Da war er plötzlich, der letzte Arbeitstag. Paul Tanner kann sich gut daran erinnern. Er machte bereits am frühen Nachmittag Schluss. Der Schreibtisch war geräumt, seine Nachfolge bereit – es gab keinen Grund, länger zu bleiben. «Danach liess ich mir die Haare schneiden», erzählt der 66-Jährige. Tanner war Leiter der Grafischen Sammlung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Anfangs genoss er es, an keinen Sitzungen mehr teilnehmen zu müssen. Doch irgendwann vermisste er es, neue Werke einkaufen zu dürfen. Inzwischen hat er sich in seinem neuen Leben eingerichtet (siehe Kasten «Ich versuche einfach zu leben»).
«Durch Pensionierung entsteht ein Vakuum»
Die Pensionierung macht vielen zu schaffen. Die Psychiater Thomas Holmes und Richard Rahe von der medizinischen Fakultät der Universität New York entwickelten eine Stressskala für 43 belastende Lebensereignisse. Die Pensionierung ist auf Platz 10. Pasqualina Perrig-Chiello, emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern, sagt: «Für viele entsteht durch die Pensionierung ein Vakuum, das sie mit neuen Aufgaben und Zielen füllen müssen.»
Sie empfiehlt: «Man sollte sich für die Monate nach der Pensionierung nicht zu viel vornehmen.» Es gehe darum, innezuhalten und einen neuen Rhythmus zu finden. «Im zweiten Schritt ist es wichtig, dass man sich neue Ziele und Aufgaben setzt.» Um gesund und munter zu bleiben, braucht man geistige, körperliche und soziale Anreize (siehe Tipps). Perrig-Chiello: «Man sollte sich weiterbilden und bewegen, Freundschaften und soziale Kontakte pflegen.» Zudem tue es der Psyche gut, wenn man sich für andere engagiere.
Der ehemalige Sekundarlehrer Hanspeter Frech aus Eglisau ZH erinnert sich an den Abschied vom Berufsleben: «Die letzten drei Jahre hatte ich eine tolle Klasse, ich schätzte meine Lehrerkollegen sehr.» Deshalb freute er sich nicht vorbehaltlos auf die Pensionierung. Später habe es eine Zeit gegeben, in der es ihm nicht gut ging. Grund war die Gesundheit. «Ich war Töfffahrer und plante stets, nach der Pensionierung öfter zu Touren aufzubrechen», sagt Frech. Doch seine Augen spielten nicht mit.
Professorin Marianne Regard aus Zürich wählte eine andere Strategie: Sie machte weiter. Bis 62 leitete sie die Abteilung für Verhaltensneurologie am Unispital Zürich und hielt Vorlesungen. Dann eröffnete sie mit einer Kollegin eine Praxis. «Das war super», sagt die 71-Jährige. «Ich hatte endlich wieder Zeit für die Patienten.» Vor zwei Jahren machte sie Schluss damit, weil sie lange Arbeitstage nicht mehr gut vertrug. Heute spielt sie Schwyzerörgeli, rudert, malt und trifft sich mit Freunden.
Wer wegen der Pensionierung unsicher ist, sollte sich frühzeitig informieren. Avantage, die Fachstelle für Alter und Arbeit von Pro Senectute, bietet dazu ein Seminar an. Es dauert zwei Tage und kostet 700 Franken. Zur Sprache kommen Fragen zur finanziellen Altersvorsorge, zur Gesundheit oder zur Tagesstruktur.
Tipps: Pensionierung - So gehts leicht
- Bilden Sie sich regelmässig weiter.
- Bleiben Sie offen für Neues.
- Bewegen Sie sich regelmässig beim Wandern, Spazieren oder Tanzen.
- Ernähren Sie sich leicht, mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten oder Fisch. Bedenken Sie: Im Alter verbrauchen Sie weniger Kalorien.
- Pflegen Sie Kontakte.
- Wählen Sie ein Hobby.
- Hören Sie auf Ihren Körper. Gehen Sie zum Arzt, wenn Sie das Gefühl haben, etwas stimme nicht.
Adresse:
Avantage, Fachstelle Alter und Arbeit der Pro Senectute Zürich. Tel. 058 451 51 57, E-Mail: info@avantage.ch
Marianne Regard (71), Professorin, Zürich
«Meine Fachliteratur habe ich verschenkt»
«Ich geniesse es, morgens nicht hetzen zu müssen – und auch, mich auf anderes als meine Arbeit konzentrieren zu können. Deshalb habe ich beinahe meine gesamte Fachliteratur verschenkt. Mein Beruf brachte mich in viele Länder, das Reisen brauche ich nicht mehr. Nur in die USA fliege ich regelmässig, weil ich dort viele gute Freunde habe.
Ich brauchte schon als Kind Einlagen in den Schuhen. Mit dem Alter nahmen die Probleme mit meinem Skelett zu. Drei Mal wurde ich am Rücken operiert. Auch deshalb will ich das Leben geniessen, bis mein Skelett das nächste Mal zusammenstürzt.»
Hanspeter Frech (70), Lehrer, Eglisau ZH
«Ich backe jede Woche 30 bis 40 Brote»
«Mein Backhüsli habe ich bereits zwei Jahre vor der Pensionierung in unserem Garten gebaut. Das Backen lernte ich als Jugendlicher bei einer Bauern- und Bäckerfamilie. Heute backe ich wöchentlich 30 bis 40 Brote und verteile sie an die Familie, an Freunde und Lehrerkollegen.
Ich habe noch ein anderes Hobby: die Stenografie.
Zurzeit überarbeite ich ein Lehrbuch – das hat bestimmt mehr Humor als die Bücher, die es dazu schon gibt.
Zumindest bilde ich mir das ein. Ausserdem hüte ich zusammen mit meiner Frau unsere zehn Enkel. Und seit kurzem gehe ich täglich 15 Minuten walken, um fit zu bleiben.»
Paul Tanner (66), Kunsthistoriker, Zürich
«Ich versuche einfach zu leben»
«Drei Jahre vor der Pensionierung kaufte ich mir eine Wohnung in Mühlheim TG – damit ich weiterhin pendeln kann. Ich habe dort einen Garten und bin in der Nähe meiner Geschwister.
Langeweile kenne ich nicht. Ich habe viele Kunstbücher, sitze in Stiftungsräten kleiner Kulturhäuser und organisiere nach wie vor Ausstellungen. Zudem habe ich das Generalabonnement für Senioren. Ich kann also zum Beispiel nach Luzern fahren, dort etwas essen und wieder zurückfahren.
Ich plane meine Tage nicht, sondern entscheide spontan, worauf ich Lust habe. Ob ich den Ruhestand geniesse? Ich versuche ganz einfach zu leben.»