Was ist in der Salami ausser Schweinefleisch sonst noch alles drin? Enthält eine Hautcreme ein Parfüm, das Allergien auslöst? Wie viele Zusatzstoffe schlecken Kinder mit Gummibärchen? Diese Fragen müssen Etiketten und Aufschriften auf Lebensmitteln und Kosmetika laut Lebensmittelverordnung «in leicht lesbarer Schrift» beantworten.
Unlesbare Inhaltsangaben tendenziell zunehmend
Hersteller und Anbieter nehmen es mit dieser Vorschrift jedoch nicht besonders genau: Jeder Grossverteiler und jeder Supermarkt hat Produkte im Angebot, deren Inhaltsangaben von blossem Auge kaum zu entziffern sind - Tendenz zunehmend: «Wir stellten in den letzten Jahren eine Verschlechterung fest», kritisiert der Berner Kantonschemiker Urs Müller. «Auch Konsumenten melden sich relativ oft bei uns und weisen auf unleserliche Packungsaufschriften hin.»
Ein Beispiel: Schmelzkäse mit einer Etikette im Miniformat. Müller: «Solche Produkte interessieren die Leute besonders. Sie wollen wissen, ob ein Schmelzkäse Emulgatoren enthält und aus welchen Käsesorten er zusammengesetzt ist.»
Im schlimmsten Fall können nicht entzifferbare Informationen über Inhaltsstoffe sogar die Gesundheit gefährden: Wer auf Milcheiweiss, Haselnüsse oder einen bestimmten Duftstoff allergisch reagiert, ist bei Lebensmitteln und Kosmetika auf lesbare Packungsaufschriften zwingend angewiesen.
Dasselbe gilt für Diabetiker, die vor dem Kauf wissen müssen, ob Backwaren, Joghurts und Süssigkeiten Zucker enthalten oder nicht. Und auch für Sehbehinderte und viele ältere Menschen stellen Inhaltsangaben in winzig kleiner Schrift beim Einkaufen ein Hindernis dar.
Viele Hersteller halten sich nicht an Minimalvorgaben
Dem laschen Umgang der Hersteller und Anbieter mit den Vorschriften sagten die Kantonschemiker vor gut einem Jahr den Kampf an: Gemeinsam mit Konsumentenorganisationen legten sie Minimalkriterien für leserliche Etiketten fest. Wie die Vorgabe der «leicht lesbaren Schrift» konkret umzusetzen ist, schreibt das Gesetz nämlich nicht vor.
Produzenten und Verkäufer nehmen diese Vorgaben jedoch nur bedingt ernst, wie ein saldo-Warenkorb mit rund 50 Produkten zeigt. Ob Migros oder Coop, Denner, Pick Pay, Spar, Carrefour, Globus oder Volg: Sowohl bei Eigenmarken als auch bei Markenprodukten finden sich immer noch jede Menge Lebensmittel und Kosmetika mit kaum lesbaren Packungsaufschriften.
Zu kleine, enge Schriften ohne Zwischenraum
Besonders schlecht schneiden Süssigkeiten, Wurstwaren und Kosmetika ab - also ausgerechnet jene Produkte, bei denen die Zusatzstoffe und allergieauslösenden Substanzen besonders interessieren.
Würden für schlecht lesbare Etiketten Preise vergeben, müssten sich Hersteller und Anbieter sicher nicht mangelnde Originalität und fehlenden Variantenreichtum vorwerfen lassen. Die gängigsten Unsitten:
- Die Zutaten werden in winziger Schrift auf einem ebenso winzigen Etikett aufgelistet, obwohl auf der Packung durchaus Platz für einen grösseren Aufkleber wäre. Beispiele: Das Ketchup von Carrefour mit 1 Millimeter hohen Buchstaben und der Pizoler-Vollkonserven-Fleischkäse von der Migros mit einer Schrift, die weniger als 1 Millimeter gross ist. Zum Vergleich: Ein Zeitungsbuchstabe ist 2 bis 3 Millimeter hoch - zudem sind die Zeilenabstände luftiger.
- Das Etikett auf der Packung bleibt zur Hälfte weiss. Die Inhaltsangaben finden sich am oberen Rand - eng und ohne jeden Zwischenraum gedruckt. Beispiele: Mortadella superfin von Denner und Naturaplan-Bauernspeck von Coop.
- Die Inhaltsangaben sind kleiner gehalten als die daneben platzierten Produktinformationen oder allfällige Zubereitungshinweise; auch für einen grossen Strichcode ist Platz. Beispiele: Pastetenfüllung von Coop, Tahiti-Duschgel von Palmolive und Dove-Intensiv-Creme von Lever Fabergé.
- Die Aufschriften sind verschwommen. Beispiele: Mischsalat und Extra-Wurst von M-Budget, Carrefour-Landjäger.
- Der Kontrast ist schlecht. Beispiele: Saure Pommes oder Mega-Roulette-Fruchtgummis von Haribo (kleine weisse Schrift auf durchsichtiger Folie); Smarties und Smarties-Popup-Glacestängel von Nestlé (schwarz auf violettem Hintergrund mit bunten Farbtupfern).
