Ferdinand W. Uehli ist Chef der Lebensmittelkontrolle der Stadt Zürich. Er hat keinen einfachen Job: «Alles ist schmierig und klebrig. Mich ekelt es, das überhaupt anzufassen.» In der Hand hält Uehli einen mit Sauce besudelten Gewürzstreuer.
Der Lebensmittelinspektor befindet sich auf Kontrolltour in einer Take-away-Bude. Die winzige Küche starrt vor Schmutz: Mit den Füssen bleibt der Kontrolleur bei jedem Schritt am Boden kleben. Die Abzugshauben sind beinahe dunkelbraun vor Ölablagerungen und Dreck. Das Geschirrabtropfsieb ist voller Kalkrückstände und weist Schimmel auf.
Dazu kommt: Alles ist verstellt, überall liegen Gerümpel und Essensreste. In einer Nische lagern halb verrottete Sommerschlarpen. Unter der Kaffeemaschine finden sich ein Kugelschreiber und ein vertrocknetes Stück Brot. Im Vorratsschrank tauchen zwischen Kartoffeln ein abgetragener Pullover und eine Laptop-Hülle auf. In einer Ecke steht eine Pfanne mit den Überbleibseln eines unappetitlichen Heringgerichtes.
Es ist Mittagszeit. Nur wenige Gäste finden den Weg in die Baracke und bestellen einen Kaffee, ein Schnitzel oder eine Bratwurst. «Es läuft schlecht», bestätigt der Wirt. Er führt das auf den Standort zurück. Dass schon der Anblick seiner Take-away-Bude nicht gerade hungrig macht, kommt ihm nicht in den Sinn. «Ich finde es gar nicht so schlimm», entgegnet er auf die Kritik des Lebensmittelinspektors.
«Ich kann eigentlich den Bericht vom letzten Mal kopieren»
Uehli aber hat die Nase gestrichen voll. Seit der letzten Kontrolle im Sommer hat sich nichts geändert. «Ich kann eigentlich den Bericht vom letzten Mal kopieren», schimpft er. Auf der Gefahrenstufenskala erreicht der Betrieb 11 von maximal 16 Punkten. Das heisst: Die Lebensmittelsicherheit ist «in Frage gestellt» und die Gesamtgefahr «erheblich».
Uehli kündigt dem Wirt eine kostenpflichtige Nachkontrolle in einer Woche an. Glänzt die Küche bis dann nicht blitzblank, droht er mit der Schliessung.
Die Stadtzürcher Lebensmittelkontrolle ist für die Inspektionen auf Stadtgebiet und in sechs weiteren Gemeinden zuständig. Zürich sei kein einfaches Pflaster für Lebensmittelkontrollen, sagt Uehli. Die Gründe: Es gebe häufig Wirtewechsel und viele Betriebsverantwortliche würden kaum ein Wort Deutsch sprechen. «Und manchmal reagieren die Kontrollierten aggressiv.» Im vergangenen Jahr führten Uehli und seine Mitarbeiter auf Stadtgebiet in 4447 Betrieben insgesamt 4719 Kontrollen durch.
Wirklich miserable Betriebe sind offenbar eher selten: Im letzten Jahr stellte das zehnköpfige Team bei 87 Prozent der Kontrollen keine oder kaum eine Gefahr fest.
Bei mehr als jeder zehnten Kontrolle erhebliche Mängel
Bei 12 Prozent der Kontrollen stufte es die Gesundheitsgefahr aber als «erheblich» ein, bei jeder hundertsten Kontrolle als «gross». Sieben Betriebe musste es schliessen, weil sie eine Gefahr für die Konsumenten darstellten.
Kann der Gast eines Restaurants bei einer optisch ansprechenden Gaststube und sauberen Toiletten auf hygienisch einwandfreie Zustände in der Küche schliessen? «Nein, das ist ein Märchen, das sich hartnäckig in der Bevölkerung hält», sagt Uehli. Er hat schon oft Lokale angetroffen, bei denen die Küchenhygiene ganz und gar nicht mit dem edlen Ambiente in der Gaststube und den hohen Preisen auf der Karte mithalten konnte – und umgekehrt.
Nächste Station auf der Kontrolltour Uehlis ist eine Bäckerei mit Verkaufsladen und Café in einer Zürcher Agglomerationsgemeinde. Nach einer kurzen Begrüssung steuert er sofort in die Backstube, um den Bäckern keine Gelegenheit zu geben, etwas zu vertuschen. Der Bäcker und ein Angestellter sind dabei, Zimtsterne auszustechen und Cremeschnitten zu produzieren. Sie lassen sich bei der Arbeit kaum stören und geben bereitwillig Auskunft.
