«Die Sonne unbeschwert geniessen» und dabei auch noch «eine gesunde Bräune» erhalten – so wirbt Nivea für Sonnencreme. Auch bei Daylong von Spirig wird «gesunde Haut» und «wirksamer Schutz» vor schädigenden UV-Strahlen versprochen.
Über 90 Millionen Franken geben Schweizerinnen und Schweizer jährlich für Sonnencremes aus. Viele hoffen, sich damit nicht nur vor Sonnenbrand zu schützen, sondern auch vor Hautkrebs. Das zeigt die Umfrage des Gesundheitstipp (siehe unten).
Doch Fachleute warnen: Bei Hautkrebs ist Sonnencreme ein trügerischer Schutz. Robert Hunger, Hautspezialist am Berner Inselspital: «Sonnencreme ist immer nur zweite Wahl, um die Haut vor UV-Strahlen zu schützen.»
Man solle die Produkte nur dort einsetzen, wo man sich nicht mit Kleidern und Hut schützen kann, oder wenn sich pralle Sonne nicht vermeiden lässt. Denn noch immer gibt es keinen klaren Beweis, dass Sonnenschutzmittel das Risiko für schwarzen Hautkrebs senken.
An dieser bösartigen Form – auch Melanom genannt – erkranken in der Schweiz jedes Jahr rund 1900 Menschen, 276 sterben daran. Das sind knapp 2 Prozent aller Krebstoten. Zwar kam kürzlich eine neue australische Studie heraus, die belegen will, dass dank Sonnencreme weniger Melanome auftreten.
Doch die Studie steht in Fachkreisen bereits heftig unter Beschuss. Sie sei wenig aussagekräftig und belege keinen Schutz vor Melanomen, schreibt das Fachblatt «Journal of Clinical Oncology».
«Kein Freibrief, um lange an der Sonne zu liegen»
Nachgewiesen ist bisher lediglich, dass Sonnencreme vor Sonnenbrand und hellem Hautkrebs schützen kann. Dieser wächst in der obersten Hautschicht und ist weit weniger gefährlich als der schwarze Hautkrebs.
Man kann ihn meist gut heilen und er bildet praktisch nie Metastasen. Aber: Wegen Sonnencreme könnte das Risiko für Hautkrebs steigen. Denn die Menschen bleiben länger an der Sonne, weil sie nicht so schnell einen Sonnenbrand befürchten müssen. So bekommt der Körper noch mehr UV-Strahlen ab.
Die Strahlen schädigen die Haut auch ohne Sonnenbrand. Dies hat Philippe Autier vom internationalen Krebs-Forschungszentrum IARC in Lyon (F) in Studien nachgewiesen. Hautärztin Bettina Schlagenhauff aus Küssnacht am Rigi SZ bestätigt:
«Sonnencreme ist kein Freibrief, um lange an der Sonne zu liegen.» Denn kein Produkt biete einen kompletten Schutz gegen alle schädlichen UV-Strahlen. Schlagenhauff rät generell vom Sonnenbaden ab. Sie fordert: «Hersteller sollten einen solchen Warnhinweis und Tipps zum richtigen Verhalten auf jede Packung schreiben.»
Auch bei Kindern ist der Schutz durch Sonnencreme äusserst bescheiden, so eine Studie der Uni Tübingen (D). Die Forscher untersuchten die Muttermale von rund 1800 Kindern. Starke UV-Strahlung fördert die Muttermale. Und: Hat ein Kind sehr viele davon, steigt im späteren Leben das Risiko für schwarzen Hautkrebs.
Doch Sonnencremes können Muttermale nicht verhindern, im Gegenteil: «Kinder, die sehr viel Creme verwendeten, hatten sogar etwas mehr Muttermale», sagt Studienleiter Jürgen Bauer. Vermutlich, weil sie mehr an der Sonne waren. Sein Fazit: «Sonnencreme schützt Kinder nicht ausreichend vor den schädlichen Auswirkungen der Sonne.»
