Die teure Illusion vom gesunden Produkt
Wer es sich leisten kann, kauft auf dem Markt ein. Die Vorstellung, dabei bessere Ware zu erhalten als beim Grossverteiler, ist aber falsch.
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Haus & Garten 4/2003
24.09.2003
Bernhard Matuschak
Viele Konsumenten verbinden den Bauernmarkt mit frischen und gesunden Produkten aus der Region. Doch dieser Eindruck täuscht: Die Marktfahrer beziehen viele Waren vom Grosshandel - genauso wie Migros und Coop.
«Die Waren sind frisch, und ich weiss, woher sie stammen. Nämlich direkt vom Bauern.» Egal ob in Bern, Luzern oder Zürich: Die Argumente für den Besuch eines Wochenmarktes sind überall die gleichen.
Das Interesse an saisonalen, regionalen und schonend a...
Viele Konsumenten verbinden den Bauernmarkt mit frischen und gesunden Produkten aus der Region. Doch dieser Eindruck täuscht: Die Marktfahrer beziehen viele Waren vom Grosshandel - genauso wie Migros und Coop.
«Die Waren sind frisch, und ich weiss, woher sie stammen. Nämlich direkt vom Bauern.» Egal ob in Bern, Luzern oder Zürich: Die Argumente für den Besuch eines Wochenmarktes sind überall die gleichen.
Das Interesse an saisonalen, regionalen und schonend angebauten Produkten ist in den vergangenen Jahren bei vielen Konsumenten deutlich gewachsen. Bereits 3,25 Prozent vom gesamten im Detailhandel abgesetzten Obst und Gemüse kaufen die Schweizerinnen und Schweizer am Marktstand ein, bei Biowaren sind es gar 21 Prozent. Tendenz steigend.
«Wenn Holland draufsteht, ist die Ware unverkäuflich»
Die Gründe dafür sind offensichtlich: Als Folge von Lebensmittelskandalen und Berichten über die Massenproduktion sind viele Konsumenten verunsichert. Die Marktstände der Bauern aus der Region vermitteln jenes Vertrauen, das die Grossverteiler bei vielen Haushalten verloren haben.
Aber stammen die saisonalen Früchte und Gemüse auf dem Markt tatsächlich aus Eigenproduktion? SPEZIAL hat sich auf drei grossen Wochenmärkten informiert.
«Super-Mais, süss, aus Eigenanbau» oder «Tomaten aus eigener Kultur» steht verlockend auf Karton- und Pappschildern. Die meisten Verkäufer auf dem Markt in Zürich-Oerlikon haben die Produkte gekennzeichnet: Warenart, Preis und Herkunft sind vermerkt. Manche Händler geben sogar die Region an, aus der Früchte und Gemüse stammen - Züribiet, Aargau, Tessin. Also nicht aus Eigenanbau.
«Rund 50 Prozent unseres Angebotes stammt derzeit von unserem Hof», sagt Sigi Walser von den Haab-Landwirten aus Bachs ZH. Walser ist als Einkaufschef für die Ergänzung der hofeigenen Produkte mit Früchten und Gemüse vom Grosshandel zuständig. Die Pfirsiche, Nektarinen oder Peperoni am Haab-Marktstand wurden in Ländern Südeuropas angebaut. Bei den Paprikaschoten fehlt die Länderbezeichnung. «Wenn Holland auf dem Verkaufsschild steht, ist die Ware praktisch unverkäuflich», erklärt Walser.
Zwei Drittel der Ware stammen vom Engros-Markt
Auch bei Fritz Blaser, Landwirt und Präsident des Vereins Berner Märit, muss man sich nach der Herkunft der Lebensmittel erkundigen. Nirgends ist angeschrieben, wo die knackigen und appetitlich aussehenden Äpfel vom Baum gepflückt wurden und woher die Peperoni, Auberginen und der Eisbergsalat sind. Viele der Waren stammten vom Zürcher Engros-Markt, gibt Blaser zu. Um das Angebot attraktiv zu gestalten, sei er zum Zukauf von Bananen, Nektarinen oder Zitronen gezwungen. Doch warum schreibt er seine Waren nicht an? «Der Hinweis auf Eigenanbau wäre zwar eine gute Werbung», sagt Blaser, «aber dadurch würde ich alle fremden Waren abwerten.»
