Gift in den eigenen vier Wänden
Kopfschmerzen, Husten, brennende Augen. Die Ursache können giftige Substanzen in der Wohnung sein. Doch Mieter haben oft Mühe, ihr Recht auf gesunde Luft durchzusetzen.
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Gesundheitstipp 3/2005
16.03.2005
Sonja Marti - smarti@pulstipp.ch
Das Wohnzimmer ist meistens tabu. Nur wenn Besuch da ist, bleibt Josy Caduff länger im Raum. Doch immer wieder springt sie vom Sessel hoch und reisst die Balkontüre auf, um zu lüften. Grund: Der Laminatboden verursacht bei Josy Caduff starke allergische Reaktionen - Herzrasen, tränende Augen, Kopfschmerzen und Übelkeit. «Ich habe das Gefühl, einen Herzinfarkt zu bekommen.»
Die Probleme begannen vor drei Jahren - mit dem Einbau des Bodenbelags. Klaus Tereh, Allgemeinmedizin...
Das Wohnzimmer ist meistens tabu. Nur wenn Besuch da ist, bleibt Josy Caduff länger im Raum. Doch immer wieder springt sie vom Sessel hoch und reisst die Balkontüre auf, um zu lüften. Grund: Der Laminatboden verursacht bei Josy Caduff starke allergische Reaktionen - Herzrasen, tränende Augen, Kopfschmerzen und Übelkeit. «Ich habe das Gefühl, einen Herzinfarkt zu bekommen.»
Die Probleme begannen vor drei Jahren - mit dem Einbau des Bodenbelags. Klaus Tereh, Allgemeinmediziner aus Bern und Arzt von Josy Caduff, bestätigt, dass seine Patientin an einer «starken Unverträglichkeit» leidet. Für ihn ist klar: «Der Laminatboden muss aus medizinischen Gründen dringend aus der Wohnung.»
Doch der Vermieter weigert sich, das Laminat zu entfernen. So schrieb die Liegenschaftenverwaltung am 15. Februar 2005: Falls die Mieterin wünsche, das Laminat durch ein anderes Produkt zu ersetzen, «ist eine finanzielle Beteiligung der Mieterin zwingend». Bloss: Caduff hat das Geld dafür nicht. Zudem behauptet der Vermieter in einem Brief vom 3. Dezember 2001: «Es wurden bisher noch nie neue Laminatböden beanstandet oder in Frage gestellt.»
«Es gibt immer wieder Probleme mit Laminatböden»
Dem widerspricht Markus Niederer von der Fachstelle Raumluft des baselstädtischen Kantonslabors: «Es gibt immer wieder Probleme mit Laminatböden.» Oft sei es aber schwierig festzustellen, auf welchen Stoff die Betroffenen reagieren. Unter anderem können im Laminat flüchtige organische Verbindungen enthalten sein. Ein Schnelltest in Caduffs Wohnzimmer ergab erhöhte Formaldehydwerte in der Luft.
«Mieter haben das Recht auf eine giftfreie Wohnung», sagt Ruedi Spöndlin, Rechtsberater beim Schweizerischen Mieterverband. Eine Wohnung, in der giftige Stoffe sind, habe einen Mangel, den der Vermieter beheben muss. Tut er dies nicht, kann sich der Mieter wehren: Etwa, indem er eine Mietzinsreduktion verlangt oder den Zins bei einer amtlichen Stelle hinterlegt, bis der Mangel behoben ist.
Und selbst wenn nur vereinzelt jemand - so wie Josy Caduff - empfindlich auf bestimmte Baustoffe reagiert: Spöndlin ist «entschieden der Ansicht, dass auch hier ein Mangel im mietrechtlichen Sinn vorliegt». Juristisch ist die Sache allerdings nicht so klar. Der Mieter muss den Mangel erst nachweisen und damit vor Gericht durchkommen. Für Spöndlin «eine völlig unbefriedigende Situation».
Oft resignieren die Mieter deshalb und ziehen aus. Denn der Kampf um eine giftfreie Wohnung kostet Nerven. Zum Beispiel Familie Reinhardt aus Horgen ZH: «In unserer alten Wohnung hatte es Schimmelpilz. Er überzog die Wand im Schlafzimmer und hat einen Schrank und den Teppich befallen», erzählt Manuela Reinhardt.
Die Asthmatikerin bekam massive Atemprobleme. Doch der Vermieter wollte nur die Wand reinigen und überpinseln. «Das hätte nicht viel genützt», ist Reinhardt überzeugt. Immerhin: Die Familie musste die Kündigungsfrist nicht einhalten und konnte rasch ausziehen.
Wohngifte wie Schimmelpilze, Formaldehyd und Asbest gefährden die Gesundheit. Sie führen zu Kopfschmerzen, Allergien und sogar zu Krebs. Ärzte sprechen vom so genannten Sick-Building-Syndrom (SBS). Typisch dafür: Die Beschwerden verschwinden oder bessern zumindest, sobald man den Raum oder das Gebäude verlässt.
Allergien und Asthma durch Schimmelpilzsporen
Das Hauptproblem sei heute Schimmelpilz, so Ruedi Spöndlin vom Schweizer Mieterverband: «Die gesundheitlichen Folgen darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.» Die Pilzsporen verursachen Allergien und Asthma. Einige Schimmelarten sind gar Krebs fördernd. Doch oft wollen die Vermieter die Verantwortung nicht übernehmen. Sie schieben dem Mieter die Schuld in die Schuhe und behaupten, er habe zu wenig gelüftet. «Dieser Vorwurf ist aber in den wenigsten Fällen gerechtfertigt», sagt Spöndlin.
