Ärzte sind die wichtigsten Kunden der Pharmakonzerne. Kein Wunder, versuchen Arzneimittelhersteller mit allen Mitteln, Ärzte vom Nutzen ihrer Produkte zu überzeugen: Studien zufolge gibt die Pharmaindustrie allein in den USA jährlich Milliardenbeträge für das Marketing von Medikamenten aus. Die Folge: Wegen der Werbung und finanziellen Anreizen verschreiben Ärzte Medikamente, die für die Patienten nicht unbedingt die besten sind.
Um dem einen Riegel zu schieben, hat die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften neue Richtlinien erlassen, die seit Anfang Februar gelten. Sie sollen die Zusammenarbeit von Pharmaindustrie und Ärzten regeln. Die Akademie besteht aus Ärzten von Uni-Spitälern und der Schweizerischen Ärztevereinigung FMH. Doch die Richtlinien kommen in die Kritik: Sie seien zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sagt etwa der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher, «doch sie greifen zu wenig».
Beispiel Fortbildung: Sie ist für Ärzte obligatorisch, wenn sie ihren Fachtitel behalten möchten. Die Pharmakonzerne unterstützen Seminare, Tagungen und Kongresse mit grosszügigen Beträgen. Ärzte logieren oft gegen einen symbolischen Betrag im Hotel, Speis und Trank inbegriffen. Im Gegenzug dürfen die Pharmaunternehmen kräftig für ihre Produkte werben.
«Ärzte sollen Fortbildung selber zahlen»
Neu gilt, dass Ärzte mindestens ein Drittel der Kosten selber tragen müssen. Für Gesundheitsökonom Locher ist das nicht genug: «Ärzte sollen ihre Fortbildung selber zahlen.» Denn sie sei Teil des Betriebsaufwands ihrer Praxis. Das findet auch Benedikt Holzer, Allgemein- und Reisemediziner aus Bern: «Ärzte verdienen genug. Sie müssen sich nicht von der Pharma finanziell unterstützen lassen.»
Die Regeln sehen auch vor, dass solche Fortbildungen von mehreren Pharmafirmen getragen werden müssen, nicht von einer einzigen. Dadurch könne man die Einflussnahme verringern. Für Benedikt Holzer ist das eine «reine Alibiübung». Mehr noch: «So bekommt die Pharma eine noch bessere Plattform für die Werbung.»
Beispiel Beobachtungsstudien: Ärzte verordnen Patienten im Rahmen einer Studie ein bestimmtes Medikament, das ihnen das Pharmaunternehmen vorschreibt. Später müssen die Ärzte einen Fragebogen ausfüllen und beschreiben, wie es dem Patienten geht. Für diese Leistung kassieren sie bis zu einigen hundert Franken pro Patient.
Nur: Solche Studien haben praktisch keine wissenschaftliche Aussagekraft: «Reine Promotionsinstrumente», nennt sie Benedikt Holzer. «Der Arzt erhält einen pseudowissenschaftlichen Auftrag, für den angeblichen Wert seiner Bemühungen bekommt er Geld.» Das Pharmaunternehmen erreicht aber sein Ziel: Neue Patienten bekommen sein Medikament verschrieben.
Die Richtlinien schreiben nun vor, dass Ärzte sich nur dann an solchen Beobachtungsstudien beteiligen sollen, wenn es um eine wichtige wissenschaftliche Fragestellung gehe. Für Holzer ist diese Regelung allerdings eine «Gummibezeichnung» und nicht mehr als «ein Feigenblatt».
Beobachtungsstudien als Kostentreiber
Gerade Beobachtungsstudien würden die Kosten im Gesundheitswesen massiv in die Höhe treiben, kritisierte auch Wolfgang Becker-Brüser, Chefredaktor der deutschen Fachzeitschrift «Arzneitelegramm» (Gesundheitstipp 9/2012). Denn oft zahlen Krankenkassen die Mittel – ohne von der Studie zu wissen. Becker-Brüser: «Das Verschreiben des Medikaments erfolgt im Rahmen einer ganz normalen Behandlung.» Becker-Brüser und Holzer fordern deshalb ein Verbot für Beobachtungsstudien.
«Richtlinien könnten griffiger sein»
Wenn ein Arzt gegen die Richtlinien verstösst, hat er wenig zu befürchten. Im schlimmsten Fall kann die Ärztevereinigung ihn zwar ausschliessen. Doch es ist schwierig, ein Fehlverhalten nachzuweisen, denn, so Benedikt Holzer: «Kontrolle ist praktisch unmöglich.» Er bezweifelt deshalb, dass sich etwas ändert. Die neuen Vorgaben würden zwar als verbindlich gelten, «aber in Tat und Wahrheit sind sie zahnlos».
Hermann Amstad, Generalsekretär der Akademie, räumt ein: «Die Richtlinien könnten griffiger sein.» Die Ärzte seien seit Jahrzehnten gewohnt, dass die Pharmaindustrie bezahle. Jetzt müssten sie sich umgewöhnen, und das brauche seine Zeit. Amstad: Das Bewusstsein der Ärzte sowie der Druck der Öffentlichkeit seien gestiegen.
Interpharma, der Verband der schweizerischen Pharmaunternehmen, verweist auf den Pharmakodex. Dieser regle, wie sich Unternehmen an Veranstaltungen verhalten sollen. Interpharma-Sprecherin Sara Käch räumt aber ein, dass Interessenkonflikte bei Fortbildungsanlässen immer möglich seien. Ob eine finanzielle Unterstützung zulässig sei oder nicht, sei nicht Sache der Unternehmen. Dass es aber Regeln brauche, sei unbestritten.
Interpharma bestreitet, dass Beobachtungsstudien unnütz sind: Korrekt durchgeführt, dienten sie dazu, mit Arzneimitteln eine breitere Erfahrung zu gewinnen.