Uehli zieht jede Schublade auf, wirft einen Blick in Teigknetmaschinen und Backöfen. Mit der Taschenlampe zündet er auch in die hinterste dunkle Ecke und unter die Arbeitsflächen. An mehreren Orten entdeckt er Spinnweben, die in die Backwaren geraten könnten. Auch einen schmutzigen Löffel und unansehnliche Spritzsäcke bemängelt er.
Die Temperaturen in den Lager- und Kühlräumen sind in Ordnung, aber er findet darin einige Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Sie liegen noch in der Toleranz. Auch die Sauberkeit des mit Bröseln und Kernen übersäten Bodens im Tiefkühlraum ist für ihn noch akzeptabel.
Im angeschlossenen Café und Verkaufsladen müssen die verfärbten und arg zerkratzten Schneidebretter sofort entsorgt werden. In den Scharten könnten sich Keime einnisten. Die abgelaufene Cocktail-Sauce und die seit dem Sommer geöffnete Satay-Sauce wandern ebenfalls direkt in den Abfall. Ein hygienisches Problem stellen die Schmutzablagerungen im Geschirrspüler sowie die Grittibänzkrümel in einem Geschirrschrank dar.
Auch das Wissen der Mitarbeiter wird überprüft
Am gravierendsten ist für Uehli der Umstand, dass das Verkaufspersonal seiner Auskunftspflicht über allergieauslösende Stoffe in den Backwaren nicht genügend nachkommen kann. Auf die Frage etwa, welche E-Nummern in der Vanillecreme enthalten sind, weiss die Chefin keine befriedigende Antwort. «Wenn ein Kunde das wissen möchte, müssten wir in der Produktion nachfragen», erklärt sie. Die Backstube ist allerdings am Nachmittag nicht besetzt. Uehli trägt der Chefin auf, alle Zusatzstoffe in den Backwaren sorgfältig zu dokumentieren, und gibt ihr bis Ende Februar Zeit dafür.
Zum Schluss vergewissert sich Uehli anhand der Speise- und Getränkekarte, dass die Deklarationspflicht und der «Sirupartikel» – ein nichtalkoholisches Getränk muss am günstigsten sein – erfüllt sind. Der Lebensmittelinspektor ist gut ausgerüstet. Auf seinem Laptop tippt er vor Ort die beiden Berichte ein und druckt sie auf dem mobilen Drucker aus. Die Bäckerei erreicht auf der Gefahrenstufenskala 6 Punkte (keine Gefahr), der Verkaufsladen mit Café 7 Punkte (kleine Gefahr). «Das sind gute Betriebe», urteilt Ferdinand W. Uehli.
Lebensmittelkontrolle: Von der Kinderkrippe bis zum Restaurant
Die Lebensmittelkontrolle überprüft in der Schweiz rund 100 000 Betriebe. Im letzten Jahr wurden 48 000 Unternehmen inspiziert. Der Kontrolle unterstehen nicht nur Restaurants und Take-aways, sondern auch Lebensmittelläden, Getränkelager, Kinderkrippen, Kioske sowie Bäckereien, Metzgereien und Lebensmittelfabriken.
Für die Inspektionen der Betriebe sind die Kantone zuständig. Unter der Leitung der Kantonschemiker führen die zuständigen Ämter Betriebsinspektionen und Laboruntersuchungen durch. Sie wachen über die Einhaltung der Hygienevorschriften und die Lebensmittelsicherheit.
Einen Spezialfall stellt der Kanton Zürich dar: Hier führen der Kanton sowie die Städte Zürich und Winterthur Kontrollen durch. Die Landgemeinden entscheiden selbst, wem sie die Inspektionen übertragen.
Das Vorgehen und die Kriterien zur Risikoermittlung sind gesamtschweizerisch dieselben. Jeder Betrieb wird – abhängig vom Risiko – regelmässig unangemeldet kontrolliert. Lokale, bei denen es viel zu beanstanden gibt, werden öfter besucht.
Bei mangelhafter Hygiene müssen die Betriebe mit kostenpflichtigen Nachkontrollen, schriftlichen Verwarnungen und Strafanzeigen rechnen. Bei groben Verstössen gegen das Lebensmittelgesetz drohen Bussen bis zu mehreren Tausend Franken oder gar die Lokalschliessung.