Gewisse Unternehmen spielen den Ball den Konsumenten zurück. Der Nahrungsmittelmulti Nestlé etwa betont, dass die Kundschaft nun einmal «immer mehr und detailliertere Produkteinformationen wünscht». Andere Firmen klagen über die vielen gesetzlichen Vorschriften.
So heisst es bei Lever Fabergé, dass «die Fülle an Informationen nicht selten mit der zur Verfügung stehenden Etikettenfläche kollidiert». Die Firma löst dieses Problem nach eigener Auskunft, indem «die Marke und die Sachbezeichnung grösser geschrieben werden als die Deklarationselemente». Die unleserlichen Inhaltsangaben auf der Dove-Intensiv-Creme veranschaulichen diese Politik.
Untätig geblieben sei man nach der Druckmassnahme der Kantonschemiker aber nicht, betonen die meisten Unternehmen. «Wir haben unser Sortiment nach Problemfällen durchkämmt und die schlimmsten Fälle behoben», heisst es bei Coop.
Problem bleibt bei den Importprodukten bestehen
Dass bei Neuanpassungen eines Produkts auch die Etiketten überprüft werden, betonen nebst dem Grossverteiler auch sonst fast alle Hersteller. Nach der saldo-Einkaufstour will Denner bei den Aufschriften auf der Mortadella handeln: «Wir werden mit dem Produzenten eine Anpassung vornehmen.» Auch die Firma Haribo verspricht Änderungen: «Wir sind daran, die Farben auf besseren Kontrast umzustellen.»
Beim Grossverteiler Migros stehen gleich mehrere Massnahmen zur Debatte: «Bessere Platzverhältnisse schaffen (zum Beispiel grösseres Etikett), Reduktion der Schriftgrösse und Wechsel des Druckverfahrens.» Auch der Verzicht auf dreisprachige Packungsaufschriften werde diskutiert.
Carrefour wiederum setzt seit einiger Zeit auf Prävention: «Wir haben im Bereich Lebensmittel damit begonnen, neue Artikel auf die Richtigkeit der gesetzlich vorgegebenen Texte vom Kantonalen Labor Zürich überprüfen zu lassen, und dies vor Drucklegung der Verpackungen.»
Dass in der Haltung der meisten Betriebe eine Veränderung stattgefunden hat, anerkennen die Behörden. Trotzdem seien unleserliche Etiketten ein Dauerthema, sagt der Präsident des Verbands der Kantonschemiker, Hans-Rudolf Hunziker. Und sie werden es bleiben: «Bei Importprodukten ist das Problem viel schwieriger zu lösen. Jetzt, wo Parallelimporte zunehmend aktuell werden, gilt das erst recht.» Den Kantonschemikern wird die Arbeit also nicht so schnell ausgehen.
Lesbar wie eine Zeitung
Vorverpackte Lebensmittel müssen gemäss der Lebensmittelverordnung mit Angaben in «leicht lesbarer Schrift» versehen werden - konkrete gesetzliche Auflagen gibt es aber nicht.
Um diese allgemeine Vorgabe umzusetzen, hat der Verband der Schweizer Kantonschemiker im Herbst 2003 eine sogenannte Interpretationshilfe zur Lebensmittelverordnung herausgegeben. Damit existieren nun klare Richtlinien, welche Hersteller und Verkäufer von Lebensmitteln und Kosmetika einhalten müssen. Das Ziel: Etiketten, die fast so gut lesbar sind wie ein Zeitungstext oder ein Eintrag in einem Lexikon.
Konkret heisst das: Eine minimale Schriftgrösse darf nicht mehr unterschritten werden, und der Kontrast soll in seiner Stärke jenem von schwarzer Schrift auf weissem Grund entsprechen.
Trudi Neidhart-Karle, 77, Zürich:
"Diese kleine Beschreibung ist einfach eine Zumutung. Machen das die Produzenten vielleicht extra, damit es die Leute nicht lesen können?"
Véronique Lambert, 25, Zürich:
"Wie bei dieser Creme sind die Inhaltsangaben häufig sehr klein gedruckt. Dabei will ich als Vegetarierin wissen, wo Fleisch drin ist."
Serge Romer, 45, Zollikon:
"In gewissen Fällen ist die Aufschrift schlecht lesbar. Dabei ist mir gerade als Vater einer kleinen Tochter der Inhalt der Produkte wichtig."
Laura Hayek, 24, Küsnacht:
"Generell sind unlesbare Packungsaufschriften für mich nicht so ein Problem. Ausser wenn die Etiketten schlecht gedruckt sind."
Stefan Kuhn, 39, Zürich:
"Preis, Gewicht und Haltbarkeit sind hier klar lesbar. Aber die Inhaltsstoffe sind den Herstellern wohl nicht wichtig, so klein, wie sie geschrieben sind."