Trotzdem vertraut ein Drittel der Eltern allein auf diesen Schutz für ihre Kinder. Das zeigte eine Umfrage des Unispitals Lausanne bei über 300 Familien. Fast alle Befragten cremen sich ein, doch nur gut die Hälfte der Familien verbrachte zum Beispiel die Mittagszeit im Schatten.
Kommt hinzu: Viele Sonnencremes enthalten problematische UV-Filter, die ähnlich wie Hormone wirken. Die Zürcher Umwelttoxikologin Margret Schlumpf warnt schon lange vor diesen Stoffen. Studien zeigten, dass sie in den Körper eindringen.
So wies sie Schlumpf zum Beispiel in Muttermilch nach. «Vor allem für Föten können hormonaktive UV-Filter riskant sein», sagt die Forscherin. «In den ersten Monaten haben Hormone einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich das Kind entwickelt.»
Bei Cremes mit sehr hohen Schutzfaktoren verwenden Hersteller oft einen ganzen Cocktail an hormonaktiven UV-Filtern. Schlumpf: «Was dieses Gemisch im und auf dem Körper anrichtet, ist völlig unklar.» Dies habe bisher noch niemand untersucht. Sie rät deshalb zu Sonnencreme aus der Naturkosmetik mit Zinkoxid und Pflanzenextrakten.
Mehrere UV-Filter für hohen Schutzfaktor
Die Hersteller selber halten die hormonaktive Wirkung der UV-Filter für «sehr gering», wie Nivea-Produzent Beiersdorf sagt. Sie gefährde die Gesundheit nicht. Daylong-Hersteller Spirig schreibt, man verfolge die Forschung und reagiere auf neue Erkenntnisse:
«Sehr hohe Schutzfaktoren lassen sich aber nur mit einer Kombination von mehreren UV-Filtern erreichen.» Laut Bernard Cloëtta vom Schweizer Kosmetik- und Waschmittelverband überwiege der Nutzen von Sonnenschutzmitteln.
Es sei nachgewiesen, dass sie das Hautkrebs-Risiko vermindern. Und niemand behaupte, dass sie einen «vollständigen Schutz» bieten. Dies werde in der Werbung auch nicht suggeriert. Beiersdorf und Spirig weisen auf Produkten und im Internet auf weitere Massnahmen zum Sonnenschutz hin.
Hautarzt Mark Anliker vom Kantonsspital St. Gallen kritisiert, dass Präventions-Kampagnen gegen Hautkrebs früher oft zu stark auf Sonnencreme ausgerichtet waren. «Dabei spielten sicher auch teils finanzielle Interessen der Kosmetikindustrie eine Rolle», sagt Anliker.
Solche Kampagnen könnten dazu geführt haben, dass viele Leute den Schutz von Sonnencreme überschätzen. Auch heute zählt die Krebsliga Schweiz drei grosse Sonnencreme-Hersteller zu den Sponsoren ihrer Hautkrebs-Kampagne:
Beiersdorf mit Nivea, Spirig mit Daylong und Pierre Fabre mit Avène. Sogar in der Broschüre der Krebsliga prangt ein Inserat von Nivea. Es zeigt braungebrannte, planschende Kinder in der prallen Sonne und wirbt mit dem Spruch: «Maximaler Spass – maximaler Schutz».
Die Krebsliga verteilte auch an Sport- und Kulturveranstaltungen Daylong-Sonnencreme. Vor einigen Jahren plante die Krebsliga gar ein eigenes Produkt. Das Projekt wurde aber gestoppt. Denn eine Umfrage habe gezeigt, dass die Bevölkerung von einer «Krebsliga-Sonnencreme» erwarten würde, dass sie vor Hautkrebs schütze.
