In der Schweiz ist jeder vierte Bewohner einer höheren Belastung durch das radioaktive Gas Radon ausgesetzt, als die Weltgesundheitsorganisation WHO als Richtwert empfiehlt. Das sagt Martin Röösli vom Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Laut dem Epidemiologen zeigen neuere Studien: Schon geringe Radon-Mengen unter der amtlichen Limite können schädlich sein.
Der Radongrenzwert für Wohnräume liegt in der Schweiz bei 1000 Bequerel pro Kubikmeter. Frühestens 2016 will das Bundesamt für Gesundheit die Limite auf 300 Bequerel pro Kubikmeter Luft senken. Die WHO empfiehlt 100 Bequerel.
Bisher galten nur die Bewohner des Tessins, der Jurakette und der Alpen als besonders gefährdet. Die in diesen Regionen gemessenen Radonwerte sind oft auffallend hoch – aus geologischen Gründen. Radongas entsteht in gewissen Gesteinen beim Zerfall von natürlichem Uran. Es dringt via Ritzen in Fundamente oder Keller und über Naturböden oder Gas- und Wasserleitungen in die Häuser ein.
Laut Berechnungen des Basler Instituts sind Einwohner des Kantons Glarus dem Gas am stärksten ausgesetzt: Die Luft in Innenräumen enthält dort im Durchschnitt 196 Bequerel Radon pro Kubikmeter. Im Jura sind es 191,3 Bequerel, in Uri 178. Am wenigsten Radon bekommen Menschen in Genf, Freiburg, Waadt und Thurgau ab. Zürcher, Basler und Berner sind einer mittleren Belastung ausgesetzt. Die Zahlen basieren auf 45 000 Messungen in Wohnungen von 1994 bis 2004. Die Forscher berücksichtigten, dass die Luft in oberen Etagen eher weniger Radon enthält als im Parterre.
Viele Mieter und Wohneigentümer wissen nicht, dass sie zu Hause ständig zu viel Radon einatmen. Nur in etwa 150 000 der 1,7 Millionen Schweizer Gebäude gab es entsprechende Messungen. Zurzeit führen Kantone in Schulen und Kindergärten Extra-Messungen durch, da Kinder und Jugendliche sehr empfindlich auf radioaktive Strahlung reagieren.
Radon kann tödlich sein. Über 300 Menschen jährlich sterben laut dem Bundesamt für Gesundheit an Lungenkrebs, der durch das Gas verursacht wurde. Betroffen waren vor allem Raucher. Laut Martin Röösli steigt ihr Erkrankungsrisiko bei grösserer Radonbelastung stärker als das von Nichtrauchern.
Energiesanierung kann Risiko erhöhen
In vielen älteren Gebäuden nimmt die Radongefahr nach einer Energiesanierung zu. Forscher der Tessiner Fachhochschule Supsi massen für eine bislang unveröffentlichte Studie das Radon in 163 Tessiner Häusern vor und nach einer Sanierung. Resultat: In Innenräumen stieg die Gasmenge nach der Sanierung um 25 Prozent. Wurden zusätzlich dichte Fenster eingebaut, nahm sie um 35 Prozent zu. Studienleiter Luca Pampuri: «Die Radonkonzentration erhöht sich, wenn die Luft in den Räumen weniger zirkuliert.»
Dabei lässt sich zu viel Radon in der Innenluft meist relativ leicht reduzieren. Oft genügt es, Risse und Fugen im Keller oder Fundament abzudichten. Kosten: maximal einige Tausend Franken. Eine Lüftungsanlage kostet hingegen schnell einmal einiges mehr.
Der Bund schätzt, dass bei tieferen Radon-Grenzwerten 50 000 bis 100 000 Häuser saniert werden müssen. Die Kosten dafür müssen die Hauseigentümer aufbringen. Die Kantone verlangten bisher bei Grenzwert-Überschreitungen nur selten eine Sanierung des Gebäudes. Fabian Putzing von der Lungenliga: «Hier besteht Handlungsbedarf.»
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Infos zum Radonrisiko gibts beim Bundesamt für Gesundheit unter www.ch-radon.ch. Eine Karte zeigt Messwerte
in allen Schweizer Gemeinden.