Umstrittene Krebstherapie: Radioaktive Stifte sollen Tumor bekämpfen
Immmer mehr Spitäler bieten gegen Prostatakrebs die sogenannte Brachytherapie an. Doch deren Nutzen ist nicht belegt.
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saldo 17/2011
23.10.2011
Letzte Aktualisierung:
25.10.2011
Christian Egg
Die Therapie sei «innovativ, erfolgversprechend und schonend», schreibt die Klinik Siloah in Gümligen bei Bern auf ihrer Website. Und das Berner Lindenhofspital bezeichnet die Behandlungsmethode im hauseigenen Fachblatt als «schonend und schnell». Die Rede ist von der Brachytherapie gegen Prostatakrebs. Dabei pflanzen die Ärzte dem Patienten unter Narkose kleine, radioaktive Stifte in die Prostata ein. Sie sollen den Krebs aus der Nähe bestrahlen. Auch m...
Die Therapie sei «innovativ, erfolgversprechend und schonend», schreibt die Klinik Siloah in Gümligen bei Bern auf ihrer Website. Und das Berner Lindenhofspital bezeichnet die Behandlungsmethode im hauseigenen Fachblatt als «schonend und schnell». Die Rede ist von der Brachytherapie gegen Prostatakrebs. Dabei pflanzen die Ärzte dem Patienten unter Narkose kleine, radioaktive Stifte in die Prostata ein. Sie sollen den Krebs aus der Nähe bestrahlen. Auch mehrere Universitätsspitäler bieten die Brachytherapie an.
Experten bemängeln die Aussagekraft vorliegender Studien
Doch der Nutzen der Therapie ist nicht belegt. Zwar vermeldeten einzelne Studien positive Resultate. Laut dem Winterthurer Krebsarzt Christian Marti sind diese aber kaum aussagekräftig: Die Ärzte hätten einfachere Fälle mit Brachytherapie behandelt als in den Vergleichsgruppen mit anderen Therapien. So sei es kein Wunder, dass die Brachytherapie besser abschneide. Marti: «Unter dem Strich hilft sie etwa wie das konventionelle Bestrahlen von aussen.»
Auch das renommierte deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen bemängelt, die Studien zur Brachytherapie seien ungenügend. Sein Fazit ist ernüchternd: Was das Überleben der Patienten angehe, gebe es «keinen Hinweis für einen Vorteil der Brachytherapie».
Das Lindenhofspital behauptet, der Nutzen der Brachytherapie sei «in zahlreichen Studien belegt». Auf Nachfrage von saldo muss es allerdings einräumen, dass es keine Studie gibt, welche die Brachytherapie nach dem Zufallsprinzip mit einer anderen Therapie vergleicht. Es gebe deshalb «keine Belege, dass eine der Therapien besser ist als eine andere». Die Klinik Siloah nahm zur Kritik keine Stellung.
Ab 70 Jahren ist Abwarten oft die beste Strategie
Bei Prostatakrebs bestrahlen Ärzte in der Regel den Tumor von aussen, oder sie entfernen in einer Operation die Prostata. Doch auch diese Therapien bringen keinen Vorteil, zumindest nicht für ältere Männer. Studien zeigen: Von zehn Krebspatienten, die im Zeitpunkt der Diagnose über 70 Jahre alt waren, leben zehn Jahre nach der Behandlung noch acht. Aber ohne Therapie überleben laut Krebsarzt Marti gleich viele Männer: «Auch wenn man den Krebs nur beobachtet und erst eingreift, wenn Beschwerden auftreten, sterben nicht mehr Patienten.»
Der Grund: Oft wächst der Krebs sehr langsam und bereitet keine Beschwerden. Deshalb sprechen für ältere Männer gute Gründe für das Abwarten (siehe Tabelle).
Nur bei Patienten unter 70 Jahren bietet die Prostata-Operation einen leichten Überlebensvorteil gegenüber dem Abwarten. «Doch zu einem hohen Preis», gibt Christian Marti zu bedenken. Ein Grossteil der Männer wird durch die Operation impotent. Einige können zudem den Urin nicht mehr zurückhalten. Marti: «Bei diesen Männern hat man zwar den Krebs entfernt, sie sind aber verstümmelt.» Auch das Bestrahlen führt oft zu Impotenz.
Trotzdem stimmen viele betroffene Männer einem Eingriff zu – vor allem aus psychischen Gründen, so Marti. Es sei nicht einfach, das Wissen auszuhalten, dass man einen Krebs in sich trage: «Nach der Diagnose ‹bösartiger Tumor› sagt man zu fast allem Ja und möchte das Problem rasch aus der Welt schaffen.» Auch viele Fachärzte raten zu einer schnellen Behandlung, weiss Marti aus Erfahrung.
Patienten sollten die Therapiewahl in Ruhe überdenken
Dabei sollte ein Arzt im Moment der Diagnose vor allem eines tun, sagt Marti: den Patienten auffordern, sich mit dem Entscheid Zeit zu lassen. Denn Prostatakrebs sei nicht aggressiv. «Auf ein paar Wochen mehr oder weniger kommt es nicht an.» Als 65-Jähriger weiss Christian Marti: Auch bei ihm selber könnte eines Tages ein Prostatakrebs wachsen. Doch sein Entscheid ist klar: Solange er keine Beschwerden hat, will er das Risiko einer Operation oder Bestrahlung nicht eingehen. «Deshalb lasse ich mich schon gar nicht auf Prostatakrebs untersuchen. So mache ich mir keine unnötigen Sorgen.»