Rund 106 Kilo wog Dominique Aebischer vor zwei Jahren. Seither hat sie 22 Kilo abgespeckt. «Vor allem zum Znacht esse ich viel weniger als früher», sagt die 31-Jährige aus Grenchen SO. «Meist nur eine Suppe oder ein Joghurt.»
Nur gerade 1600 Kalorien nimmt sie pro Tag zu sich. Diesen Wert gibt ihr das Internetprogramm eBalance vor – und es ist deutlich weniger, als ihr Körper benötigt. Zwar geht sie oft mit Hunger ins Bett, aber sie hält sich stets ihr Ziel vor Augen: «Ich will runter auf 73 Kilo.» Das wäre das Normalgewicht bei ihrer Körpergrösse von 171 Zentimetern.
Der Körper aktiviert ein Schutzprogramm
Dominique Aebischer ist eine von unzähligen Schweizerinnen und Schweizern, die Kalorien zählen. Was viele nicht wissen: Damit kann man nicht nur abnehmen. Wer weniger isst, soll auch länger leben.
Dies stellen immer mehr Untersuchungen fest. So berichtet die Zeitschrift «Science» von einer Langzeitstudie mit Rhesusaffen: Die eine Hälfte der Tiere erhielt normale Portionen, die andere knapp einen Drittel weniger. Nach zwanzig Jahren war von der normal ernährten Gruppe nur noch die Hälfte am Leben. Von den Affen mit einer kalorienreduzierten Diät lebten dagegen noch vier Fünftel.
Zahlreiche Studien mit anderen Tierarten bestätigen das Ergebnis. Eine kalorienreduzierte Diät verlängert nicht nur das Leben der Tiere um bis zu 50 Prozent, sie scheint auch vor Alterserscheinungen wie Herzkrankheiten, Krebs, Diabetes und Alzheimer zu schützen.
Andreas Pfeiffer, Professor für Ernährungsmedizin an der Berliner Charité-Klinik, sieht darin ein altes Prinzip der Evolution: «Um einen Mangel zu überleben, aktiviert der Körper ein Schutzprogramm.» Dadurch ändere sich der Energie-Stoffwechsel in den Zellen – «und Alterungsprozesse laufen offenbar langsamer ab».
Weniger Kalorien, weniger Altersbeschwerden
Wie stark dieser Mechanismus auch beim Menschen spielt, darüber streiten sich die Forscher. Doch es gibt erste Hinweise, dass weniger essen Altersbeschwerden hinauszögern kann. Sie stammen von einer Gruppe in den USA, die sich «Calorie Restriction Society» nennt: Die Mitglieder essen wenig – und sind offensichtlich gesund.
Wissenschaftler haben einige von ihnen untersucht und stellten fest: Die Testpersonen hatten bessere Cholesterinwerte, tieferen Blutzucker und einen viel niedrigeren Bludruck als Gleichaltrige, die sich normal ernährten.
Knapp 3000 Mitglieder hat die «Calorie Restriction Society». Vom Buch «The CR Way» seien sogar schon hunderttausend Exemplare verkauft worden, sagt dessen Co-Autor Paul McGlothin. Der hagere McGlothin ist ein typischer Vertreter der Bewegung. Er und seine Frau essen nur zwei Mahlzeiten pro Tag: Ein grosses Frühstück, ein kleines Mittagessen – «und am Abend machen wir einen Spaziergang».
Beim Kochen ist das Paar kreativ, sie hätten sich «von den Fesseln der westlichen Standard-Ernährung befreit», schwärmt Paul McGlothin gegenüber dem Gesundheitstipp: «Heute machte ich eine Paste aus Kohl, Pilzen und Zwiebeln und mischte sie mit Gerstenkörnern – das schmeckte einfach wunderbar.» In ihrer Küche stehen nicht weniger als 84 verschiedene Gewürze.
Paul McGlothin kommt auf gut 1800 Kalorien pro Tag. Normal bei seiner Grösse und körperlichen Aktivität wären 2500. Sein Body-Mass-Index (BMI) beträgt nur gerade 19 – er liegt damit an der Grenze zum Untergewicht.
Aber Abnehmen ist nicht Ziel der Kalorienrestriktion, sondern nur ein Nebeneffekt. Leute mit einem BMI von unter 18,5 sollten ihre Kalorien nicht beschränken, betont Paul McGlothin, das wäre kontraproduktiv. «Denn zu tiefes Gewicht erhöht das Risiko für Knochenschwund und verkürzt somit das Leben.»
Der Computer hilft bei der Menüplanung
Die Mitglieder der Bewegung essen viel Gemüse. Um einen Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen zu vermeiden, müssen sie ihre Ernährung genau planen – die meisten benutzen dafür ein Computerprogramm.
Laut Ernährungsspezialist Andreas Pfeiffer bedeutet die kalorienreduzierte Lebensweise zwar nicht zwingend einen grossen Aufwand: «Es gibt viele Varianten. Man kann sich auch mit normaler Tiefkühlkost kalorienreduziert ernähren.»
Trotzdem sei dieser Lebensstil nicht für alle geeignet, so Pfeiffer: «Die meisten Leute haben dauernd Hunger. Es braucht schon einen starken Willen, dies auszuhalten.» Auch Schweizer Fachleute äussern sich eher skeptisch. Für den Arzt und Stoffwechsel-Spezialisten Ulrich Keller aus Basel ist eine kalorienreduzierte Ernährung zwar «theoretisch interessant».
Allerdings bezweifelt er, ob sich eine grössere Menge von Menschen auf längere Zeit dazu motivieren lasse. Die Psychologin Erika Toman vom Zentrum für Essstörungen in Zürich sagt: «Wem es sehr wichtig, ist, das Leben um ein paar Jahre zu verlängern, der soll eine Kalorienreduktion ruhig probieren.» Sie warnt aber davor, sich übermässig mit der eigenen Ernährung zu beschäftigen. Sonst bestehe die Gefahr, andere Dinge wie etwa Beziehungen zu vernachlässigen.