Das könne kein Produkt erfüllen, sagt Mediensprecher Dieter Wüthrich. Er betont, dass die Krebsliga «seit jeher über einen breiten Mix von Sonnenschutz-Massnahmen informiert». Sonnenschutzmittel seien ein Teil davon.
Fachleute sind sich einig: Schatten und Kleider sind der beste Schutz für die Haut. «Über Mittag, von 11 bis 15 Uhr, sollte jeder im Schatten bleiben», rät Hautarzt Mark Anliker. Dann ist das UV-Licht am intensivsten.
Auch am Wasser ist ein guter Schutz wichtig. Es reflektiert und verstärkt so die Strahlung um rund ein Viertel. Genauso erhöht ist sie in den Bergen – je höher über Meer, desto stärker.
Sonne in vernünftigem Mass geniessen
Übertriebene Panik vor Hautkrebs ist allerdings nicht angebracht. Hautärztin Bettina Schlagenhauff: «Sich draussen zu bewegen tut gut und ist wichtig für die Gesundheit.» Wer die Sonne in einem vernünftigen Mass und gut geschützt geniesst, brauche keine Angst zu haben.
Auch Robert Hunger vom Inselspital sieht keinen Grund zur Panik. «Doch wenn man mit relativ einfachen Verhaltensregeln einen gefährlichen Tumor verhindern kann, sollte man dies auch tun», sagt Hunger.
Tipps: So schützen Sie Ihre Haut
- Bleiben Sie von 11 bis 15 Uhr in Innenräumen oder im Schatten.
- Verlegen Sie Sport und Spiel auf die Morgen- und Abendstunden.
- Tragen Sie dicht gewebte Kleider und einen Hut.
- Schützen Sie Kinder besonders gut vor der Sonne.
- Verzichten Sie auf langes Sonnenbaden.
- Sonnencremes mit Zinkoxid und pflanzlichen Extrakten enthalten keine hormonaktiven Stoffe.
- Meiden Sie das Solarium.
Umfrage: Wie schützen Sie sich vor der Sonne?
- Valeria Alonso, 33, Familienfrau, mit Luca, 6, Zürich: «Wenn wir an der Sonne liegen, creme ich meinen Sohn mehrmals am Tag ein. Ich nehme Schutzfaktor 30, manchmal auch 50, damit er keinen Sonnenbrand bekommt. Mich selber creme ich fast nie ein, aber ich sitze auch meist im Schatten.»
- Celina Fässler, 18, Studentin, Thun BE: «Ich creme mich nur dann ein, wenn ich weiss, dass ich an die Sonne gehe, zum Beispiel an den See. Das mache ich, um keinen Sonnenbrand oder Hautkrebs zu bekommen. Ich lege mich aber nie lang in die Sonne, sondern nur kurz – und das einzig nach dem Schwimmen.»
- Santiago Garcia, 45, Polier, Zürich: «Ich arbeite auf dem Bau, oft den ganzen Tag an der Sonne. Heute habe ich am Morgen nur das Gesicht eingecremt, um mich vor Sonnenbrand zu schützen. Das machen nicht alle meine Kollegen. Hier dürfen wir nicht mit nacktem Oberkörper arbeiten, das ist Vorschrift.»
- Laurent Royal, 31, Tourist, Montreal (CAN): «Wenn ich am Strand bin oder am See, dann creme ich mich fast jede Stunde neu ein. Ich nehme Schutzfaktor 30. Ich will mich vor Sonnenbrand schützen – und auch vor Hautkrebs. Meistens trage ich zudem einen Sonnenhut.»
- Susi Blättler, 53, Kölliken AG: «Heute habe ich nur das Gesicht eingecremt. Wenn wir eine grössere Velotour machen und den ganzen Tag draussen sind, creme ich auch die Arme zweimal ein. Ich will mich vor Verbrennungen schützen und vor Hautalterung. Ich trage auch oft einen Hut und eine Sonnenbrille.»