Wenn ich ins Bett gehe, weiss ich nie, was mich am nächsten Morgen erwartet. Mein rechter Fuss ist so verkrampft, dass ich ihn fast nicht mehr bewegen kann. Manchmal verkrampft sich auch mein Arm. Dadurch verdreht er sich. Er kann tagelang in dieser Stellung bleiben.
An meinen Beinen ist die Krankheit so schlimm geworden, dass ich seit vier Jahren im Rollstuhl bin. Die Beine sind zwar nicht gelähmt. Aber die Schmerzen sind so stark, dass ich fast nicht mehr gehen kann. Ich würde nach wenigen Schritten stolpern oder stürzen.
Meine Krankheit heisst Morbus Sudeck. Kleine Verletzungen können sie auslösen. Der Körper reagiert zu stark auf sie und sendet ständig Schmerzsignale aus. Selbst Fachleute wissen nicht, warum das so ist. Bei mir begann es harmlos: Als ich 14 Jahre alt war, tat mir plötzlich der rechte Daumen weh. Die Schmerzen wurden stärker und breiteten sich auf die Hand aus. Meine Mutter ging mit mir von Arzt zu Arzt. Neun Monate später stellte eine Rheumaärztin die Diagnose.
Ich machte viele Therapien. Doch die Schmerzen hörten nicht auf. Am rechten Bein begann es, nachdem ich auf einer Treppe gestürzt war. Zuerst schmerzte das Knie, heute zieht der Schmerz von den Zehen bis zum Oberschenkel. Am Arm tun die Finger und das Handgelenk bis zum Ellbogen weh. Nur mein linker Arm blieb bis jetzt verschont. Nachts erwache ich mehrmals, weil die Schmerzen so stark sind. Jeden Tag schlucke ich etwa ein Dutzend Tabletten. Trotzdem bin ich nie völlig schmerzfrei.
Ich bin froh, dass ich als Primarlehrerin arbeiten kann. Das ist die beste Ablenkung. Meine Schüler stellten mir anfangs oft Fragen zu meiner Krankheit, heute gehen sie unbefangen damit um. Viele finden es cool, eine Lehrerin zu haben, die etwas anders ist. Während des Unterrichts trage ich eine Schiene am Unterschenkel, damit ich ab und zu aufstehen kann. Mehr Mühe habe ich beim Schreiben. Wenn sich die Hand verkrampft, geht es praktisch nicht.
Ich kann nicht mehr nach Lust und Laune machen, was ich will. Trotzdem versuche ich mit allen Mitteln, meine Lebensqualität aufrechtzuerhalten. In der Freizeit mache ich Handarbeiten, um meine Schmerzen zu vergessen. Im Winter fahre ich Monoskibob – ein Skigerät für Rollstuhlfahrer. Statt Stöcken benutze ich Unterarmstützen, die am unteren Ende kleine Ski haben. Darauf mag ich nicht verzichten – obwohl ich es nachher mit Schmerzen büsse. Das ist es mir wert.
Inzwischen bin ich so gut eingerichtet, dass ich fast überall hinkomme. Ich fahre ein Auto, das ich mit den Händen bedienen kann. Mit einer speziellen Einrichtung am Rollstuhl mache ich kleinere Touren. Ich lernte auch, um Hilfe zu fragen. Familie, gute Freunde und ein kompetentes Ärzteteam sind Gold wert. Ohne sie würde ich es nicht schaffen.
Morbus Sudeck: Schmerzen bis zur Erschöpfung
Am Anfang von Morbus Sudeck steht eine kleine Verletzung, ein Knochenbruch oder eine Operation. Das Nervensystem reagiert darauf in übertriebenem Mass. Die Betroffenen spüren ständig starke und brennende Schmerzen, die manchmal durch geringe Berührungen verstärkt werden. Mit der Zeit versteift sich das Gelenk. Haut, Sehnen und Muskeln schrumpfen. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass sich Arme und Beine nicht mehr oder nur eingeschränkt bewegen lassen. Einige Betroffene brauchen dann einen Rollstuhl. Die Ursachen für Morbus Sudeck – auch «Complex Regional Pain Syndrome» (CRPS) genannt – sind unbekannt.
Informationen:
Verein CRPS-Schweiz, www.crps-schweiz.ch,
Selbsthilfe Schweiz, www.selbsthilfeschweiz.ch