Peter Schwarzenbach aus Wald ZH ist ein Insider. Während Jahrzehnten arbeitete er als Betriebspsychologe unter anderem für die Swissair, die SBB und den Zürcher Verkehrsverbund. Eines versteht er bis heute nicht: «Warum fahren im Fernverkehr zwei Kondukteure mit, im Regionalverkehr aber keiner?»
Den Entscheid fällten die SBB vor rund zwanzig Jahren. Er entsprang keiner Logik. Denn im Regionalverkehr und im Fernverkehr sind die gleichen Passagiere unterwegs. Und die Strecken unterscheiden sich auch nicht gross: Von Bern nach Zürich braucht der Intercity 56 Minuten, die S-Bahn von Winterthur nach Rapperswil SG 54 Minuten.
Der Entscheid für unbegleitete Regionalzüge war eine reine Sparmassnahme. Und sie wurde seither noch ausgedehnt. Inzwischen hat es auch auf Fernverkehrslinien wie Bern–Biel BE keine Kondukteure mehr.
«Sicherheit kostet mehr als begleitete Züge»
Peter Schwarzenbach bezweifelt, dass sich damit Geld sparen lässt. Und er zählt auf, in welcher Form die unbegleiteten Regionalzüge trotzdem Kosten verursachen:
Es brauche zwei- bis sechsköpfige Stichkontrollteams. Schwarzenbach: «Zwischen zwei Einsätzen verbringen sie viel Zeit mit Warten.»
Dann brauche es Sicherheitsleute der Firma Securitas – immer zumindest zu zweit.
Dazu kommen bewaffnete Bahnpolizisten.
Und natürlich viele Leute in der Verwaltung, welche die Bussen eintreiben.
Schwarzenbach: «Ich gehe davon aus, dass das alles mehr kostet als begleitete Züge.» Doch solange die SBB die Zahlen nicht nennen können oder wollen (siehe Kasten), kann er diese Vermutungen nicht untermauern.
Wichtiger als die finanziellen Auswirkungen ist für ihn die Stimmung, die geschaffen wird: «Die Stationen sind unbedient, die Züge unbegleitet. Diese Anonymität führt zu Gleichgültigkeit oder Aggression. Beides ist schlecht.»
«Ein Klima des Misstrauens»
Wenn doch einmal ein Kontakt von Mensch zu Mensch zustande komme, sei dieser häufig unerfreulich: «Entweder handelt es sich um einen Überraschungsangriff von Stichkontrolleuren oder dann um ein grösseres Problem mit Sicherheitsleuten. Positive Erlebnisse mit Bahnangestellten kann es so gar nicht geben. Die SBB schaffen ein Klima des Misstrauens.»
Schlecht zu sprechen ist Peter Schwarzenbach insbesondere auf die Firma Securitas: «Sie lässt die Sicherheitsleute mit ihren Kampfstiefeln, Pfeffersprays, Schlagstöcken und den Daumen im Gurt in Rambo-Manier durch die Züge stapfen. Manche Passagiere belächeln sie, andere werden aggressiv.»
Dabei würden über 95 Prozent der Passagiere keinerlei Probleme machen. «Sie haben ein Billett, und sie benehmen sich anständig. Der ganze Personalaufwand ist auf die restlichen 5 Prozent ausgerichtet. So entsteht eine ungastliche Atmosphäre.»
«Früher», erklärt Schwarzenbach, «gaben Kondukteure Auskünfte, halfen alten Leuten beim Ein- und Aussteigen, wiesen auf freie Plätze hin, kontrollierten und verkauften Billette, sorgten für Ordnung und Sicherheit. Heute verteilen die Stichkontrolleure, wenn sie mal auftauchen, einfach nur Bussen. Das Wohlbefinden bleibt auf der Strecke.»
Das ist nicht verwunderlich. Denn im Stellenbeschrieb für «Mitarbeiter/in Zugpersonal im Regionalverkehr» der SBB steht: «Im Vordergrund stehen die Einnahmensicherung und das Sicherheitsempfinden unserer Fahrgäste.»
Die hohen Bussen für Passagiere ohne Billett würde Schwarzenbach abschaffen. Denn sie seien auch für die Kondukteure eine Belastung: «Manchmal haben sie sogar Angst davor, Bussen auszusprechen.»
Übrigens: Die BLS beschreitet einen andern Weg. Seit anderthalb Jahren fahren die Regio-Express-Züge auf vier Linien wieder begleitet. Gegen eine Gebühr von zehn Franken verkaufen die Kondukteure sogar Billette.
Deshalb klingt der Stellenbeschrieb für Reisebegleiter der BLS auch freundlicher: «Sie mögen die Nähe zu Menschen. Sie begrüssen unsere Kunden, begleiten diese während der Fahrt, kontrollieren und verkaufen Fahrausweise, beantworten Fragen, informieren bei Störungen und verabschieden die Fahrgäste am Zielort.»
Für die SBB sind begleitete Regionalzüge unnötig
Der K-Tipp wollte von den SBB wissen, warum die Züge im Fernverkehr begleitet unterwegs seien, im Regionalverkehr jedoch unbegleitet. Die Antwort: In Regionalzügen seien vor allem Berufspendler unterwegs. Diese besässen in der Regel ein Abonnement. Daher seien Stichkontrollen ausreichend.
Wie viel diese Kontrollen, die Sicherheitsmassnahmen und das Inkasso heute kosten, wollen die SBB nicht bekannt geben. Und wie viel Kondukteure in Regionalzügen kosten würden, sei «nicht bezifferbar». Mit anderen Worten: Die SBB wissen selber nicht, ob das heutige System günstiger ist.
Klar ist, dass sich das Bussensystem überhaupt nicht bewährt. Nur ein Viertel der Gebüssten zahlt laut SBB «mehr oder weniger innerhalb der Frist». Wie viele gar nie zahlen, also auch nicht nach Mahnungen und Betreibungsandrohungen, wollen die SBB nicht sagen. Aber sie räumen ein, dass ihnen jedes Jahr «ein zweistelliger Millionenbetrag entgeht».