen versuchte eine psychisch kranke Amerikanerin, auf 10 000 Metern Höhe die Flugzeugtüre zu öffnen. Die Crew konnte die Frau glücklicherweise überwältigen.
Doch die Vorschrift würde auch für Leute gelten, die zum Beispiel ihre Depression mit Medikamenten gut im Griff haben. Das ist für Küpper schwer nachvollziehbar: «Längerfristig stabile Patienten dürfen aus flugmedizinischer Sicht trotzdem an Bord - auch wenn dies nicht ganz legal ist.» Airlines wie Lot, American Airlines, British Airways und Edelweiss verlangen bloss ein ärztliches Attest. Swiss und Lufthansa bestehen auf einer Begleitperson. United und Singapore Airlines verweigern prinzipiell den Transport von Schizophrenie-Patienten.
Rollstuhlfahrer haben häufig schon beim Buchen Probleme
Auch Rollstuhlfahrer werden bei Flugreisen oft ausgebremst. So bekommen sie zum Beispiel beim Ein- und Aussteigen oder beim Gang zur Toilette nicht genügend Hilfe. Manchmal gibt es aber schon beim Buchen Schwierigkeiten, wie Helen Signer (Name geändert) bei der Swiss erleben musste.
Die 33-jährige Zürcherin ist querschnittgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Sie fliegt regelmässig zu ihrem Freund nach Wien. Nur beim Ein- und Aussteigen braucht Signer Hilfe. Doch wenn sie bei der Swiss über Internet einen Flug buchen will, muss sie zuerst zum Arzt. Signer: «Bei Lufthansa, Germanwings und Scandinavian Airlines zum Beispiel genügt es, wenn ich sie telefonisch informiere, welche Hilfe ich brauche. Ebenso, wenn ich bei einem Reisebüro einen Swiss-Flug buche.» Doch bei der preisgünstigeren Online-Buchung verlangt Swiss ein Formular, das der Arzt ausfüllt. Darin wird akribisch der gesundheitliche Zustand festgehalten.
Neues EU-Gesetz verpflichtet Airlines zu Gratis-Hilfe
Helen Signer findet das diskriminierend: «Diese Informationen spielen für den Transport gar keine Rolle. Ich bin schliesslich nicht krank.» Positiv sind aber Signers Erfahrungen mit den Crews und dem Flughafenpersonal, das ihr jeweils beim Einsteigen hilft. «Alle waren immer sehr freundlich und zuvorkommend.»
Jean-Claude Donzel, Mediensprecher der Swiss: «Für uns ist nicht ersichtlich, inwiefern wir die Kundin diskriminiert haben. Wir behandeln alle Passagiere gleich.» Laut Donzel braucht es das medizinische Formular bei Online-Buchungen nur, wenn an Bord grössere gesundheitliche Probleme auftauchen könnten. Donzel vermutet, dass bei Helen Signer ein «Missverständnis passiert ist, als sie mit der Swiss telefonierte».
Doch das europäische Parlament nimmt jetzt die Airlines und Flughäfen in die Pflicht. Sie müssen künftig behinderte und alte Passagiere unterstützen - und zwar gratis. Airlines dürfen sich auch nicht mehr weigern, behinderte Menschen mitzunehmen, wie dies bei einigen Billiganbietern passiert ist. Das Gesetz soll in der EU ab 2008 in Kraft treten.
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