Auch viele Marktfahrer in Luzern kaufen Früchte und Gemüse hinzu. «Weniger als die Hälfte der Waren stammt aus Eigenproduktion», schätzt Kurt Würsch von der Gewerbe- und Gesundheitspolizei der Stadt Luzern. Der Stand mit dem viel versprechenden Namen «Buuregarte» von Edgar Boog macht da keine Ausnahme. Bloss etwa ein Drittel der zirka 300 Produkte, die der Landwirt aus Hünenberg ZG während des ganzen Jahres feilbietet, wächst auf dem eigenen Feld. «Den Rest kaufe ich ein, meist auf dem Engros-Markt in Zürich», sagt Boog.
Am gleichen Ort also, wo auch Coop und Migros viele ihrer Früchte und Gemüse beziehen. Auf dem Bauernmarkt zahlen die Kundinnen und Kunden für identische Ware aber teilweise mehr als doppelt so viel wie bei den Grossverteilern. Auf dem Berner Märit kosten importierte Trauben rund Fr. 5.80, vergleichbare Trauben im Coop Fr. 3.50, in der Migros Fr. 2.50 (siehe Tabelle).
Wie erklären die Marktfahrer diese grosse Preisdifferenz? Märit-Präsident Fritz Blaser: «Die höheren Preise rechtfertigen sich durch die höheren Lohnkosten und den deutlich geringeren Warenumsatz.» Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) stört sich nicht an den hohen Preisen der Marktfahrer. Aber: «Wichtig ist, dass die Waren korrekt deklariert sind und die Konsumenten Preise, Mengen und Herkunft vergleichen können», sagt Geschäftsführerin Jacqueline Bachmann.
Der St. Galler Markt schlägt die Grossverteiler im Preis
Viele Marktfahrer halten sich aber nicht daran. Sie kennzeichnen ihre Ware nicht vorschriftsgemäss. Für die Konsumenten ist es deshalb schwierig, zu vergleichen (siehe Kasten S. 35). Es bleibt ihnen oftmals nichts anderes übrig als nachzufragen.
Das ist auf dem traditionellen Bauernmarkt in St. Gallen nicht notwendig. Einmal in der Woche bieten 15 bis 20 Marktfahrer aus dem Umland an der Ecke Neugasse/Marktgasse Backwaren, Obst, Gemüse, Käse, Eier und Setzlinge feil. Exotische Früchte und Importprodukte sucht man hier vergeblich. Alle Waren stammen aus regionaler Produktion, wie dies die Marktordnung vorschreibt. Das Sortiment wartet dennoch mit einigen Überraschungen auf.
Der grosse Renner an diesem Tag sind Pfirsiche aus dem kleinen Weiler Ruggisberg im Kanton Thurgau. Die knackigen Früchte sind zwar nicht so süss wie die italienischen nebenan im Coop, doch der Preis stimmt. Mit Fr. 2.50 pro Kilo unterbietet der Verkäufer den Aktionspreis des Grossverteilers um einen Franken (siehe Kasten S. 36).
Die Herkunft muss deklariert sein
Laut der Lebensmittelverordnung müssen die Verkäufer vermerken, aus welchem Produktionsland ihre Waren stammen.
Falls diese Angabe nicht gemacht werden kann, muss zumindest der geografische Raum angegeben werden.
Die Lebensmittelinspektoren der Kantone kontrollieren die Marktfahrer zwei- bis dreimal im Jahr. Sie überprüfen nebst den Deklarationen auch die Lagerung von Lebensmitteln und die Hygiene. Hält ein Marktfahrer die Deklarationsvorschriften wiederholt nicht ein, wird er verwarnt oder gar verzeigt.
Wenn die Ehefrau gratis arbeitet ...
Auf dem Markt in St. Gallen sind die Waren günstig und aus der Region.
Die Preise auf dem Bauernmarkt in St. Gallen überraschen. Früchte und Gemüse aus dem Eigenanbau sind durchwegs günstiger als vergleichbare Lebensmittel aus Schweizer Produktionen bei Coop und Migros. Für Tomaten bezahlte man da Anfang August Fr. 2.50, im Coop Fr. 3.60 und in der Migros Fr. 3.70. Eine Schale Heidelbeeren (250 g) kostete Fr. 4.50, bei Coop einen Franken und in der Migros immerhin 80 Rappen mehr.
Wieso sind die Produkte aus dem Eigenanbau so konkurrenzlos günstig? Die tiefen Preise erklären sich einerseits durch das Wegfallen des Zwischenhandels. Anderseits wird nur regional angebautes Saison-Gemüse angeboten. Transportkosten fallen also ebenfalls weg. Zudem: Viele bäuerliche Betriebe sind Familienbetriebe, in denen zumindest die Ehefrau arbeitet, ohne einen Lohn zu erhalten.