Fairer Handel - Die dunkle Seite der Schokolade
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saldo 3/2002
13.02.2002
Die Schweizer essen pro Kopf und Jahr 12 Kilo Schokolade. Die meisten Kakao- und Zuckerlieferanten leiden aber Hunger. Wer dem entgegenwirken will, sollte Bio- und Havelaar-Produkte bevorzugen.
Der elfjährige Hugo hat Glück. Er geht mit vollem Bauch ins Bett. In Bolivien, einem der ärmsten Länder Lateinamerikas, ist das nicht selbstverständlich - und schon gar nicht, dass sein Bruder Juan-Carlos in der Stadt das Lehrerseminar besucht.
Hugo und Juan-Carlos sind...
Die Schweizer essen pro Kopf und Jahr 12 Kilo Schokolade. Die meisten Kakao- und Zuckerlieferanten leiden aber Hunger. Wer dem entgegenwirken will, sollte Bio- und Havelaar-Produkte bevorzugen.
Der elfjährige Hugo hat Glück. Er geht mit vollem Bauch ins Bett. In Bolivien, einem der ärmsten Länder Lateinamerikas, ist das nicht selbstverständlich - und schon gar nicht, dass sein Bruder Juan-Carlos in der Stadt das Lehrerseminar besucht.
Hugo und Juan-Carlos sind die Söhne von Alejandro Acarapi, einem Kakaobauern in Boliviens Tiefland. Acarapi ist Mitglied der Genossenschaft El Ceibo. «Zum Glück produzieren wir für den fairen Handel. Dank fixer Preise und Abnahmegarantie sind wir nicht vom Verfall der Kakaopreise betroffen», sagt der Campesino und fügt hinzu: «Lieber kauft ihr von unseren Produkten, als dass wir auf Almosen von den reichen Ländern angewiesen sind.»
Schokolade aus fairem Handel seit über zehn Jahren
Die Produzenten von El Ceibo sind Pioniere. Zusammen mit philippinischen Zuckerpflanzern haben sie 1991 Rohstoffe für die erste Fairtrade-Schokolade der Welt geliefert. Die Mischung aus Kakaobutter, Zucker und Milch versprach erstmals Genuss, ohne das hässliche Antlitz ausgehungerter Kakao- und Zuckerproduzenten vor Augen haben zu müssen. Damals fiel es jedoch nicht nur der bolivianischen Genossenschaft schwer, die helvetischen Qualitätsnormen einzuhalten. Auch Chocolat Bernrain in Kreuzlingen TG, Schweizer Produzentin des Fairtrade-Produkts, kämpfte mit Anfangsschwierigkeiten. Firmensprecher Jost Rüegg erinnert sich: «Es war einiges Experimentieren nötig, damit die ungleichmässige Kakaobutter und der braune Zucker nicht die Walz- und Rührwerke verstopften.»
Heute läuft die Produktion für den Fairtrade-Anbieter Claro jedoch wie geschmiert - obschon die Rohstoffe der Kleinbauern weiterhin drei- bis sechsmal länger durchgeknetet werden als üblich. Bis zu 78 Stunden rotiert die so genannte Mascao-Schokolade, damit sich die erdigen Aromen des Kakaos befreien und der Schokolade ihren Schmelz verleihen können.
Was Jost Rüegg besonders freut: Hinter der Mascao-Schokolade steht ein internationales Bündnis des Öko-Landbaus - das Produkt enthält Schweizer Bio-Milch, und in den Kakaogärten von El Ceibo sind Spritzmittel absolut tabu. Deshalb prangt auf der Mascao neben dem Havelaar-Label auch die Bio-Knospe.
Elfenbeinküste hält noch Tausende von Kindersklaven
Szenenwechsel nach Westafrika. Ghana, woher die meisten Kakaobohnen für die Schweizer Verarbeitung stammen, rüstet zur Anbau- und Exportoffensive: Die Regierung liefert dazu gratis Pestizide und Fungizide.
Schlimmer noch ist aber das barbarische System von Kindersklaverei in den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste, dem weltgrössten Erzeugerland für Kakao. Die Unicef schätzt, dass sich dort etwa 15 000 versklavte Kinder abrackern. Schlepper locken sie mit falschen Versprechen aus Mali ins Nachbarland und verkaufen sie dort für 350 Dollar an Bauern. Die traurige Praxis zeigt die Kehrseite des freien Welthandels: Solange der Staat die Ernte aufkaufte, arbeiteten bezahlte Hilfskräfte auf den Plantagen. Und der Kurssturz an der Londoner Kakaobörse im Jahr 1997 brachte die Produzenten erst recht in existenzielle Bedrängnis.
Schweiz will bis 2005 ganz auf Fairtrade umstellen
Als Dokumentarfilmer letztes Jahr die dunkle Seite der Schokolade aufdeckten, gerieten die Süsswaren-Multis unter Druck. Mit Selbstverpflichtungserklärungen wollen nun der USamerikanische wie auch der britische Schokoladeproduzentenverband Schaden abwenden. Auch der Schweizer Verband Chocosuisse hat angekündigt, aktiv gegen Kindersklavenarbeit vorzugehen.
Nur: Bis ein Kontrollsystem installiert ist, dauert es relativ lange. Verbandssprecher Franz Urs Schmid hofft, dass die Schweizer Hersteller bis 2005 garantieren können, keine derartige Schokolade mehr zu verkaufen.
Denn Fairtrade-Produkte zeigen schon heute: Statt mit seinen elf Jahren Sklavenarbeit auf Plantagen zu verrichten, kann Hugo Acarapi zur Schule gehen.
Delf Bucher
Schokolade - Nur wenige Fairtrade-Angebote
Fairtrade-Schokolade hat es schwer auf dem Schweizer Markt. In den langen Gestellen voll von Tafeln, Stängeln und Pralinés findet man das Havelaar-Label praktisch nicht. Coop führt gerade mal zwei solche Produkte und Migros eines. Nach Angaben von Havelaar liegt der Marktanteil bei nur 1,3 Prozent. Migros-Sprecherin Susan Hoby führt das schmale Angebot auf mangelnde Nachfrage zurück: «Der Umsatz bei Havelaar-Schokolade ist rückläufig.» Migros wolle trotzdem noch zwei Bio-Havelaar-Produkte lancieren. Ins gleiche Horn bläst Coop-Sprecher Karl Weisskopf: «Da entscheidet auch der Konsument mit.»
Aber auch die grossen Schweizer Traditionsmarken verwenden keine Label-Rohstoffe, die sicherstellen würden, dass der Kakao weder von Kindersklaven noch von verarmten Kleinbauern geerntet wird. Sylvia Kälin von Lindt-Sprüngli: «Ein Havelaar-Produkt wäre nicht mit der von den Kunden erwarteten Qualitätsphilosophie unseres Hauses vereinbar.»
Doch der Anbieter Claro tischt heute bereits ein breit gefächertes Fairtrade-Angebot auf. Die Mascao-Schokolade gibt es in den Varianten Milch, Praliné, Nuss, Mandel, Cappuccino, Noir und Rum. Eine 100-Gramm-Tafel kostet Fr. 2.80, einen Franken mehr als eine konventionelle Markentafel.
Auch der Trend zu Stängeln wurde aufgenommen. Claro bietet ein Brancheli mit Haselnussfüllung an, und bei Chocolat Bernrain rollen bald dunkle Schoggistängel mit Mandelfüllung vom Band.