Zunehmend zur Gefahr wird Asbest - obwohl seit 1990 in der Schweiz verboten. Markus Niederer: «Asbesthaltige Baustoffe, die man vor Jahren verwendet hat, beginnen nun zu bröckeln.» So gelangen die Asbestfasern in die Luft - und man atmet sie ein. Das verursacht schwere Lungenschäden und Lungenkrebs. Asbest findet sich vor allem in Wandverkleidungen und Bodenbelägen aus den 50er- bis 80er-Jahren (siehe Tabelle S. 15).
Auch der seit 1972 verbotene Weichmacher PCB ist für Menschen langfristig schädlich. Den krebserregenden Stoff verwendete man unter anderem in Fugendichtungen. Eine Pulstipp-Stichprobe zeigte: In 6 von 10 Schulhäusern hatte es PCB. Deutsche Fachleute beurteilten das Resultat als «alarmierend» (Pulstipp 10/2000). Die Sanierung von PCB dürfen nur Fachleute mit entsprechenden Schutzmassnahmen ausführen - genauso wie bei Asbest.
Formaldehyd und Lösungsmittel kommen vor allem in Farben, Lacken und Klebstoffen vor. Sie reizen die Schleimhäute und können Kopfschmerzen verursachen. So auch kürzlich bei den Mietern einer Wohnung der Zürcher Baugenossenschaft Schönheim. Die Genossenschaft hatte die Wohnung nach Auszug des Vormieters frisch streichen lassen. Wegen des Nikotins an den Wänden war ein spezieller Isolieranstrich nötig, der Lösungsmittel enthielt.
Beat Amrein von der Baugenossenschaft: «Das Paar beklagte sich über den starken Geruch und litt unter Kopfweh und Unwohlsein.» Häufiges Lüften habe nicht geholfen. Die Genossenschaft nahm sich der Sache an, obwohl die Messung keine bedenklichen Werte ergab. Die Mieter erhielten ein Aktivkohlefiltergerät und Industrieheizöfen, die das Verdampfen der Lösemittel beschleunigten. Das half.
Belastung in Innenräumen - neues Gesetz ist nötig
Allzu oft sind Mieter bei Wohngiftproblemen noch auf den Goodwill des Vermieters angewiesen. Denn es gibt in der Schweiz kein umfassendes Gesetz, das die Schadstoffbelastung in Innenräumen regelt. Einen entsprechenden Entwurf lehnte das Parlament vor fünf Jahren ab.
Für den Experten Markus Niederer vom kantonalen Laboratorium Basel wäre ein solches Gesetz dringend nötig. Darin sollten zum Beispiel klare Grenzwerte für Schadstoffe in der Raumluft festgelegt sein. Niederer: «Heute gibt es nicht einmal Grenzwerte für die Asbestbelastung in Privaträumen.»
Markus Dietschi von der Fachstelle Luftreinhaltung der Stadt Zürich geht noch weiter: «Man müsste Stoffe und Produkte schneller aus dem Verkehr ziehen, wenn man sieht, dass sie die Gesundheit gefährden.» So zum Beispiel Parkettversiegelungen, die Formaldehyd enthalten.
Gift in der Wohnung: Das können Sie tun
- Lüften Sie drei- bis fünfmal am Tag wenige Minuten und mit Durchzug. Das gilt vor allem, wenn Sie in eine neue oder renovierte Wohnung eingezogen sind.
- Stellen Sie bei der Wohnungsübernahme Schimmel oder ungewöhnliche Gerüche fest: Auf der Mängelliste vermerken.
- Rauchen Sie nicht in der Wohnung. Zigarettenrauch enthält Formaldehyd.
- Kontrollieren Sie die Luftfeuchtigkeit mit einem Hygrometer. Sie sollte höchstens 65 Prozent betragen. Sonst bilden sich Schimmelpilze.
- Verwenden Sie keine Duftsprays und -lampen. Sie vertreiben keine Schadstoffe.
- Verzichten Sie auf ionisierende Luftreiniger. Bei diesen Geräten kann sich das gesundheitsschädigende Reizgas Ozon bilden.
- Für Stoffe wie Formaldehyd und Lösemittel gibt es Tests (Kosten: 50 bis 300 Franken). Sie geben einen Hinweis auf das mögliche Problem. Erhältlich unter www. raumlufthygiene.ch/draeger.html.
Nützen Ihre Massnahmen nichts:
- Wenden Sie sich an eine kantonale oder städtische Fachstelle für Raumluftprobleme. Abklärungen sind zum Teil kostenlos.
- Das Bundesamt für Gesundheit erteilt in Ausnahmefällen Fachauskünfte: BAG, Abt. Chemikalien, Tel. 031 322 96 40, BAG-CHEM@bag.admin.ch.
- Broschüre «Mängel an der Mietsache» mit Infos und Musterbriefen: Schweiz. Mieterverband, Tel. 043 243 40 40, info@mieter verband.ch, für Fr. 8.- plus Porto.
Haben Sie Probleme mit Giftstoffen in der Wohnung? Wie hat Ihr Vermieter reagiert? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen:
Redaktion Pulstipp, «Wohngifte», Postfach 277, 8024 Zürich
redaktion@pulstipp.ch
«Mieter haben ein Recht auf eine giftfreie Wohnung»
Ruedi Spöndlin vom Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband